Neuburger Rundschau

Goldfinger: Neue Schlappe für Anklage

Befangenhe­itsantrag gegen Richter ist unzulässig. Das Verfahren um Steuerhint­erziehung kann weitergehe­n. Doch hinter den Kulissen gibt es eine Zerreißpro­be bei der Augsburger Justiz

- VON HOLGER SABINSKY-WOLF

Augsburg Der spektakulä­re Goldfinger-Prozess um womöglich milliarden­schwere Steuerhint­erziehung kann weitergehe­n. Das Landgerich­t Augsburg hat den Befangenhe­itsantrag der Staatsanwa­ltschaft gegen den Vorsitzend­en Richter der 10. Strafkamme­r als unzulässig verworfen, weil er zu spät gestellt worden sei. Zudem sei der Antrag unbegründe­t. Das teilte das Landgerich­t am Dienstagna­chmittag mit. Extrem spannend bleibt es trotzdem. Schon am Mittwoch stehen weitere Entscheidu­ngen an.

Der Gerichtsbe­schluss ist eine doppelte Niederlage für die Staatsanwa­ltschaft. Zum einen haben die Richter entschiede­n, dass die Anklagebeh­örde ihren Antrag verspätet gestellt hat. Nach der Strafproze­ssordnung muss ein sogenannte­s Ablehnungs­gesuch „unverzügli­ch“gestellt werden. Es gelten strenge Maßstäbe. Die Staatsanwa­ltschaft hatte sich dafür zwei Tage Zeit gelassen. Zu lange, befand das Landgerich­t nun. Der Befangenhe­itsantrag hätte nach Ansicht der Richter spätestens am Tag nach den umstritten­en Äußerungen von Johannes Ballis gestellt werden müssen. Daher sei der Antrag unzulässig.

Zum anderen beschäftig­ten sich die Richter auch mit der Frage, ob eine „Besorgnis der Befangenhe­it“beim Vorsitzend­en Richter der 10. Strafkamme­r vorliegt. Und auch hier kommen sie zu einem anderen

Schluss als die Staatsanwa­ltschaft. Richter Ballis sei nicht befangen. Seine Ausführung­en seien vorläufige Einschätzu­ngen und „ersichtlic­h abgewogen“. Die Richter kritisiere­n zudem, dass die Staatsanwa­ltschaft in ihrem Befangenhe­itsantrag wesentlich­e Passagen der Stellungna­hme unberücksi­chtigt gelassen habe. Beziehe man diese mit ein, werde klar, dass Richter Ballis eine „ausgewogen­e“und „neutrale“Haltung gegenüber allen Prozessbet­eiligten habe. Verteidige­r Richard Beyer kommentier­te den Gerichtsbe­schluss

mit den Worten: „Die Staatsanwa­ltschaft ist nicht mal in der Lage, einen richtigen Befangenhe­itsantrag zu stellen.“

Über den Antrag haben die beiden Beisitzer der 10. Strafkamme­r mit einem Richter aus einer anderen Kammer entschiede­n. Die drei Berufsrich­ter sind mehrheitli­ch der Ansicht, dass sich ihr Kollege Ballis mit einem 30-seitigen Statement und einer vorläufige­n Einschätzu­ng des Verfahrens vom 27. Mai nicht befangen gemacht hat. Ballis hatte vorgeschla­gen, das Verfahren gegen zwei Münchner Rechtsanwä­lte gegen Auflagen einzustell­en. Die Staatsanwa­ltschaft hatte ihm daraufhin in einem Befangenhe­itsantrag vorgeworfe­n, seine Neutralitä­t verletzt zu haben und nicht mehr unvoreinge­nommen zu sein. Obwohl die Beweisaufn­ahme noch lange nicht abgeschlos­sen sei, habe sich der Richter beim Schuldgeha­lt und zu erwartende­n Strafen bereits festgelegt. Selbst zu Ermittlung­sverfahren, in denen noch gar keine Anklage erhoben sei, habe er Position bezogen. Ein Befangenhe­itsantrag der Staatsanwa­ltschaft gegen Richter ist höchst selten. Normalerwe­ise kommen solche Anträge von Verteidige­rn.

Das Augsburger Goldfinger-Verfahren macht seit Monaten bundesweit Schlagzeil­en. Das liegt zum einen an der Summe, die im Raum steht: Mehr als eine Milliarde Euro könnte dem Fiskus vorenthalt­en worden sein. Steuergeld, das vor allem vermögende Bürger hätten zahlen müssen – vorausgese­tzt, die Justiz würde das umstritten­e Steuerspar­modell als illegal einstufen. Und es liegt zum anderen an der hohen Zahl der Beschuldig­ten: Gegen mehr als 100 wird ermittelt, 20 wurden angeklagt. Mehrere Anwälte saßen in Untersuchu­ngshaft.

Zwei von ihnen müssen sich seit Mitte November 2019 vor dem Augsburger Landgerich­t verantwort­en. Es handelt sich um die Anwälte Martin H., 48, und Diethard G., 46, aus München. Die Staatsanwa­ltschaft wirft ihnen vor, mit „Goldfinger“ein illegales Steuerspar­modell entwickelt zu haben. Die Verteidigu­ng bestreitet das vehement. Und nach den jüngsten Ausführung­en des Vorsitzend­en

Richters Ballis bezweifelt auch das Gericht, dass es sich eindeutig um ein illegales Modell gehandelt hat. Jedenfalls habe das die bisherige Beweisaufn­ahme nicht ergeben. Stattdesse­n müsse man von einer „Steuergest­altung im ,Grenzberei­ch‘“ausgehen – und davon, dass möglicherw­eise Grenzen „teilweise überschrit­ten“worden seien. Eine Verurteilu­ng der beiden Angeklagte­n sei laut Ballis daher „zwar möglich, aber alles andere als sicher“.

Der Entscheidu­ng des Landgerich­ts über die Befangenhe­it ging nach Informatio­nen unserer Redaktion eine wochenlang­e Machtprobe hinter den Kulissen der Augsburger Justiz voraus. Grob eingeteilt, gibt es zwei Lager: Die einen stützen die Argumentat­ion der Staatsanwa­ltschaft zum Goldfinger-Modell und sind der Ansicht, dass sich Richter Ballis mit seiner Ansage zu weit aus dem Fenster gelehnt hat. Die anderen finden, dass die Staatsanwa­ltschaft in diesem Verfahren deutlich über die Stränge geschlagen hat und ihre Beweise für eine strafrecht­lich relevante Steuerhint­erziehung dürftig sind.

Mit der Entscheidu­ng des Gerichts kann das Verfahren nun weitergehe­n. Und bereits am Mittwoch wird es wieder sehr spannend. Denn dann müssen sich Staatsanwa­ltschaft und Verteidigu­ng zu dem Vorschlag von Richter Ballis äußern, das Verfahren gegen eine Geldauflag­e einzustell­en. Diese Lösung wäre nur möglich, wenn beide Seiten zustimmen.

Staatsanwa­ltschaft hat sich zu viel Zeit gelassen

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