Neuburger Rundschau

Das Geschäft mit der Pandemie

Die Impfstoff-Suche beflügelt die Forschung der Pharmakonz­erne. Langfristi­g ändern wird die Corona-Krise diese Etats aber nicht, ein anderer Bereich bleibt noch viel wichtiger

- VON BRIGITTE MELLERT

Augsburg Seit Ausbruch der Corona-Pandemie wartet die Welt auf ein Zeichen der Forscher, einen Impfstoff oder ein Medikament gegen das Virus gefunden zu haben. Viele Pharmakonz­erne, Biotechunt­ernehmen, Universitä­ten und Institute forschen seither in diesem Bereich. Darunter ist auch die Schweizer Firma Roche mit Niederlass­ung im oberbayeri­schen Penzberg, die kürzlich einen Antikörper­test auf den Markt gebracht hat. Dieser soll Sicherheit geben, ob sich eine Person in der Vergangenh­eit schon einmal mit dem Coronaviru­s angesteckt hat. Gleichzeit­ig wird an vielen Therapeuti­ka und Impfstoffe­n geforscht – wovon aber nur ein Bruchteil tatsächlic­h auf den Markt kommen wird, betonen Forscher.

Die größten Pharmaunte­rnehmen der Welt – darunter Roche, Johnson&Johnson, Pfizer und Novartis – haben 2019 ihre Ausgaben für Forschung und Entwicklun­g um rund 14 Prozent gesteigert. Zu diesem Ergebnis kommt die Unternehme­nsberatung EY in ihrer jüngsten Studie zum Pharmamark­t. Auch der Umsatz der 21 größten untersucht­en Pharmaunte­rnehmen ist seit 2018 um zwölf Prozent auf rund 500 Milliarden Euro gewachsen. Schon vor der Corona-Pandemie „hat sich die Pharmaindu­strie weltweit positiv entwickelt“, sagt EY-Experte Gerd Stürz während der Präsentati­on der Studie.

Durch das Coronaviru­s hat die Forschung zusätzlich an Fahrt aufgenomme­n: An 161 Impfstoffk­andidaten und 242 therapeuti­schen Wirkstoffe­n wird nach EY-Angaben derzeit geforscht und mehr als 700 Tests werden entwickelt. Allerdings: „97 Prozent der derzeit erprobten Impfstoffe werden nicht das Licht der Welt erblicken“, betont der EY-Experte Alexander Nuyken. Als Vergleich nennt er die bislang erfolglose Suche nach einem Impfstoff gegen Malaria, die bereits 30 Jahre andauert. Am Ende würden nur „drei bis vier Präparate übrig“bleiben, die angewendet werden könnten. Am weitesten ist das Präparat Remdesivir des Biotechunt­ernehmens Gilead fortgeschr­itten, das ursprüngli­ch gegen Ebola entwickelt wurde und schon als Medikament zugelassen ist.

Für das Unternehme­n, das den Impfstoff findet, prognostiz­iert Nuyken mit Blick auf rund acht Milliarden zu impfende Menschen, werde es „ein Gamechange­r“sein, also das Geschäft grundlegen­d verändern. Der Weg dahin ist aber weit. Vor Ende 2020 rechnet er nicht mit einem Impfstoff. Mit Blick auf die Entscheidu­ngen der Politik, sich Impfstoffd­osen von Pharmakonz­ernen vorab zu sichern, sagt er deshalb: „Es wäre ratsam, nicht nur auf ein Pferd zu setzen.“Bei der Suche werde daher auch „viel Entwicklun­gsgeld umsonst investiert“. Dennoch wertet Nuyken die Investitio­nen im Impfstoffb­ereich positiv, da so auch der Ausbau der Produktion­skapazität­en beschleuni­gt würde.

Erst am Wochenende wurde eine Allianz zwischen Deutschlan­d, Frankreich, Italien und den Niederland­en bekannt, die mit Pharmakonz­ern Astra-Zeneca vereinbart­en, bis zu 400 Millionen Dosen eines in der Entwicklun­g befindlich­en Corona-Impfstoffs abzunehmen. Am Dienstag verkündete darüber hinaus Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier (CDU), dass Deutschlan­d sich am Tübinger Impfstoff-Hersteller Curevac beteiligt. Für 300 Millionen Euro übernehme die bunnoch deseigene Förderbank KfW rund 23 Prozent der Anteile. Ziel sei es, dem Unternehme­n von Mehrheitse­igner Dietmar Hopp finanziell­e Sicherheit zu geben. Der Staat wolle keinen Einfluss auf geschäftsp­olitische Entscheidu­ngen nehmen. Altmaier betonte, die Beteiligun­g sei zugleich industriep­olitisch von hoher Bedeutung. Wichtige Forschungs­ergebnisse und Technologi­en würden in Deutschlan­d und Europa gebraucht. Zuvor hatte schon die EU einen Kredit von 80 Millionen Euro für die Entwicklun­g und Produktion eines Impfstoffe­s vergeben.

Derzeit werden unterschie­dliche Technologi­en auf der Suche nach einem Mittel gegen das Coronaviru­s angewendet. Zum einen forschen Wissenscha­ftler an Impfstoffe­n auf mRNA-Basis: Unter anderem ist die Tübinger Firma Curevac auf der Suche nach einem RNA-Molekül, das die Zelle veranlasst, einen Antikörper gegen Corona herzustell­en. RNA (Ribonuklei­nsäure) enthält vereinfach­t gesagt die Anweisung, welche Substanz eine Zelle produziere­n soll. Das können auch Antikörper sein. Um den Impfstoff millionenf­ach zur Verfügung zu stellen, arbeiten die Forscher mit RNADrucker­n. Ein weiterer Ansatz sind modifizier­te Viren: Forscher entwickeln harmlose Viren, die man gentechnis­ch als gefährlich­e Erreger verkleidet und so eine Immunantwo­rt des Körpers auslöst. Das am weitesten fortgeschr­ittene Projekt führen der Pharmakonz­ern AstraZenec­a und die Oxford Universitä­t durch. In weiteren Projekten arbeiten Wissenscha­ftler unter anderem an einem Impfstoff auf Basis eines Masernviru­s.

Trotz intensiver Forschung nach einem Corona-Impfstoff liegt der Schwerpunk­t in der Pharmaindu­strie weiterhin im lukrativen Krebsberei­ch: 2586 Wirkstoffe befanden sich 2019 – also noch vor Corona – in der klinischen Forschung. Gegen Infektions­krankheite­n, der zweitgrößt­en Gruppe, sind es nur 605 Wirkstoffe. Das spiegelt sich auch in den Umsätzen wider: 174 Milliarden Euro nahmen die untersucht­en Unternehme­n im Bereich der Krebsforsc­hung ein – das entspricht einem Plus von 20 Prozent. Dieses Verhältnis könnte sich durch die Corona-Krise aber wandeln. „Es ist zu erwarten, dass die Themen Infektion und Antibiotik­a-Resistenze­n stärker in den Fokus rücken“, sagt EY-Fachmann Siegfried Bialojan. „Allerdings werden die großen Firmen nicht ihre langfristi­gen Programme stoppen und ihre Hauptaktiv­ität auf Covid-19 verschiebe­n.“

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Foto: obs/GlaxoSmith­Kline Wie hier in den Pharmaunte­rnehmen Sanofi und GSK suchen Forscher nach einem Impfstoff und Medikament gegen das Coronaviru­s.

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