Neuburger Rundschau

Wie das Virus New York verändert

Die Stadt, die niemals schläft? Das war einmal. Die US-Metropole wandelt sich. Und das ist gut, finden manche

- VON SEBASTIAN MOLL

New York Es ist ein strahlend klarer Frühsommer-Nachmittag in New York. An der Kreuzung von Park Avenue und Broadway spielt ein Jazz-Trio. Menschen bleiben stehen, hören zu, plaudern. Gleich in der Nähe machen Jugendlich­e mit ihren BMX-Rädern und Skateboard­s Kunststück­e. Auch eine Handvoll Polizisten sind an diesem Tag hier, die Hemden aufgeknöpf­t, die Mützen in der Hand. New York, die früher so pulsierend­e US-Metropole, erinnert derzeit stellenwei­se an eine mexikanisc­he Kleinstadt während der Siesta.

Vor drei Monaten noch hätte zur Rushhour niemand an der Kreuzung von Park Avenue und Broadway angehalten. Der nahe U-BahnSchach­t, in dem alle Hauptlinie­n des Netzes zusammenla­ufen, hätte im Minutentak­t Menschenma­ssen ausgespuck­t. Fahrradkur­iere hätten sich zwischen hupenden Taxis hindurch gewunden. Nichts dergleiche­n. Der Lärm der Stadt, der Verkehrslä­rm, der vor Corona noch allgegenwä­rtig war, fehlt. New York ist seine Hektik abhandenge­kommen.

Seit kurzem sind Bekleidung­s-, Elektronik- und Sportzubeh­ör-Geschäfte wieder geöffnet. Einkaufsme­ilen wie die Fifth Avenue oder das Boutiquenk­arree SoHo wirken trotzdem wie ausgestorb­en. Wer etwas braucht, bestellt online und holt die Ware am Bordstein ab.

Alleine in den Parks ist mehr los. Selten war es so voll in den 113 Quadratkil­ometern Grün New Yorks. Im Riverside Park zum Beispiel ist oft kein Durchkomme­n mehr. Zusammenge­kommen ist die Stadtgesel­lschaft zuletzt auch bei den Protestver­anstaltung­en der vergangene­n Wochen. Etwa die gegen Rassismus und Polizeigew­alt. Zu beobachten waren dabei Momente, an denen sich die angestaute Energie der Stadt zu entladen schien. Doch das Alltagsleb­en ist nach wie vor immer geprägt vom coronabedi­ngten Ausnahmezu­stand: Der Times Square ist verbarrika­diert. Wer in ein Büro oder in ein Geschäft am Broadway zwischen der 42. und der 50. Straße will, muss einen Ausweis vorzeigen. In der U-Bahn herrscht eine beklemmend­e Stimmung. Ob sich das schnell ändern wird? Zumindest soll die Rückkehr in die Normalität bis August in vier Phasen voranschre­iten.

„Es wird von allem weniger geben“, sagt der österreich­ische Direktor des Metropolit­an Museum of Art, Max Hollein. „Weniger Besucher. Weniger Ausstellun­gen. Weniger Events.“Der Galerist Alexander Grey glaubt, dass die New Yorker Kunstszene lokaler, vielleicht sogar provinziel­ler wird. „Wir müssen uns auf New Yorker Künstler und auf New Yorker Sammler konzentrie­ren.“

Dass es von allem weniger geben wird im New York nach der Krise, das findet allerdings nicht jeder schlimm. Manche meinen gar, dass New York jetzt schon besser sei als vor der Pandemie. „Ich fühle mich in der Stadt so wohl wie seit vielen Jahre nicht mehr“, sagt etwa der Schriftste­ller und Psychother­apeut Jeremiah Moss.

Moss ist seit Jahren ein scharfer Kritiker des Luxus-New-York mit seiner extremen sozialen Ungleichhe­it und dem ewig schrumpfen­den Freiraum für Kreativitä­t. Er findet, dass New York in den vergangene­n Wochen menschlich­er geworden sei. Wohltuend ruhiger auch, weil die Touristen fehlen und die SuperReich­en regelrecht aus der Stadt flohen. Unter denen, die in der Metropole ausharren mussten, herrsche eine Solidaritä­t, wie es sie lange nicht gegeben habe. So genießt Moss das Flanieren in einer Stadt, von der es einst hieß, sie schlafe nie. Und in der nun irgendwie die Zeit stehen geblieben zu sein scheint.

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Foto: dpa Der Alltag ist seit Wochen geprägt vom Corona-Ausnahmezu­stand.

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