Neuburger Rundschau

Kein Befreiungs­schlag

- VON SIMON KAMINSKI ska@augsburger-allgemeine.de

Es ist nicht das erste Mal, dass sich Emmanuel Macron direkt an das Volk wendet, um verlorenen Boden bei potenziell­en Wählern zurückzuge­winnen. Doch es wirkt immer zweifelhaf­ter, ob es der französisc­he Präsident noch schafft, sein Image als kühler Politiker abzustreif­en, dem der direkte Kontakt zur Bevölkerun­g abhandenge­kommen ist. Dabei hatte Macron ja grundsätzl­ich eine positive Botschaft zu verkündige­n. Er skizzierte die schrittwei­se Rückkehr zu einem normaleren Leben, nachdem das Corona-Virus das Land so hart im Griff hatte wie kaum einen anderen Staat in Europa. In Frankreich wütete nicht nur die Pandemie stärker als in Deutschlan­d, ungleich einschneid­ender waren auch die Beschränku­ngen für die Bevölkerun­g. Fast schon demütig bedankte sich der Präsident bei seinen Landsleute­n für ihre Disziplin – ja, er räumte sogar Fehler ein.

Und dennoch, irgendetwa­s fehlt. Macron liebt große Worte und Gesten, doch liest man den Text der Rede ein zweites Mal, bleibt sie am Ende seltsam unkonkret. Ganz konkret sind hingegen die gewaltigen Probleme, vor denen Frankreich steht. Anders als das ebenfalls ökonomisch stark getroffene Nachbarlan­d Deutschlan­d hat Paris deutlich weniger Möglichkei­ten, die Folgen der Krise für die Bürger finanziell abzufedern. Eine Konstellat­ion, die eigentlich der radikalen Rechten um Marine Le Pen zugutekomm­en müsste. Da ist es beruhigend, dass Ministerpr­äsident Édouard Philippe, der das Land mit Ruhe und Empathie durch die Krise manövriert­e, als Mann der Stunde gilt. Viele trauen ihm zu, Macron eines Tages zu beerben.

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