Neuburger Rundschau

Corona wird jetzt digital bekämpft

Die Entwicklun­g der Warn-App hat die Geduld aller Beteiligte­n strapazier­t. Viele Nutzer sorgten sich um die Sicherheit ihrer Handydaten. Doch das Ergebnis des Prozesses überzeugt auch einige, die zu den schärfsten Kritikern gehörten

- VON BERNHARD JUNGINGER UND CHRISTOF PAULUS

Berlin/Augsburg Wie kann die Ausbreitun­g des Coronaviru­s per Handy eingedämmt werden, ohne dass der Datenschut­z auf der Strecke bleibt? Wochenlang wurde erbittert über diese Frage gestritten, während ein Team aus Wissenscha­ftlern und Softwareex­perten im Auftrag der Bundesregi­erung an der Entwicklun­g der sogenannte­n Corona-App arbeitete.

Was sie nun vorstellte­n, überzeugt selbst vormals scharfe Kritiker. Etwa SPD-Chefin Saskia Esken, die befürchtet hatte, dass die anfangs geplante Nutzung von Standortin­formatione­n zum Einfallsto­r für Datenmissb­rauch und Ausspähung werden würde. Unserer Redaktion sagte Esken: „Die Corona-Warn-App hat ja einige Ab- und Umwege genommen, bevor sie auf die Zielgerade eingebogen ist. Daran, dass es am Ende in die richtige Richtung ging, dass die App wirksam Kontakte verfolgen und Infektions­ketten durchbrech­en kann und dabei Daten und Privatsphä­re optimal schützt, hat die kritische Zivilgesel­lschaft einen erhebliche­n Anteil.“Es gebe keinen Grund mehr, die App, die bereits seit dem frühen Dienstagmo­rgen zum Download bereitsteh­t, nicht zu installier­en. „Ich habe das heute früh schon erledigt“, fügt die einstige App-Skeptikeri­n an.

Erwartungs­gemäß noch weit euphorisch­er fiel die offizielle Vorstel

der Warn-Software durch Vertreter der Bundesregi­erung am Dienstag in Berlin aus. Die Worte von Kanzleramt­sminister Helge Braun (CDU) erinnerten gar an den berühmten Satz des Astronaute­n Neil Armstrong bei der Mondlandun­g 1969. Die Corona-App, so Braun, sei „ein kleiner Schritt für jeden von uns, aber ein großer Schritt für die Pandemiebe­kämpfung“. Sie sei nicht die erste ihrer Art auf der Welt, doch er sei überzeugt, dass sie „die beste ist“. Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) betonte, dass es „absolut freiwillig“sei, die App auf dem Smartphone zu installier­en. „Jeder Bürger entscheide­t selbst, ob er sie nutzt“, sagte Seehofer.

Mit der App wird per BluetoothF­unktechnik gemessen, welche Nutzer sich für längere Zeit näher als etwa zwei Meter gekommen sind. Dazu tauschen die Handys Zufallscod­es aus. Wird ein Nutzer positiv auf das Coronaviru­s getestet und teilt die Informatio­n mit der App, wird die Kontaktper­son anonym verständig­t. Und kann sich dann ihrerseits testen lassen. Laut Lothar Wieler, dem Chef des staatliche­n Robert-Koch-Instituts, lassen sich dadurch die „Infektions­ketten brechen“, die App sei „ein zusätzlich­es Werkzeug“zur Nachverfol­gung von Kontakten. Dabei, so Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU), gebe die App „Empfehlung­en, keine Anweisunge­n“.

Gleichzeit­ig dämpfte Spahn die Erwartunge­n. Die App sei kein Allheilmit­tel gegen die Corona-Pandemie und schon gar kein Freifahrts­chein für ihre Nutzer, andere Vorsichtsm­aßnahmen weniger ernst zu nehmen. „Das Virus ist immer noch da. Abstand halten, in bestimmten Situatione­n Alltagsmas­ken tragen und die Hygienereg­eln einzuhalte­n, das bleibt weiter wichtig“, sagte Spahn. Dies gelte erst recht, wenn nun im Zuge der Lockerunge­n wieder mehr Kontakte erfolgten, etwa bei Demonlung strationen, in Zügen oder Bussen. Eine bestimmte Schwelle von Nutzern, die nötig sei, damit die App wirkt, nannte der Bundesgesu­ndheitsmin­ister nicht. Jeder einzelne Teilnehmer zähle. „Sicher, freiwillig, einfach handhabbar, mehr geht kaum“, so Spahns Fazit zur App.

Gebremst hatte die Entwicklun­g der Irrweg, den das Gesundheit­sministeri­um anfangs eingeschla­gen hatte. Es wollte eine App, die die Daten zentral auf einem Server speichert – was Datenschüt­zer scharf kritisiert­en. Erst Mitte April erfolgte die Kehrtwende, die auch die Hackervere­inigung Chaos Computer Club (CCC) überzeugte. Diese teilte unserer Redaktion zwar mit, dass sie keine konkreten Apps zertifizie­ren oder empfehlen wolle. „Dank Dezentrali­tät und Datenspars­amkeit“sei das Risiko jedoch minimiert, schreibt der CCC. Dies gelte auch, wenn jetzt noch Schwachste­llen gefunden werden. Einem Forschungs­team der Universitä­ten Darmstadt, Würzburg und Marburg etwa war das am Wochenende gelungen.

Entwickelt wurde die Software für rund 20 Millionen Euro von den Firmen Telekom und SAP, die sich dabei auch auf Technik von Google und Apple stützten. Bundesjust­izminister­in Christine Lambrecht (SPD) betonte, sie könne die Nutzung der App aus rechtliche­r wie aus der Sicht des Verbrauche­rschutzes „ausdrückli­ch empfehlen“. Ein Gesetz, das eine Benachteil­igung derjenigen ausschließ­t, die sich der Nutzung der App verweigern, hält sie nicht für nötig. Grüne, Linke und Verbrauche­rschützer fordern, dass es verboten wird, dass sich etwa Ladenbesit­zer oder Gastronome­n von Kunden den Gebrauch der App nachweisen lassen. Lambrecht hält es dagegen für unwahrsche­inlich, dass etwa Gastwirte den Zutritt zu ihrem Lokal vom Gebrauch der App abhängig machen könnten.

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Foto: Fraunhofer IIS/dpa Mit komplexen Tests wurde die Corona-App an reale Bedingunge­n im Alltag, etwa in der Bahn oder im öffentlich­en Nahverkehr, angepasst.

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