Das Freiheitsgefühl als Kerngeschäft
Viele Branchen verdienen mit der Unbefangenheit der Jugend ihr Geld. Doch große Auslandsreisen oder Abibälle für 25 000 Euro sind dieses Jahr nicht angesagt
Augsburg Abschlussball, Abifahrt oder Work and Travel: Nichts davon wird dieses Jahr möglich sein, zumindest nicht so, wie es Generationen zuvor erlebt haben. Für viele junge Menschen stellt es eine Belohnung dar, ein Ziel in der Ferne, das sie durch Berge an Lernstoff bringen soll. Es ist eine Zeit voller Freiheiten und geprägt von Leichtigkeit – und auch eine Zeit, die für Eventagenturen und Jugendreiseveranstalter das Kerngeschäft ausmacht. Was passiert also mit der Branche, wenn ein gesamter Jahrgang auf diese Freiheiten verzichten muss?
Der Jahrgang, der heuer seinen Schulabschluss feiert, gehört zur sogenannten „Generation Z“. Also zu jenen jungen Menschen, die zwischen 1995 und 2010 geboren sind. Es ist auch eine Generation, die es gewohnt ist, ihre Freiheit ausleben zu können. Davon ist Psychologe und Generationenforscher Rüdiger Maas überzeugt. Und diese Erwartung haben sie auch an ausgiebige Abifahrten, Auslandsreisen und eben den groß zelebrierten Abschlussball.
Daraus hat sich eine noch recht junge Branche entwickelt: Eventagenturen für Abibälle. Der Münchner Veranstalter „Abidreams“ist einer von bislang noch recht wenigen Anbietern, die sich die Wünsche von Schülern nach einem opulenten Abschlussball zunutze gemacht haben. „Zwischen 50 bis 75 Euro kostet eine Eintrittskarte für den Abiball“, sagt Geschäftsführer Florian Kusche. Darin eingeschlossen ist die Organisation und Haftung für die Feier. Bis zu 25 000 Euro lassen sich Schüler ihren Abschlussball kosten. Inzwischen reiche die Turnhalle schon lange nicht mehr aus, sagt Kusche. Gefragt seien nun Eventlocations, für die bis zu 10 000 Euro Mietkosten anfielen. Für den Jungunternehmer stellt diese Kommerzialisierung und die „Euphorie auf Knopfdruck“, wie er sagt, die Existenzgrundlage dar. Die Corona-Beschränkungen zerstören daher sein Geschäftsmodell. „Über Dreiviertel des Jahres war schon geplant“, sagt Kusche. Rund 90 Prozent des Jahresumsatzes fallen nun weg. Anders als etwa Urlaub sei der Abiball aber ein einmaliges Erlebnis, das sich so einfach nicht nachholen lasse. Jetzt sucht Kusche mit den
Abiturienten nach alternativen Möglichkeiten, um dennoch den Schulabschluss zu feiern. „Wir arbeiten mit den Schülern daran, entweder kleinere Abschlussbälle zu organisieren, die Feiern im Freien stattfinden zu lassen oder eben als Auto-Abifeier.“Kusche setzt darauf, auf diesem Weg die Feiern weiterhin durchführen zu können. Bei allzu großen Einschränkungen erhielten die Jugendlichen allerdings ihre Anzahlung zurück. Aber auch da sieht Kusche Probleme: „Es fehlte lange die Rechtsgrundlage, wie wir den Schülern das Geld zurückerstatten“, sagt Kusche. Hauptsächlich, so der Jungunternehmer, wolle er mit Dienstleistungen wie einer Getränke-Flatrate den Schülern entgegenkommen. Bislang sei die Rückmeldung überwiegend positiv.
Für Psychologe Rüdiger Maas ist die Reaktion der Schüler typisch für das Verhalten der „Generation Z“. Seit Beginn der Pandemie führte er deutschlandweit Befragungen über Trendverläufe unterschiedlicher Generationen durch und sagt: Die Jungen „streben nach einem Kollektiv und werden dabei nicht ausscheren“, sagt er. Natürlich treffe dies nicht auf alle zu. Aber grundsätzlich, sagt er, seien sie „sehr anpassungsfähig und reflektiert“. Oder anders formuliert: „Die Generation ist überbehütet aufgewachsen“und habe nie gelernt, zu rebellieren. Privat organisierte Feiern erwartet Maas aufgrund seiner Befragungsergebnisse daher nicht.
Auch Trendexperte Ulrich Köhler hat das Verhalten der jungen Generation untersucht. Er sagt: Um Auswirkungen auf das Verhalten der Schüler beobachten zu können, sei entscheidend, wie lange die Pandemie anhält. Zwar bemerkt er bei den Jüngeren eine immer stärkere Unsicherheit. Dennoch sagt er: „Die Sehnsucht der jungen Menschen bleibt, der Wert Freiheit wird sogar immer wichtiger.“Heuer könne sich der Jahrgang diese Sehnsüchte nicht erfüllen. Köhler ist aber sicher, dass dieses Gefühl langfristig nur wachsen und zu einem späteren Zeitpunkt befriedigt werde. „Es kann sein, dass Bachelorfeiern bald umso größer gefeiert werden.“
Auf dieses anhaltende Freiheitsgefühl setzt Tanja Brandt, Geschäftsführerin von TravelWorks. Speziell für junge Menschen bietet sie Sprachreisen, Auslandspraktika und Au-pair-Aufenthalte an. Dieses Jahr fallen ihr „diverse Millionen Euro weg“, sagt sie. Wie auch für Florian Kusche gilt für ihr Geschäftskonzept: Es gibt nur ein kurzes Zeitfenster, in dem junge Menschen solche Angebote nutzen. Um trotz Corona-Beschränkungen davon profitieren zu können, hat sie für dieses Jahr entsprechend umgeplant. Beliebte Ziele wie Neuseeland sind aufgrund der aktuellen Einreisebestimmung nicht möglich und auch Angebote wie Freiwilligenarbeit in Südafrika oder Lateinamerika fallen weg. Ein anderer Weg ins Ausland ist seitdem umso beliebter: „Die Nachfrage nach Au-pair in den USA, Kanada oder Europa ist gestiegen.“Der Trend zu als sicher geltenden Zielen könne durch die Corona-Krise ihrer Ansicht nach in den kommenden Jahren anhalten.
Noch unmittelbarer betroffen sind Anbieter von Abireisen. „98 Prozent aller Reisen fallen aus“, sagt der Geschäftsführer eines Reiseveranstalters, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Die derzeitigen Unsicherheiten der jüngeren Menschen könnten ihm langfristig Probleme bereiten. „Ohne Spaß funktioniert die Reise nicht.“
Ulrich Köhler sieht schon jetzt erste Anzeichen, dass teilweise junge Menschen eben diese Unbefangenheit auf kurze Sicht verloren haben. „Junge Menschen sind vorsichtiger geworden und planen nicht mehr langfristig.“Köhler vermutet daher für den kommenden Abschlussjahrgang eine neue Nüchternheit als eine Folge. Kusche spürt dies schon jetzt: Die Nachfrage für den Abiball 2021 sei verhalten.
Brigitte Mellert, 30, hat bei der Recherche an ihren Schulabschluss gedacht. Diese Zeit ist über Generationen hinweg einmalig.