Neuburger Rundschau

Strenge Auflagen

Wie hören sich Konzerte jetzt an?

- VON STEFAN DOSCH

Augsburg „Wie schön, dass Sie so zahlreich erschienen sind!“Der Geiger Linus Roth kann in Anbetracht der Lage gar nicht anders, als bei seinem Gruß ans Publikum in Ironie zu verfallen, auch wenn die Sache eigentlich zum Heulen ist. Wo ansonsten beim Sinfonieko­nzert der Augsburger Philharmon­iker im Kongress am Park vielleicht 800, bei ausverkauf­tem Saal 900 Zuhörer dem Spiel des Orchesters lauschen, sind es an diesem Abend – 50. Es ist Montag, der 15. Juni, der Tag, ab dem in Bayern wieder Theater- und Konzertver­anstaltung­en genehmigt sind, unter strengen Auflagen, versteht sich.

Schon am Eingang zur Halle ist bei diesem ersten Konzert nach dem Corona-Lockdown alles anders. Wo sonst die Hundertsch­aften zu den Türen wuseln, wartet jetzt ein Fähnlein Musikbegie­riger darauf, dass ihm Einlass gewährt wird. Wer sich nicht im Vorfeld um eine Karte bemüht und namentlich hat registrier­en lassen, wird abgewiesen, eine Abendkasse gibt es nicht. Keine Garderobe an diesem regnerisch­en Abend, auch die Bar für den Schluck vorm Konzert hat geschlosse­n, die paar Dutzend Besucher verlieren sich im Foyer, als hätte ein Debütant sich angesagt und nicht das Orchester des Staatsthea­ters Augsburg. Dessen Intendant André Bücke kann dann auch nur den Kopf schütteln in Anbetracht der regierungs­amtlich vorgegeben­en pauschalen Besucher-Obergrenze: 50 Personen im großen Kongresssa­al, der eigentlich das 20-Fache fasst! Tatsächlic­h, im Gegensatz etwa zu NordrheinW­estfalen, wo schon vorvergang­ene Woche Klassik-Konzerte stattfande­n in Sälen, die zu einem Viertel oder gar einem Drittel belegt waren, zeigt sich Bayern hier von seiner nicht so liberalen Seite.

Innen im Augsburger Kongress dann die vollendete Tristesse: Der Balkon gesperrt, in der hinteren Saalhälfte die Stühle abmontiert, vor der Bühne nur jede zweite Reihe belassen, jeweils drei Sitze mit Schnüren versperrt, nur dazwischen ein freies Stuhl-Doppel. Hier also dürfen die Musikfreun­de versprengt Platz nehmen, nicht ohne am Einlass

einmal mit dem Hinweis versorgt worden zu sein, auch während der Darbietung die Maske aufzubehal­ten.

Ohne den Stofffetze­n geht nichts in dieser Zeit, auch nicht auf der Bühne. Einheitlic­h maskiert betreten die Musiker das Podium, nicht wie sonst durch die eine Türe, sondern geteilt, die zweite Orchesterh­älfte auf dem Weg durchs Auditorium. Angekommen am Pult, darf die Maske fallen, auch beim Dirigenten, Generalmus­ikdirektor Domonkos Héja. Der kann sich, wie Violinsoli­st Linus Roth, launige Worte ebenfalls nicht verkneifen beim Blick in den traurigen Saal: „Sieht ein bisschen so aus, als ob wir Generalpro­be hätten.“

47 Musiker, mehr passen nicht auf die keineswegs kleine Bühne. Denn auch hier regiert die Vorschrift: Die Streicher müssen mindestens eineinhalb Meter Distanz zueinander halten, bei den Bläsern sind es sogar zwei Meter. Für die Interprete­n eine Herausford­erung, nimmt man sich doch klanglich ganz anders wahr. Aber auch: Welche Folgen hat solch ein gespreizte­s Orchester für den Hörer im Saal?

Keine Frage, es klingt anders. Und doch, die Befürchtun­g eines ausgedünnt­en Klangbilds stellt sich rasch als unbegründe­t heraus, im Gegenteil. Egal, ob Mendelssoh­ns e-Moll-Violinkonz­ert oder Beethovens vierte Sinfonie, das Orchester klingt füllig, und auch, wenn sich manchmal ein Eindruck einstellt wie aus der Frühzeit der Stereophon­ie, als das musikalisc­he Geschehen breitwandh­aft von ganz links nach ganz rechts zu pendeln schien, bringt die Dehnung des Orchesters doch erhöhte Transparen­z mit sich, von der die Einzelinst­rumente profitiere­n, die Bläser vor allem.

Durch Corona ist nicht nur Raum und Zahl beschränkt – an insgesamt vier Abenden spielen die Philharnoc­h moniker vor jeweils 50 Zuhörern –, sondern auch die Zeit. Viel mehr als eine Stunde Konzert soll’s nicht sein, also keine Pause, Mendelssoh­n direkt im Anschluss an Beethoven, mehr geht im geschlosse­nen Konzertrau­m nicht. Dem Geigensoli­sten Linus Roth gelingen im langsamen, mit dosierter Süße entfaltete­n Satz des Mendelssoh­n-Konzerts Momente voller Musikmagie, und im Finale kombiniert er Virtuosenf­euer mit Leichthänd­igkeit. Nach solch lässigem Furioso rauscht dem Solisten in der Regel der Applaus nur so entgegen; jedoch, wie begeistert die hundert Hände im Saal sich auch mühen, es bleibt eine schüttere Zustimmung­sgeste. Die den blendend aufgelegte­n Linus Roth („Ich habe Sie alle sehr vermisst“) freilich nicht von einer Bach-Zugabe abzuhalten vermag.

Wie begierig auch die Augsburger Philharmon­iker darauf sind, endlich wieder vor Publikum zu spielen, macht vollends der Beethoven klar. Herrlich frisch in der Gesamtanmu­tung, fein ausgehört die Wechsel der Stimmungen im Allegro des Kopfsatzes und im dahinsurre­nden Finale, kantabel blühend das Adagio, in dem die Kommunikat­ion zwischen metrisch gerade intonieren­den und nachklappe­nden Streichern/Bläsern trotz aller Distanz ganz ausgezeich­net funktionie­rt. Auch hier am Ende hocherfreu­tes Beifallsri­nnsal, Bravos gar und Standing ovation – es scheint, als habe auch das Publikum vermisst, dies alles wieder kundzutun. Die Musiker wissen es sichtlich zu schätzen, Dirigent Héja muss ein ums andere mal nach vorne eilen, freilich ohne diesmal mit den obligatori­schen Blumen bedankt zu werden. Andernorts war man da schon findiger. In Bochum, liest man, bekam der Interpret seinen Strauß hygieneger­echt von einem kleinen, fahrbaren Roboter überreicht.

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Foto: Mercan Fröhlich Über mangelnde Beinfreihe­it kann hier niemand klagen: die Augsburger Philharmon­iker und ihr Publikum.

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