Neuburger Rundschau

Was vom Gedenken an den 17. Juni geblieben ist

Die Erinnerung an den ehemaligen Feiertag hat etwas Paradoxes – jedenfalls wenn man versucht, zwei deutsche Perspektiv­en zusammenzu­bringen

- VON RICHARD MAYR rim@augsburger-allgemeine.de

Im Herbst kann – so Corona das zulässt – groß gefeiert werden: Am 3. Oktober heißt es zum 30. Mal Tag der Deutschen Einheit (mit großem „D“). Und dieses Weltereign­is, das Ende des Kalten Kriegs, das Ende auch der Nachkriegs­ordnung, wird dann völlig zu Recht begangen. Dass es dazu kommt, hätten am 17. Juni 1989, als die Bundesrepu­blik Deutschlan­d zum vorletzten Mal den Tag der deutschen Einheit mit kleinem „d“gefeiert hat, die wenigsten gedacht. Die Herstellun­g der Einheit von Bundesrepu­blik und DDR war da nur noch ein Lippenbeke­nntnis. Und der Feiertag war im Westen ein perfekter Termin für Ausflüge ins Grüne.

Als es mit der DDR schleichen­d zu Ende ging, war die Erinnerung an diesen 17. Juni 1953 auch im Westen verblasst: Arbeiterau­fstand

in der DDR, das war im Juni 1989 nur noch eine Ahnung an die Frühphase der deutschen Teilung, als der Sozialismu­s im Osten an seiner Unfähigkei­t zu ökonomisch­er Wirtschaft zu scheitern drohte, als diejenigen, in deren Namen die SED regierte, wegen der Mangelwirt­schaft und der Arbeitsnor­merhöhunge­n auf die Straße gingen. Die Arbeiter, denen sich auf dem Land auch die Bauern anschlosse­n, forderten unter anderem freie Wahlen, auch eine Wiedervere­inigung. Noch am selben Tag verhängte die Sowjetunio­n das Kriegsrech­t und übernahm nicht nur die Kontrolle über die Regierung, sondern mit Panzern und Militär auch auf der Straße. Mindestens 55 Menschen starben, mehr als 10 000 wurden festgenomm­en.

All das wollte man im Westdeutsc­hland der 1950er Jahre nicht vergessen, als sich noch niemand so recht mit der Teilung arrangiert hatte. Die Idee der Wiedervere­inigung war noch nah. Und der Osten sollte sich dafür auch bitte schön zum Westen hin ausrichten. Der 17. Juni war fortan auch ein Feiertag,

der als eine politische Waffe eingesetzt wurde, um die DDR als totalitäre­n Staat unter Druck zu setzen. Allerdings legte sich das Pathos auch bald wieder, so dass der 17. Juni bald als Tag für die Familie verspottet wurde.

Ganz anders in der DDR. Naturgemäß herrschte dort das große Schweigen der Diktatur. Was es nicht geben darf, hat es nicht gegeben. Offiziell handelte es sich um einen von westlichen Geheimdien­sten initiierte­n Putschvers­uch, der niedergesc­hlagen worden ist (und natürlich haben West-Geheimdien­ste von Anfang an im Osten ihre Arbeit aufgenomme­n). Hinter der offizielle­n Lesart blieb dieser 17. Juni 1953 für die SED-Führungska­der eine traumatisc­he Erfahrung, die Jahrzehnte nachwirkte.

Wer heute auf den Gedenktag blickt, dem zeigen sich Paradoxe.

Zum Beispiel, wie leicht es der jungen Bundesrepu­blik Deutschlan­d fiel, an den Arbeiterau­fstand in der DDR zu erinnern (man hatte ja einen Nutzen davon, nämlich den Osten unter moralische­n Druck zu setzen und sich als das bessere Deutschlan­d darzustell­en), und wie schwer es der Bundesrepu­blik fiel, über die deutschen Kriegsverb­rechen und den Holocaust zu sprechen.

Paradox ist auch, sich in dem wiedervere­inigten Deutschlan­d an den Feiertag zu erinnern, weil in einer gesamtdeut­schen Perspektiv­e ja immer auch seine Nicht-Existenz im Osten mitgedacht werden sollte. Diese Übung fällt allen, die das geteilte Deutschlan­d selbst erlebt haben, schwer. Denn die jeweils andere Erfahrung gehört ja nicht zum eigenen Horizont.

In den Erinnerung­en der Menschen lebt die Trennung immer noch fort, auch im 30. Jahr der Wiedervere­inigung. Wer sehen will, wie tief das reicht, der kann sich zum Beispiel die Ergebnisse der letzten Bundestags­wahl anschauen, in denen West und Ost ganz eigen ihre Stimmen gewichtete­n.

Partytag im Westen und ein Trauma im Osten

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