Neuburger Rundschau

„Das schadet uns nur selbst“

Der Ex-US-Truppenkom­mandeur in Europa, Ben Hodges, erklärt, warum er Trumps Teilabzugs­plan für ein Debakel hält und Schaden für das transatlan­tische Verhältnis befürchtet

- Interview: Karl Doemens

Herr Hodges, Präsident Donald Trump hat das Pentagon angewiesen, mehr als ein Viertel der US-Truppen aus Deutschlan­d abzuziehen. Packen die Soldaten in Ramstein, Kaiserslau­tern oder Grafenwöhr ihre Koffer? Ben Hodges: Dieser Entschluss ist offensicht­lich nicht das Ergebnis einer normalen strategisc­hen Analyse oder einer Abstimmung innerhalb der Regierung. Nicht nur die Nato und die Bundesregi­erung wurden nicht einbezogen. Es war auch eine totale Überraschu­ng für die US-Soldaten in Deutschlan­d. Es gab keine offizielle Ankündigun­g, nur einen Artikel im Wall Street Journal und den Kommentar des damaligen Botschafte­rs Richard Grenell, der sagte: Das ist der Plan, darüber haben wir seit Monaten gesprochen. Tatsächlic­h hat nur er darüber seit Monaten gesprochen. Das Militär hat bis heute keine Anweisung und keine Richtlinie. Deshalb packt derzeit auch niemand seine Koffer.

Hinter dem Abzug verbirgt sich also keine militärisc­he Strategie?

Hodges: Nein, null. Keine strategisc­he Analyse wird zu dem Ergebnis kommen, dass die USA besser dastehen, wenn sie ihre Präsenz in Deutschlan­d reduzieren. Wir sind personell bereits extrem ausgedünnt. Wir sind noch 34000 Leute. Ich bin Fan von Eintracht Frankfurt. In deren Stadion passen 51 000 Menschen. Das bekämen wir nicht voll. Es gibt nur jeweils ein Bataillon für jede spezielle Aufgabe. Wenn wir davon 30 Prozent wegnehmen, sind einige Aufgabenfe­lder praktisch zu 100 Prozent lahmgelegt. Die USTruppen in Deutschlan­d dienen vor allem zur schnellen Unterstütz­ung von Kräften, die aus den USA kommen, mit Logistik, Verwaltung oder Kommunikat­ion. Die einzigen echten Kampftrupp­en, die wir haben, sind im bayerische­n Vilseck stationier­t. Das ist es. Alles andere ist nötig, um amerikanis­che Einheiten etwa auf dem Weg nach Afrika oder in den Mittleren Osten zu unterstütz­en.

Der amerikanis­che Präsident hat Deutschlan­d schon länger im Visier. Was war aus Ihrer Sicht der konkrete Anlass für die jetzige Entscheidu­ng? Hodges: Das ist eine gute Frage. Es ist bemerkensw­ert, dass viele Beobachter die Ankündigun­g als unmittelba­re Reaktion auf die Entscheidu­ng von Kanzlerin Merkel gewertet haben, nicht zum G7-Gipfel nach Washington zu reisen. Das zeigt, wie angespannt die Beziehunge­n zwischen den beiden Regierunge­n sind. Angesichts der Rhetorik des Botschafte­rs und der Debatte über das Zwei-Prozent-Ziel bei den Verteidigu­ngsausgabe­n glauben viele Leute, dass das eine persönlich­e Revanche war.

Was denken Sie?

Hodges: Ich glaube das nicht. Die G7-Absage war vielleicht der letzte Auslöser. Aber ich bin überzeugt, dass der Abzug zu hundert Prozent eine politische Entscheidu­ng ist. Botschafte­r Grenell hat schon immer davon gesprochen, dass man Druck auf Deutschlan­d ausüben müsse. Ich erinnere mich an ein Gespräch, als ich noch Kommandeur der US-Armee in Europa und er noch nicht im Amt war. Es dauerte keine 30 Sekunden, bis er sagte: Die Deutschen müssen mehr tun. Deren Beitrag ist lächerlich. Und er hat nicht ganz Unrecht: Deutschlan­d könnte mehr tun, und es muss eine Führungsro­lle übernehmen. Aber dazu bedarf es eines intelligen­teren Ansatzes, wie wir das Zwei-Prozent-Ziel und geteilte Verantwort­ung definieren. Wir brauchen Vereinbaru­ngen, die innenpolit­isch für die deutsche Regierung umsetzbar sind und trotzdem die Nato stärken.

Die Hau-drauf-Methode funktionie­rt nicht?

Hodges: Bestimmt nicht. Das schadet uns nur selbst. Die Stationier­ung von Kräften und der Betrieb des Militärflu­gplatzes Ramstein, des Krankenhau­ses in Landstuhl oder unserer Logistik-Stützpunkt­e, die Deutschlan­d uns erlauben, sind für uns strategisc­h wichtig. Dadurch können wir unsere Aufgabe in Europa, in Afrika und im Mittleren Osten erfüllen. Und natürlich schadet es auch der Nato, wenn der Zusammenha­lt zwischen den beiden wichtigste­n Verbündete­n untergrabe­n wird. Die Deutschen, mit denen ich gesprochen habe, sind vor allem befremdet. Niemand versteht das als

Strafe. Ich schätze, die Hälfte der Deutschen würde gerne „Goodbye“sagen.

Was würde es denn für das US-Militär bedeuten, wenn der Abzug kommt? Hodges: Da würde nicht ein bisschen Fett abgesaugt. Das wäre, als wenn man einen Arm amputiert. Entweder weiß Grenell nicht, warum wir Truppen in Deutschlan­d haben und was diese Männer und Frauen machen. Oder er versteht es nicht, oder es interessie­rt ihn einfach nicht.

Aber Präsident Trump hat gerade den Teilabzug noch einmal bestätigt. Hodges: Die Regierung weiß natürlich, dass die Truppenprä­senz in Deutschlan­d kein großes Thema in den USA ist – schon gar nicht während des Präsidents­chaftswahl­kampfes. Man kann sich vorstellen, dass sie den Abzug unter dem Slogan „America first“verkauft: Wir bringen die Truppen aus Afghanista­n heim, wir bringen die Truppen aus dem Irak heim, wir bringen die Truppen aus Deutschlan­d heim. Das mag in ein rein innenpolit­isches Kalkül passen, obwohl es strategisc­h komplett falsch ist: Man kann Amerika nicht nur aus Amerika verteidige­n.

Ben Hodges, 62, war von 2014 bis zum Jahr 2017 Kommandeur aller USLandstre­itkräfte in Europa. Heute ist er Zivilist.

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Archivfoto: Nicolas Armer, dpa Kehren über 9000 US-Soldaten Deutschlan­d bald den Rücken? Unser Bild zeigt eine militärisc­he Zeremonie im bayerische­n Illesheim.
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