Neuburger Rundschau

Der leidensfäh­ige Kannibale

Eddy Merckx dominierte den Radsport wie kein anderer. In seinem Heimatland Belgien ist er ein Volksheld – auch wenn ein Schatten über seinen Erfolgen liegt

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Die Granden des Sports werden gerne mit Spitznamen versehen, die sich auf ihre Fähigkeite­n beziehen: Basketball­Superstar Michael Jordan ist „His Airness“, Boxer Muhammad Ali schlicht und einfach „The Greatest“.

Radlegende Eddy Merckx wird auch heute noch „Kannibale“genannt, was der schieren Dominanz des Belgiers Ausdruck verleihen soll. Merckx fuhr während seiner Karriere immer auf Attacke, sein Siegeshung­er war nicht zu stillen: Unglaublic­he 525 Siege hat er zwischen 1966 und 1978 auf der Straße eingefahre­n.

Wenn der Allrounder am Start war, gab es für seine Kontrahent­en im Peloton oft nichts zu holen. Das wurde schon bei seiner ersten Tour de France im Jahr 1969 deutlich: Der damals 24-Jährige gewann nicht nur sieben Etappen und die Gesamtwert­ung fast 18 Minuten vor dem Franzosen Roger Pingeon, sondern auch die Bergwertun­g und die Sprintwert­ung. Legendär ist sein Soloritt auf der 17. Etappe in den Pyrenäen: Merckx fuhr über den berüchtigt­en Col du Tourmalet und weitere Pässe einen Vorsprung von acht Minuten auf seine Rivalen im Gesamtklas­sement heraus. Wegen Unterzucke­rung kämpfte er sich unter Schmerzen ins

Ziel: „Ich hoffe, ich habe genug dafür getan, dass ihr mich als würdigen Sieger seht“, sagte er zu den wartenden Journalist­en.

Merckx gewann die Frankreich-Rundfahrt insgesamt fünfmal, hinzu kommen fünf Siege beim

Giro d’Italia und einer bei der Vuelta a España. Doch der Kannibale war ein Alleskönne­r: Die fünf bedeutends­ten Tagesklass­iker entschied Merckx allesamt mindestens zweimal für sich, er wurde mehrfach Weltmeiste­r und stellte 1972 in Mexiko-Stadt einen Stunden-Weltrekord auf. Pro Jahr ging Merckx bei bis zu 150 Rennen an den Start – immer bereit, an seine eigenen Grenzen zu gehen und seine Gegner so zu zermürben: „Wenn es dir wehtut, dann kannst du einen Unterschie­d machen“, sagte er einst.

Doch wie bei vielen Granden des Radsports liegt auch über Merckx’ Karriere ein Schatten. Dreimal wurde der Belgier positiv auf Doping getestet. Vom Giro wurde er 1969 vor der 16. Etappe ausgeschlo­ssen. Die

Sperre wurde noch vor der Tour aufgehoben – und Merckx triumphier­te in Frankreich.

In seinem Heimatland ist Merckx, der nach dem Karriereen­de die Fahrradmar­ke „Eddy Merckx Cycles“gründete, trotz der Vorwürfe ein Volksheld. Seit 50 Jahren ist er mit Ehefrau Claudine verheirate­t, Sohn Axel war selbst Radprofi und nahm achtmal an der Tour de France teil.

Die Sorge war groß, als sich Merckx im vergangene­n Jahr ausgerechn­et bei einem Fahrradstu­rz schwer verletzte. Kürzlich versichert­e Merckx, dass es ihm wieder gut gehe: „Im Augenblick muss sich niemand um mich Sorgen machen.“Auf seinem Rad sitze er wieder regelmäßig und fahre zwei, drei Mal die Woche rund 50 Kilometer pro Runde. Heute feiert Merckx seinen 75. Geburtstag. Dominik Stenzel

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Foto: imago

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