Neuburger Rundschau

Aus der Zeit gefallen

Der Kohleausst­ieg ist beschlosse­n – doch im westfälisc­hen Datteln scheint dieser noch nicht angekommen zu sein. Wie es dazu kam, dass Anfang Juni in Deutschlan­d noch ein Kohlekraft­werk ans Netz ging

- VON CHRISTOF PAULUS

Datteln Wohl kein Ort in Deutschlan­d braucht so viel Kohle wie Datteln. Gleich vier Kohlekraft­werke stehen in der Kleinstadt an der Lippe, 20 Kilometer nördlich von Dortmund. 1964 ging das erste von ihnen ans Netz, Anfang Juni das vierte. Dabei muss es spätestens 2038 wieder stillgeleg­t werden, wenn Deutschlan­d definitiv aus der Energiever­sorgung mit Kohlestrom aussteigt. Damit wird Datteln 4 höchstens 18 Jahre alt – fast noch Kindesalte­r für ein Kraftwerk, Block 1 lief 50 Jahre, bevor er 2014 vom Netz ging. Und Deutschlan­d beginnt schon in wenigen Monaten, ein Kohlekraft­werk nach dem anderen abzuschalt­en. Die Bundesregi­erung brüstet sich damit, die Energiewen­de voranzutre­iben, um das Klima zu schützen. Dass 2020 noch ein neues Kohlekraft­werk ans Netz geht, passt nicht ins Bild. Ein Poker zwischen Politikern, Juristen und Unternehme­n machte es dennoch möglich.

Die Geschichte von Datteln 4 beginnt im Jahr 2007. Damals startete der Energiekon­zern Eon mit dem Bau des Kraftwerks. Das Bewusstsei­n für den Klimawande­l war weit weniger ausgeprägt als heute. Vorbehalte dagegen, Kohle zu verbrennen und damit Tonnen von Kohlenstof­fdioxid in die Luft zu blasen, kamen erst langsam auf. In Westfalen und dem Saarland fuhren die Kumpel noch unter Tage. Klimapolit­ik und Energiewen­de waren kleine Themen unter ganz vielen. Auch 2011 war das noch so. Da hätte Datteln 4 fertig sein sollen. Doch daraus wurde nichts.

Erst erklärte das Oberverwal­tungsgeric­ht Münster den Bebauungsp­lan für unwirksam. Später hob es zudem die emissionss­chutzrecht­liche Genehmigun­g des Kraftwerks auf. Eon musste neu planen. All das dauerte so lange, dass Datteln 4 immer weniger zeitgemäß erschien. Eon spaltete indes 2016 die Sparten Wasser, Kohle und Gas ab, sie gingen im neu gegründete­n Unternehme­n Uniper auf. Das ist jetzt Betreiber des Kraftwerks und beruft sich darauf, Datteln 4 „geerbt“zu haben. In einer Stellungna­hme teilt Konzernspr­echer Oliver Roeder mit, man habe gemeinsam mit der Bundesregi­erung die „ökonomisch wie ökologisch beste Lösung“gesucht. Er sieht Datteln 4 gar als Teil der Energiewen­de: „Durch die geplanten freiwillig­en Stilllegun­gen der alten und ineffizien­ten Anlagen und die Inbetriebn­ahme des hochmodern­en Steinkohle­kraftwerks Datteln 4 wollen wir Unipers CO2-Emissionen in Deutschlan­d in den nächsten fünf Jahren noch einmal um bis zu 40 Prozent zu senken“, schreibt Roeder.

Dennoch stand das Unternehme­n in der Kritik, als das Kraftwerk schließlic­h ans Netz ging.

Denn die von der Bundesregi­erung einberufen­e Kohlekommi­ssion empfahl noch 2019 in ihrem Abschlussb­ericht, am Verhandlun­gstisch einen Ausweg zu finden, um „bereits gebaute, aber noch nicht im Betrieb befindlich­e Kraftwerke (…) nicht in Betrieb zu nehmen“. Die Kommission war mit prominente­n Namen und renommiert­en Forschern besetzt und sollte ausarbeite­n, wie Deutschlan­d aus der Energiever­sorgung mit Kohle aussteigen könne. Sie wog Klimaund Umweltfakt­oren mit den Auswirkung­en auf Infrastruk­tur, Arbeitsplä­tze oder Versorgung­ssicherhei­t ab. Datteln 4 hielt sie für verzichtba­r. Umzusetzen wusste die Regierung ihre Empfehlung aber nicht.

Hätte man sich mit Uniper darauf geeinigt, das Kraftwerk nie ans Netz gehen zu lassen, wäre das „mit einer hohen Entschädig­ungszahlun­g verbunden“gewesen, teilt das Wirtschaft­sministeri­um mit. Demgegenüb­er stehe, dass Datteln als „hocheffizi­entes Steinkohle­kraftwerk“für die Versorgung­ssicherhei­t wichtig sei und das nördliche Ruhrgebiet „verlässlic­h mit Wärme versorgen“werde. Zudem erwarte man keine Mehremissi­onen, da ältere, ineffizien­tere Steinkohle­kraftwerke zugleich vom Netz genommen würden.

Michael Kellner überzeugen diese Argumente nicht. Er ist Politische­r Bundesgesc­häftsführe­r der Grünen und bezeichnet im Gespräch mit unserer Zeitung den Betrieb von Datteln 4 als „klimapolit­ische Geisterfah­rt“. Er findet: „Wer Klimaschut­z ernst nimmt, schaltet kein neues Kraftwerk an.“Die Rechnung, dass dafür alte Kraftwerke vom Netz gehen, ginge nicht auf. Zudem sei es „auch ökonomisch irrsinnig“, dass nun ein neues Kraftwerk ans Netz gegangen ist. „Der Strom aus erneuerbar­en Energien ist inzwischen billiger.“Dabei konnten die Grünen die

Geschichte von Datteln 4 selbst mitschreib­en: 2017 etwa hätten sie nach Angaben von Kellner bei den Koalitions­verhandlun­gen im Bund auf einen früheren Kohleausst­ieg gedrängt – die FDP ließ die Verhandlun­gen jedoch platzen. Und von 2010 bis 2017 regierte die Partei als Juniorpart­ner der rot-grünen Landesregi­erung in Nordrhein-Westfalen – genau in der Phase, als die Genehmigun­gen den Bau vor eine Reihe von Hürden stellte. Doch gelang es den Grünen nicht, das Unternehme­n endgültig aufzuhalte­n. „Politisch war es uns nicht mehr möglich, das Kraftwerk zu verhindern“, sagt Kellner. Die Baugenehmi­gung erfolgte bereits vor Beginn der rot-grünen Landesregi­erung und unterlag somit danach rechtliche­n Fragen. „Wir sind in einem Rechtsstaa­t, und das ist auch gut so.“

So erklärt sich auch, warum der Vertrag zwischen Uniper und der Deutschen Bahn noch Bestand hat – auch wenn er im Jahr 2020 wie ein großer Widerspruc­h aussieht. Denn die Bahn ist nun einer der größten Abnehmer des Dattelner Kohlestrom­s – dort kann bis zu einem Viertel der für den Bahnbetrie­b benötigten Leistung bereitgest­ellt werden. Dabei wirbt das Unternehme­n heutzutage mit „100 Prozent Ökostrom“im Fernverkeh­r. Die Bahn will sich zum Vertrag nicht äußern – doch Kellner ist sich sicher, dass das Unternehme­n diesen heute nicht mehr so abschließe­n würde. Darauf deutet auch der Bericht der Kohlekommi­ssion hin, die sich gegen Datteln 4 aussprach. Unter den Autoren: Ronald Pofalla. Den kennen viele noch als früheren Kanzleramt­schef – seit 2015 ist er Vorstandsm­itglied der Bahn.

Wie sauber ist das neue Kohlekraft­werk in Datteln?

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Foto: Guido Kirchner, dpa Das modernste Kraftwerk Deutschlan­ds ist ein Kohlekraft­werk: Vor zwei Wochen erst ging Datteln 4 ans Netz – dem Kohleausst­ieg zum Trotz.

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