Kein Befreiungsschlag
Es ist nicht das erste Mal, dass sich Emmanuel Macron direkt an das Volk wendet, um verlorenen Boden bei potenziellen Wählern zurückzugewinnen. Doch es wirkt immer zweifelhafter, ob es der französische Präsident noch schafft, sein Image als kühler Politiker abzustreifen, dem der direkte Kontakt zur Bevölkerung abhandengekommen ist. Dabei hatte Macron ja grundsätzlich eine positive Botschaft zu verkündigen. Er skizzierte die schrittweise Rückkehr zu einem normaleren Leben, nachdem das Corona-Virus das Land so hart im Griff hatte wie kaum einen anderen Staat in Europa. In Frankreich wütete nicht nur die Pandemie stärker als in Deutschland, ungleich einschneidender waren auch die Beschränkungen für die Bevölkerung. Fast schon demütig bedankte sich der Präsident bei seinen Landsleuten für ihre Disziplin – ja, er räumte sogar Fehler ein.
Und dennoch, irgendetwas fehlt. Macron liebt große Worte und Gesten, doch liest man den Text der Rede ein zweites Mal, bleibt sie am Ende seltsam unkonkret. Ganz konkret sind hingegen die gewaltigen Probleme, vor denen Frankreich steht. Anders als das ebenfalls ökonomisch stark getroffene Nachbarland Deutschland hat Paris deutlich weniger Möglichkeiten, die Folgen der Krise für die Bürger finanziell abzufedern. Eine Konstellation, die eigentlich der radikalen Rechten um Marine Le Pen zugutekommen müsste. Da ist es beruhigend, dass Ministerpräsident Édouard Philippe, der das Land mit Ruhe und Empathie durch die Krise manövrierte, als Mann der Stunde gilt. Viele trauen ihm zu, Macron eines Tages zu beerben.