Goldfinger: Neue Schlappe für Anklage
Befangenheitsantrag gegen Richter ist unzulässig. Das Verfahren um Steuerhinterziehung kann weitergehen. Doch hinter den Kulissen gibt es eine Zerreißprobe bei der Augsburger Justiz
Augsburg Der spektakuläre Goldfinger-Prozess um womöglich milliardenschwere Steuerhinterziehung kann weitergehen. Das Landgericht Augsburg hat den Befangenheitsantrag der Staatsanwaltschaft gegen den Vorsitzenden Richter der 10. Strafkammer als unzulässig verworfen, weil er zu spät gestellt worden sei. Zudem sei der Antrag unbegründet. Das teilte das Landgericht am Dienstagnachmittag mit. Extrem spannend bleibt es trotzdem. Schon am Mittwoch stehen weitere Entscheidungen an.
Der Gerichtsbeschluss ist eine doppelte Niederlage für die Staatsanwaltschaft. Zum einen haben die Richter entschieden, dass die Anklagebehörde ihren Antrag verspätet gestellt hat. Nach der Strafprozessordnung muss ein sogenanntes Ablehnungsgesuch „unverzüglich“gestellt werden. Es gelten strenge Maßstäbe. Die Staatsanwaltschaft hatte sich dafür zwei Tage Zeit gelassen. Zu lange, befand das Landgericht nun. Der Befangenheitsantrag hätte nach Ansicht der Richter spätestens am Tag nach den umstrittenen Äußerungen von Johannes Ballis gestellt werden müssen. Daher sei der Antrag unzulässig.
Zum anderen beschäftigten sich die Richter auch mit der Frage, ob eine „Besorgnis der Befangenheit“beim Vorsitzenden Richter der 10. Strafkammer vorliegt. Und auch hier kommen sie zu einem anderen
Schluss als die Staatsanwaltschaft. Richter Ballis sei nicht befangen. Seine Ausführungen seien vorläufige Einschätzungen und „ersichtlich abgewogen“. Die Richter kritisieren zudem, dass die Staatsanwaltschaft in ihrem Befangenheitsantrag wesentliche Passagen der Stellungnahme unberücksichtigt gelassen habe. Beziehe man diese mit ein, werde klar, dass Richter Ballis eine „ausgewogene“und „neutrale“Haltung gegenüber allen Prozessbeteiligten habe. Verteidiger Richard Beyer kommentierte den Gerichtsbeschluss
mit den Worten: „Die Staatsanwaltschaft ist nicht mal in der Lage, einen richtigen Befangenheitsantrag zu stellen.“
Über den Antrag haben die beiden Beisitzer der 10. Strafkammer mit einem Richter aus einer anderen Kammer entschieden. Die drei Berufsrichter sind mehrheitlich der Ansicht, dass sich ihr Kollege Ballis mit einem 30-seitigen Statement und einer vorläufigen Einschätzung des Verfahrens vom 27. Mai nicht befangen gemacht hat. Ballis hatte vorgeschlagen, das Verfahren gegen zwei Münchner Rechtsanwälte gegen Auflagen einzustellen. Die Staatsanwaltschaft hatte ihm daraufhin in einem Befangenheitsantrag vorgeworfen, seine Neutralität verletzt zu haben und nicht mehr unvoreingenommen zu sein. Obwohl die Beweisaufnahme noch lange nicht abgeschlossen sei, habe sich der Richter beim Schuldgehalt und zu erwartenden Strafen bereits festgelegt. Selbst zu Ermittlungsverfahren, in denen noch gar keine Anklage erhoben sei, habe er Position bezogen. Ein Befangenheitsantrag der Staatsanwaltschaft gegen Richter ist höchst selten. Normalerweise kommen solche Anträge von Verteidigern.
Das Augsburger Goldfinger-Verfahren macht seit Monaten bundesweit Schlagzeilen. Das liegt zum einen an der Summe, die im Raum steht: Mehr als eine Milliarde Euro könnte dem Fiskus vorenthalten worden sein. Steuergeld, das vor allem vermögende Bürger hätten zahlen müssen – vorausgesetzt, die Justiz würde das umstrittene Steuersparmodell als illegal einstufen. Und es liegt zum anderen an der hohen Zahl der Beschuldigten: Gegen mehr als 100 wird ermittelt, 20 wurden angeklagt. Mehrere Anwälte saßen in Untersuchungshaft.
Zwei von ihnen müssen sich seit Mitte November 2019 vor dem Augsburger Landgericht verantworten. Es handelt sich um die Anwälte Martin H., 48, und Diethard G., 46, aus München. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen vor, mit „Goldfinger“ein illegales Steuersparmodell entwickelt zu haben. Die Verteidigung bestreitet das vehement. Und nach den jüngsten Ausführungen des Vorsitzenden
Richters Ballis bezweifelt auch das Gericht, dass es sich eindeutig um ein illegales Modell gehandelt hat. Jedenfalls habe das die bisherige Beweisaufnahme nicht ergeben. Stattdessen müsse man von einer „Steuergestaltung im ,Grenzbereich‘“ausgehen – und davon, dass möglicherweise Grenzen „teilweise überschritten“worden seien. Eine Verurteilung der beiden Angeklagten sei laut Ballis daher „zwar möglich, aber alles andere als sicher“.
Der Entscheidung des Landgerichts über die Befangenheit ging nach Informationen unserer Redaktion eine wochenlange Machtprobe hinter den Kulissen der Augsburger Justiz voraus. Grob eingeteilt, gibt es zwei Lager: Die einen stützen die Argumentation der Staatsanwaltschaft zum Goldfinger-Modell und sind der Ansicht, dass sich Richter Ballis mit seiner Ansage zu weit aus dem Fenster gelehnt hat. Die anderen finden, dass die Staatsanwaltschaft in diesem Verfahren deutlich über die Stränge geschlagen hat und ihre Beweise für eine strafrechtlich relevante Steuerhinterziehung dürftig sind.
Mit der Entscheidung des Gerichts kann das Verfahren nun weitergehen. Und bereits am Mittwoch wird es wieder sehr spannend. Denn dann müssen sich Staatsanwaltschaft und Verteidigung zu dem Vorschlag von Richter Ballis äußern, das Verfahren gegen eine Geldauflage einzustellen. Diese Lösung wäre nur möglich, wenn beide Seiten zustimmen.
Staatsanwaltschaft hat sich zu viel Zeit gelassen