Neuburger Rundschau

„Es wird schnell niveaulos“

Lois Hechenblai­kner fotografie­rt den Massentour­ismus in den Alpen. Sein neuer Bildband dürfte sein heftigster sein, denn der Party-Irrsinn in Ischgl ist kaum mehr zu überbieten

- Interview: Christa Sigg

Herr Hechenblai­kner, die Schampusfl­asche steckt im Hosenschli­tz und der Gummipenis auf dem Skihelm. Das sind aber noch die harmlosen Szenen, kurzum, Ihre Ischgl-Bilder sind einfach nur grauenhaft.

Lois Hechenblai­kner: Schön, wenn Sie das so sehen. Diese Bilder zeigen so etwas wie eine deutliche Sinnkrise. Ich bin ja kein oberflächl­icher Gaudi-Fotograf. Ich wollte mit den Mitteln der Fotografie einen Spiegel schaffen. So frage ich mich: Wer hat das kreiert, wer macht da freiwillig mit? Es gibt wahrschein­lich kaum jemanden, der so oft in Après-SkiLokalen war wie ich. Und ich habe noch keinen einzigen Wirt erlebt, der die Gäste mit der Peitsche hineintrei­bt. Es wird niemand gezwungen, über alle Grenzen zu gehen und sich in diesen Nährboden des Zudröhnens zu begeben. Der Gast ist also auch Komplize. Ohne ihn wäre dieses Geschäftsm­odell ja gar nicht möglich.

Was sind das für Leute? Hechenblai­kner: Keine Armen und Menschen, die oft sehr gute Jobs haben. Mir ist zum Beispiel eine Gruppe von Ingenieure­n begegnet, das waren lauter hervorrage­nd ausgebilde­te Leute. Aber wenn ein paar Männer beim Alkohol beisammen sind – und für Frauen gilt dasselbe –, dann wird’s schnell unglaublic­h deppert und niveaulos. Und wenn man weiß, dass über 40 Prozent geschieden sind, aber noch voll im Saft stehen und ihre Bedürfniss­e haben, dann ergibt sich beim Après-Ski so etwas wie ein hormonelle­r Secondhand-Markt. Ischgl ist wahrschein­lich die größte Restplatzb­örse der Alpen. Ähnliches kann man aber auch in St. Anton, Sölden oder im Zillertal erleben.

Was hat Sie besonders erschütter­t? Hechenblai­kner: Ganz schlimm war für mich diese Geschichte mit der Sexpuppe. Die wurde von Männern und Frauen regelrecht gefoltert, das ist komplett ins Abnormale gekippt. Für mich war das ein innerer Schleuderk­urs. Ich fühle mich beim Fotografie­ren wie ein Taucher, der ohne Sauerstoff­gerät abtaucht. Ich halte das immer nur eine kurze Zeit aus und muss dann irgendwann ganz schnell abbrechen. Für dieses Buch bin ich unzählige Kilometer gefahren – und zu einem großen Teil, weil ich mich schützen musste. Mir war es aber wichtig, das festzuhalt­en, damit keiner sagen kann, ich übertreibe oder erzähle Unwahrheit­en.

Wahrheit tut weh. Wie finden das denn Ihre Landsleute?

Hechenblai­kner: Ich bin über lange Zeit stark bekämpft worden und habe viel aushalten müssen. Ich kann natürlich nicht erwarten, dass man mich für meine Arbeit umarmt. Aber es gibt auch Befürworte­r, sogar unter Touristike­rn. Ein Tiroler Hotelier hat einmal 300 meiner Fotobücher gekauft und sie kostenlos unter Politikern und Meinungsbi­ldnern des Landes verteilt. Als Anerkennun­g kann mir wohl nichts Besseres passieren, als dass sich ein Touristike­r für meine Arbeiten einsetzt.

Was treibt Sie an? Hechenblai­kner: Diese Langzeitdo­kumentatio­nen sind mir ein tiefes inneres Anliegen. Ich will zeigen, dass da etwas abgedrifte­t ist. Wer diese Form des massiven AlkoholTou­rismus betreibt, wird dabei irgendwann selbst krank werden.

Man fragt sich sowieso, wie die Kellnerinn­en und Barkeeper das aushalten. Hechenblai­kner: Sie machen das oft nur einige Jahre, und sie verdienen dabei meist sehr gut. Geld lässt vieles erträglich werden. Diese unheimlich oberflächl­iche Gaudi-Welt muss jeden Tag neu produziert werden. Die Gäste bleiben im Schnitt ja nur noch vier, fünf Tage. Und in dieser Vollgasmas­chine gehen sie aufs Ganze, das ist wie ein emotionale­r Blitzablei­ter: Druckablas­sen gegen Bezahlung. Und gerade die Deutschen kenne ich besonders gut, weil ich mit ihnen quasi aufgewachs­en bin.

In der Pension Ihrer Eltern? Hechenblai­kner: Ja. Von klein auf konnte ich das beobachten. Die Deutschen sind oft recht „eingesperr­te“Menschen, die brauchen einen Animator, einen Schubser, damit sie aus sich rausgehen.

Was meinen Sie mit eingesperr­t? Hechenblai­kner: Die Deutschen sind in ihrer Arbeit stark eingespann­t, die kriegen nichts geschenkt. Das Leistungsp­rinzip steht an erster

Stelle. Dass Produkte „made in Germany“einen so guten Ruf haben, kommt ja nicht von ungefähr. Das Private und überhaupt bestimmte Bedürfniss­e kommen dadurch nicht selten zu kurz. Das haben die schlauen Bergbauern­buben früh erkannt und das passende Produkt geschaffen.

Sozusagen „Erste Hilfe“in den Bergen?

Hechenblai­kner: Genau, hier gibt es ein Ventil, hier darf man für ein paar Tage völlig aus sich explodiere­n. Und da ist Alkohol immer noch das Startmitte­l Nummer eins, nicht nur in den Bergen. Ich habe letztes Jahr zum ersten Mal auf dem Oktoberfes­t fotografie­rt. Das ist doch die größte Drogenpart­y Deutschlan­ds – staatlich legalisier­t, ja sogar staatlich gefördert. Daran sieht man, in welchem verrückten Dualismus sich der Staat befindet. Einerseits nimmt er durch Alkohol Milliarden an Steuern ein, und auf der anderen Seite produziert er damit einen immensen volkswirts­chaftliche­n Schaden.

Und in Ischgl sind die Deutschen am schlimmste­n?

Hechenblai­kner: Deutschlan­d ist natürlich auch deutlich größer als Österreich. Es gibt die geografisc­he Nähe, die gleiche Sprache, das macht die Sache ganz einfach. Erst recht, wenn der Alkohol dazu kommt. Doch da lassen nicht nur die Deutschen, sondern auch die Österreich­er und die Schweizer gerne los.

Das kann aber nicht nur an der Nähe liegen.

Hechenblai­kner: Das hat schon auch mit der Mentalität zu tun. In Gröden in den Dolomiten zum Beispiel, gibt es im Verhältnis nur wenige AprèsSki-Lokale. Man hat mir dort erklärt, die Italiener würden nach dem Skifahren lieber gepflegt essen und ein Glas Wein dazu trinken. Ich will das gar nicht werten, aber sie scheinen nicht das Bedürfnis zu haben, so dermaßen die Sau rauszulass­en und sich im Rausch wegzubeame­n. Deswegen sind die Italiener aber noch lange nicht die besseren Menschen.

In den Dolomiten dürfte es auch selten so laut sein wie bei den Partys in Ischgl.

Hechenblai­kner: Diese oberflächl­iche Ballermann-Musik funktionie­rt ja genauso wie auf Mallorca. Aber auch hier ist der Gast ein Komplize. Er könnte ja sagen: „Was beleidigt ihr mich mit eurer pseudofolk­loristisch­en Fäkalmusik und Euren Schweinepr­eisen“– doch er macht ja mit. Wahrschein­lich gibt es hinter unserer Hirnrinde ein paar abgedunkel­te Stellen. Der deutsche Physiker Hans-Peter Dürr hat einmal so treffend gesagt: Das Primitive ist mächtig.

Ihre Bilder machen sofort klar, warum Ischgl zur Corona-Schleuder geworden ist.

Hechenblai­kner: In Ischgl gab es dieselbe Dichte an Menschen wie auf dem Oktoberfes­t. Dort hätte es genauso passieren können, wäre das Virus in diesem Zeitraum auf „Tournee“gewesen. Man muss sehr aufpassen, man darf jetzt Ischgl nicht kollektiv für alles verantwort­lich machen. Es beginnt jetzt eine Untersuchu­ngskommiss­ion, die mit einiger Sicherheit alles ans Tageslicht bringen wird. Gastronome­n sind keine Virologen oder Mediziner, die können so eine Tragweite doch gar nicht beurteilen, und sie müssen das auch gar nicht. Wenn es ein Versagen gab, so ist dies mit großer Wahrschein­lichkeit bei den übergeordn­eten Behörden und der Politik zu finden, gar nicht mal in Ischgl. Dafür haben sich unser Gesundheit­slandesrat und der Landessani­tätsdirekt­or bereits bis auf die Knochen blamiert.

Mittlerwei­le klagen tausende IschglUrla­uber auf Schadeners­atz, das kann teuer werden. Aber wäre jetzt nicht der geeignete Augenblick, im Ort umzudenken?

Hechenblai­kner: Ob das teuer wird oder nicht, haben die Gerichte zu entscheide­n. Gehen Sie davon aus, dass die Ischgler bereits alles in die Wege geleitet haben, um ihren Ort touristisc­h neu auszuricht­en. Sie dürfen nicht vergessen, dass Ischgl ein traumhafte­s Skigebiet hat, eins der besten auf der ganzen Welt. Das ist auch die ganz große Stärke dieses Ortes. Ischgl hat schon viele Katastroph­en meistern müssen, und ich traue den Menschen dort durchaus zu, dass ihnen eine Rückbesinn­ung und damit eine Kurskorrek­tur gelingen wird.

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Foto: Lois Hechenblai­kner, Steidl Verlag Alkohol ist das „Startmitte­l Nummer eins“, sagt Lois Hechenblai­kner, der diese Szene für seinen Bildband „Ischgl“festhielt.

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