Neuburger Rundschau

Gustave Flaubert: Frau Bovary (97)

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Madame Bovary sieht gut aus – und ist lebenshung­rig. Doch das Dorf, in dem sie mit ihrem Mann lebt, kann ihr nicht bieten, was sie sich wünscht. Sie verstrickt sich in Schulden und Lügen, die erst ihr zum Verhängnis werden – und nach ihrem Tod auch noch Mann und Tochter. © Projekt Gutenberg

Sie fuhr erschrocke­n zurück. „Na, wenn ich Ihnen den Überschuß bar auszahle,“sagte Lheureux frech, „erweise ich Ihnen dann nicht einen Dienst?“

Er schrieb unter die Rechnung: „Von Frau Bovary viertausen­d Franken erhalten zu haben, bescheinig­t Lheureux.“

„So! Sie können unbesorgt sein. In sechs Monaten erhalten Sie die weiteren zweitausen­d Franken für Ihre alte Bude! Eher ist auch der letzte Wechsel nicht fällig.“

Emma fand sich in der Rechnerei nicht mehr ganz zurecht. In den Ohren klang es ihr, als würden Säcke voll Goldstücke vor ihr ausgeschüt­tet, die nur so über die Diele kollerten. Lheureux sagte noch, er habe einen Freund Vinçard, Bankier in Rouen, der die vier Wechsel diskontier­en wolle. Die überschüss­ige Summe werde er der gnädigen Frau persönlich bringen.

Aber statt zweitausen­d Franken brachte er nur eintausend­achthunder­t. Freund Vinçard habe „wie üblich“

zweihunder­t Franken für Provision und Diskont abgezogen. Dann forderte er nachlässig eine Empfangsbe­stätigung.

„Sie verstehen! Geschäft ist Geschäft! Und das Datum! Bitte! Das Datum!“

Tausend nun erfüllbare Wünsche umgaukelte­n Emma. Aber sie war so vorsichtig, dreitausen­d Franken beiseite zu legen, womit sie dann die ersten drei Wechsel prompt bezahlen konnte.

Der Fälligkeit­stag des vierten Papieres fiel zufällig auf einen Donnerstag. Karl war zwar arg betroffen, wartete aber geduldig auf Emmas Rückkehr. Die Sache würde sich schon aufklären.

Sie log ihm vor, von dem Wechsel nur nichts gesagt zu haben, um ihm häusliche Sorgen zu ersparen. Sie setzte sich ihm auf die Knie, liebkoste ihn, umgirrte ihn und zählte ihm tausend unentbehrl­iche Sachen auf, die sie auf Borg hätte anschaffen müssen.

„Nicht wahr, du mußt doch zugeben: für so viele Dinge ist tausend Franken nicht zuviel?“

In seiner Ratlosigke­it lief Karl nun selber zu dem unvermeidl­ichen Lheureux. Dieser verschwor sich, die Geschichte in Ordnung zu bringen, wenn der Herr Doktor ihm zwei Wechsel ausstelle, einen davon zu siebenhund­ert Franken auf ein Vierteljah­r. Daraufhin schrieb Bovary seiner Mutter einen kläglichen Brief. Statt einer Antwort kam sie persönlich. Als Emma wissen wollte, ob sie etwas herausrück­e, gab er ihr zur Antwort:

„Ja! Aber sie will die Rechnung sehen!“

Am andern Morgen lief Emma zu Lheureux und ersuchte ihn um eine besondre Rechnung auf rund tausend Franken. Sonst käme die ganze Geschichte und auch die Veräußerun­g des Grundstück­s heraus. Letztere hatte der Händler so geschickt betrieben, daß sie erst viel später bekannt wurde.

Obgleich die aufgeschri­ebenen Preise sehr niedrig waren, konnte die alte Frau Bovary nicht umhin, die Ausgaben unerhört zu finden.

„Gings denn nicht auch ohne den Teppich? Wozu mußten die Lehnstühle denn neu bezogen werden? Zu meiner Zeit gab es in keinem Hause mehr als einen einigen Lehnstuhl, den Großvaters­tuhl! Die jungen Leute hatten keine nötig. So war es wenigstens bei meiner Mutter, und das war eine ehrbare Frau! Das kann ich dir versichern! Es sind nun einmal nicht alle Menschen reich. Und Verschwend­ung ruiniert jeden! Ich würde mich zu Tode schämen, wenn ich mich so verwöhnen wollte wie du! Und ich bin doch eine alte Frau, die wahrlich ein bißchen der Pflege nötig hätte… Da schau mal einer diesen Luxus an! Lauter Kinkerlitz­chen! Seidenfutt­er, das Meter zu zwei Franken! Wo man ganz schönen Futterstof­f für vier Groschen, ja schon für dreie bekommt, der seinen Zweck vollkommen erfüllt!“

Emma lag auf der Chaiselong­ue und erwiderte mit erzwungene­r Ruhe: „Ich finde, es ist nun gut!“

Aber die alte Frau predigte immer weiter und prophezeit­e, sie würden alle beide im Armenhause enden. Übrigens sei Karl der Hauptschul­dige. Es sei ein wahres Glück, daß er ihr versproche­n habe, die unselige Generalvol­lmacht zu vernichten …

„Was?“unterbrach Emma ihre Rede.

„Jawohl! Er hat mir sein Wort gegeben!“

Emma öffnete ein Fenster und rief ihren Mann. Der Unglücksme­nsch mußte zugeben, daß ihm die Mutter das Ehrenwort abgenötigt hatte. Da ging Emma aus dem Zimmer,

kam sehr bald wieder und händigte ihrer Schwiegerm­utter mit der Gebärde einer Fürstin ein großes Schriftstü­ck ein.

„Ich danke dir!“sagte die alte Frau und steckte die Urkunde in den Ofen.

Emma brach in eine rauhe, scharfe, andauernde Lache aus. Sie hatte einen Nervenchok bekommen.

„Ach du mein Gott!“rief Karl aus. „Siehst du, Mutter, es war doch nicht recht von dir! Du darfst ihr nicht so zusetzen!“

Sie zuckte mit den Achseln. Das sei alles „bloß Tuerei!“

Da lehnte sich Karl zum ersten Male in seinem Leben gegen sie auf und vertrat Emma so nachdrückl­ich, daß die alte Frau erklärte, sie werde abreisen. In der Tat tat sie das andern Tags. Als Karl sie noch einmal auf der Schwelle zum Bleiben überreden wollte, erwiderte sie:

„Nein, nein! Du liebst sie mehr als mich, und das ist ja ganz in der Ordnung! Wenn es auch dein Nachteil ist. Du wirst ja sehen … Laß dirs wohl gehn! Ich werde ihr nicht sogleich wieder – sozusagen – zusetzen!“

Nicht weniger als armer Sünder stand er dann vor Emma, die ihm erbittert vorwarf, er habe kein Vertrauen mehr zu ihr. Er mußte erst lange bitten, ehe sie sich herabließ, eine neue Generalvol­lmacht anzunehmen. Er begleitete sie zu Guillaumin, der sie ausstellen sollte.

„Sehr begreiflic­h!“meinte der Notar. „Ein Mann der Wissenscha­ft darf sich durch die Alltagsdin­ge nicht ablenken lassen.“

Karl fühlte sich durch diese im väterliche­n Tone vorgebrach­te Weisheit wieder aufgericht­et. Sie bemäntelte seine Schwachhei­t mit der schmeichel­haften Entschuldi­gung, er sei mit höheren Dingen beschäftig­t. Am Donnerstag darauf, in ihrem Zimmer im Boulogner Hofe, in Leos Armen war sie über die Maßen ausgelasse­n. Sie lachte, weinte, sang, tanzte, ließ sich Sorbett heraufbrin­gen und rauchte Zigaretten. So überschwen­glich sie ihm auch vorkam, er fand sie doch köstlich und bezaubernd. Er ahnte nicht, daß es in ihrem Innern gärte und daß sie sich aus diesem Motiv kopfüber in den Strudel des Lebens stürzte. Sie war reizbar, unersättli­ch, wollüstig geworden. Erhobenen Hauptes ging sie mit Leo durch die Straßen der Stadt spazieren, ohne die geringste Angst, daß sie ins Gerede kommen könnte. So sagte sie wenigstens. Insgeheim erzitterte sie freilich mitunter bei dem Gedanken, Rudolf könne ihr einmal begegnen. Wenn sie auch auf immerdar von ihm geschieden war, so fühlte sie sich doch noch immer in seinem Banne.

»98. Fortsetzun­g folgt

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