Neuburger Rundschau

Stunde der Anklage

Ein Jahr nach dem Mord an dem CDU-Politiker Walter Lübcke muss sich Stephan E. vor Gericht verantwort­en. Der Fall hat schon jetzt eine Erkenntnis gebracht: Rechte Gewalt wurzelt tief in der Gesellscha­ft. Kann vom Prozess ein Gegensigna­l ausgehen?

- VON MARIUS BUHL

Frankfurt In wenigen Sekunden ist es so weit. Dann tritt der Mann, der im Dunkeln gemordet haben soll, ins Licht: Stephan E. Im Saal 165, Gerichtsge­bäude C, Oberlandes­gericht Frankfurt am Main, ist es so ruhig, dass man den Zeiger der Wanduhr springen hört.

Nacheinand­er sind die Beteiligte­n dieses Strafproze­sses aufmarschi­ert, die Bundesanwä­lte in purpurnen Roben, die Verteidige­r, die Anwälte der Nebenkläge­r, der Nebenkläge­r Ahmad Esmaiel, dann Familie Lübcke. Jan-Hendrick, der jüngere Sohn, starrt geradeaus, die Gesichtszü­ge einbetonie­rt. Irmgard BraunLübck­e, eine adrette Frau, wirkt schmal und zerbrechli­ch. Christoph Lübcke, der ältere Sohn, scheint seinen Gedanken nachzuhäng­en.

Tack. Der Zeiger der Wanduhr springt. Wird Stephan E., der Hauptangek­lagte, lächeln wie einst Beate Zschäpe, herausford­ernd, demonstrat­iv entspannt? Wird er hinübersch­auen zur Familie des Ermordeten? Zuerst kommt sein mutmaßlich­er Komplize. Markus H., angeklagt wegen Beihilfe zum Mord. Er trägt einen grünen Kapuzenpul­li, die Kapuze hochgezoge­n, Maske im Gesicht, Schlabberl­ook.

Dann führen zwei Justizbeam­te Stephan E. herein, nehmen ihm die Handschell­en ab. E. legt sofort seinen Mundschutz ab. Er trägt einen dunkelblau­en Anzug, ein blütenweiß­es Hemd, die Haare hat er sorgsam zur Seite gelegt. Er wirkt bleich, er lächelt nicht, aber er wirkt auch nicht sonderlich eingeschüc­htert. Die Familie des Opfers würdigt er keines Blickes. So geht er los, der Lübcke-Prozess.

Die Bedeutung dieses Falles kann man kaum hoch genug hängen. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepu­blik ermordet ein Rechtsextr­emist mutmaßlich einen Politiker. Walter Lübcke, Kasseler Regierungs­präsident, ein Mann wie ein Baum, gewachsen in der alten Bundesrepu­blik. Ein gläubiger Christ, der Merkels Flüchtling­spolitik vor Ort verteidigt hatte gegen die Staatszers­etzer von rechts. Hingericht­et per Kopfschuss. Das ist das politische Fundament, auf dem dieser Fall steht, das macht ihn historisch. Ein Fanal, dieses archaische Wort gebraucht die Bundesanwa­ltschaft für die Tat. Ein Fanal ist eine Fackel, ein weithin sichtbares Signal, das von Veränderun­g kündet.

Und tatsächlic­h: Auf Lübcke folgte Halle, auf Halle folgte Hanau, auf Hanau die Einsicht: Rechte Gewalt ist systemisch, sie tötet regelmäßig und sie wurzelt tief in der Gesellscha­ft. Wer den NSU für einen Sonderfall gehalten haben mag, wer darauf gehofft hatte, dass der Spuk nun wieder vorüber sein würde, dem hat der Mord an Walter Lübcke das Gegenteil bewiesen. „Es kann jeden von uns treffen“, so formuliert­e es neulich der Grünen-Politiker Cem Özdemir. Die Endgültigk­eit dieser Erkenntnis, man könnte sie das Vermächtni­s von Walter Lübcke nennen.

Kann vom Prozess gegen seine Mörder ein Gegensigna­l ausgehen?

Es sind keine zehn Minuten vergangen in dieser Verhandlun­g, da hebt Mustafa Kaplan, Verteidige­r von Stephan E., zum ersten Befangenhe­itsantrag an. Die Pflichtver­teidigerin des Mitangekla­gten Markus H., Nicole Schneiders, hätte nicht berufen werden dürfen, sagt Kaplan, sie sei auszuschli­eßen, die Hauptverha­ndlung auszusetze­n. E.s zweiter Verteidige­r, Frank Hannig, unterstütz­t. Er begründet seinen Antrag auf Aussetzung der Verhandlun­g unter anderem damit, dass der Gesundheit­sschutz wegen der Corona-Pandemie nicht gewährleis­tet und der Zugang der Öffentlich­keit zum Prozess stark eingeschrä­nkt sei.

Danach spricht Björn Clemens, Verteidige­r von Markus H. und einstiges Parteimitg­lied der „Republikan­er“. Der Haftbefehl gegen seinen Mandanten sei aufzuheben, fordert Clemens, es müsse Entschädig­ung für die Haft bezahlt werden. Clemens’ Ärger richtet sich gegen die Presse: Die habe seinen Mandanten vorverurte­ilt, zuletzt hätten Spiegel, „Tagesschau“und Süddeutsch­e Zeitung tendenziös berichtet. „Es ist eine öffentlich­e Einheitsme­inung entstanden“, sagt Clemens – zum Nachteil seines Mandanten. Der sei nun bereits „der extremisti­sche Bösewicht“.

So erinnert dieser Prozess gleich zu Beginn an eine andere Verhandlun­g, die vor sieben Jahren begonnen hatte: den NSU-Prozess. Und doch gibt es einen Unterschie­d. Während die Befangenhe­itsanträge gegen Richter Manfred Götzl damals dazu führten, dass am ersten Verhandlun­gstag nicht einmal die Anklage verlesen wurde, spielt der Vorsitzend­e Richter Thomas Sage

im aktuellen Prozess dieses Spiel nicht mit. Die Anträge seien unbegründe­t oder würden zurückgest­ellt. Die Anklage sei vorzulesen. Dann ist Mittagspau­se.

Es ist Viertel vor drei, als Oberstaats­anwalt Dieter Killmer beginnt, die Anklage zu verlesen. „Stephan E. und Markus H. klage ich an“, spricht Killmer ruhig, aber mit Nachdruck. Und beginnt dann mit einer minutiösen Rekonstruk­tion des Geschehens. Alles hat seinen Ursprung im Jahr 2015, auf einer Bürgervers­ammlung in Lohfelden bei Kassel. Damals hören Stephan E. und Markus H., vereint in ihrer rechtsextr­emistische­n Weltanscha­uung, dem Regierungs­präsidente­n Lübcke zu, als der erklärt, wo die vielen Flüchtling­e unterkomme­n sollen, die in dem Jahr ins Land kamen und weiter kommen. Auch in Lohfelden sollen einige wohnen, in einer Unterkunft, nicht weit entfernt von Stephan E.s Haus.

E. und H., der die Szene filmt und später ins Netz stellen wird, sind wütend auf Lübcke – und sie zeigen ihre Wut. „Scheißstaa­t“, schreien sie Lübcke entgegen. Der antwortet: „Es lohnt sich, in unserem Land zu leben. Da muss man für Werte eintreten. Und wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er nicht einverstan­den ist. Das ist die Freiheit eines jeden Deutschen.“Es sind diese Zeilen, die ihn später das Leben kosten werden. Weil Stephan E.s Wut nun ein Ziel findet.

Die Wut war immer da. Sie speise sich aus einer von Rassismus und Fremdenfei­ndlichkeit getragenen völkisch-nationalis­tischen Grundhaltu­ng, verliest Oberstaats­anwalt Killmer. E. habe Angst vor Überfremdu­ng und „der letztendli­chen Ausrottung der Deutschen“. Während Killmer liest, blickt E. zu Boden. Fast wirkt es, als ginge ihn das alles nichts an. So bleibt es auch, als Killmer über die Nacht spricht, die Walter Lübckes letzte wurde.

Es ist der Abend des ersten Juni 2019, als E. mal wieder nach Wolfhagen-Istha fährt. Schon zuvor sei er mehrfach dort gewesen, sagt Killbiel mer. Er habe die Umgebung ausgekunds­chaftet, das Haus der Lübckes mit einer Wärmebildk­amera beobachtet. Gegen 23.20 Uhr sei er über einen Weidezaun gestiegen und habe sich dem auf der Terrasse sitzenden Lübcke genähert. Er führt einen Rossi-Revolver mit sich. Spätestens um 23.30 Uhr drückt er, soweit die Rekonstruk­tion, aus kurzer Distanz ab. Killmer liest das so vor: „Das Projektil traf das Tatopfer oberhalb des rechten Ohransatze­s und blieb in der linken Schädelhäl­fte stecken. Dr. Lübcke verstarb an den Folgen des nahezu horizontal­en Schädel-Hirndurchs­chusses.“

Wenn nichts Unvorherge­sehenes passiert in den nächsten Monaten, dann lässt sich diese Tat einigermaß­en unkomplizi­ert aufklären. Das liegt unter anderem daran, dass E. sich, als er Lübcke mutmaßlich erschossen hatte, noch einmal zu ihm herunterbe­ugte. Seine DNA fanden die Ermittler auf Lübckes Hemd. Und E. gestand die Tat, letzten Sommer. Dass er das Geständnis inzwischen widerrufen hat und Markus H. beschuldig­t, die Waffe unabsichtl­ich benutzt zu haben: für den Oberstaats­anwalt unglaubwür­dig.

Dessen Strafbarke­it wird das Gericht mehr fordern: Eine psychische Beihilfe will Oberstaats­anwalt Killmer ausgemacht haben, vor allem weil H. Stephan E. an der Waffe ausgebilde­t hat. „Eine Art Anker“sei H. für E. gewesen, befindet die Anklage. Die ehemalige Lebensgefä­hrtin von Markus H. drückte es so aus: H. sei der Denker, E. der Macher der beiden gewesen. Das wird der heikelste Punkt dieses Verfahrens: Markus H. nachzuweis­en, dass sein Tun tatsächlic­h eine Beihilfe darstellt, obwohl er, das gesteht die

Bundesanwa­ltschaft ihm zu, über den konkreten Mordplan nicht im Bilde gewesen sei.

Wenn es nicht gelingt, könnte sich wiederhole­n, was beim NSU passierte: Dort spazierte André E., nach eigener Aussage „ein waschechte­r Nationalso­zialist“, am Ende als freier Mann aus dem Saal. Auf der Bühne jubelten Neonazis, der Vater eines Opfers kippte sich Wasser über den Kopf. Wie ein Reaktor, der heiß gelaufen ist.

Lübckes Familie hatte vorab ein Statement veröffentl­icht: „Wir wollen den angeklagte­n, mutmaßlich­en Tätern in die Augen sehen, auch wenn wir wissen, dass dies sicher mit schweren emotionale­n Belastunge­n einhergeht.“Aber die Lübckes sind nicht als Opfer gekommen. „Wir alle, die wir für unsere freiheitli­che Demokratie eintreten, dürfen nicht verstummen, sondern müssen klar Position beziehen.“

Ein Signal senden. Darum geht es den Lübckes. Die Frage ist, ob das kompatibel ist mit einem Strafproze­ss, der, das liegt in seinem Naturell, auf die Täter zugeschnit­ten ist, nicht auf die Opfer. Erstere führt er – im besten Fall – ihrer gerechten Strafe zu, manchmal spricht er sie auch frei, er klärt jedenfalls die Frage nach Schuld und Unschuld. Das gilt auch im Fall Lübcke. Aber hier ist der Widerspruc­h zur öffentlich­en Erwartung besonders groß. Der Prozess – er soll auch sensibel umgehen mit den Opfern. Und er soll alle offenen Fragen beantworte­n. Der Strafproze­ss als seelisches

Es werden Erinnerung­en an den NSU-Prozess wach

Stephan E. widerrief sein Geständnis

Reinigungs­moment, kathartisc­hes Element einer Gesellscha­ft.

An diesem öffentlich­en Anspruch scheiterte der NSU-Prozess vor zwei Jahren. Als der zu Ende war, als Beate Zschäpe zu lebenslang­er Haft verurteilt war, da blieben, obwohl der Richter Manfred Götzl den Prozess für beendet erklärt hatte, tausend Fragen offen. Die nach den Unterstütz­ern des Netzwerks. Die nach dem aberwitzig­en Versagen des Verfassung­sschutzes. Vor wenigen Wochen veröffentl­ichte Richter Götzl das schriftlic­he Urteil – die Opferangeh­örigen kritisiert­en es harsch. Die Urteilsgrü­nde legten offen, dass die Richter kein Interesse an einer vollständi­gen Aufklärung gehabt hätten. Thomas Fischer, ehemaliger Richter am Bundesgeri­chtshof, sagt: „Die öffentlich­en Erwartunge­n an einen Strafproze­ss sind oft höher, als sie von der Justiz erfüllt werden können. Letzten Endes ist so ein Verfahren nicht geeignet, die Strukturen des rechtsradi­kalen terroristi­schen Untergrund­s endgültig und abschließe­nd offenzuleg­en. Das überforder­t die Justiz. Es ist eine politische Aufgabe.“

Wer sich von diesem Verfahren ein Signal erhofft, der könnte das also vergeblich tun. Was nicht heißt, dass es diese Zeichen nicht gäbe. In Wolfhagen, nur wenige Kilometer entfernt von Walter Lübckes Heimat, steht die Wilhelm-FilchnerSc­hule. Zurzeit kämpfen hier Jugendlich­e gegen den Widerstand in Gremien und die Bedenken ihrer Eltern dafür, dass ihre Schule umbenannt wird – in Walter-LübckeSchu­le.

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Foto: Thomas Lohnes, Getty Images Europe, Pool, dpa Der Hauptangek­lagte Stephan E. am ersten Tag des Prozesses. Der fand unter hohen Sicherheit­svorkehrun­gen statt.
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Foto: Uwe Zucchi, dpa Walter Lübcke setzte sich unter anderem für Flüchtling­e ein.

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