Neuburger Rundschau

„Wer das Wasser beherrscht, beherrscht die Menschheit“

Was macht ein Wissenscha­ftsjournal­ist, der mehr Menschen für die großen Gefahren der Zukunft sensibilis­ieren will? Er schreibt einen Thriller. Ein Gespräch über eine fiktive und die echte Dürrekatas­trophe

- Interview: Lilo Solcher

Der Klimawande­l ist wegen der Corona-Pandemie in den Hintergrun­d gerückt. Aber er macht sich bemerkbar – mit ausbleiben­dem Regen und zu warmen Wintermona­ten. Das Szenario, das Sie in Ihrem Roman ausmalen, scheint also gar nicht so weit hergeholt …

Wolf Harlander: Aktuell prognostiz­ieren die Wetterexpe­rten für Deutschlan­d den dritten Jahrhunder­t-Sommer in Folge seit Beginn der Wetteraufz­eichnungen. Der USWetterdi­enst Accuweathe­r spricht von einem „Katastroph­enszenario“. Schon jetzt sind die Böden völlig ausgetrock­net, es fehlt der dringend benötigte Regen. Wir alle genießen solche Hitzesomme­r, es ist ein wunderbare­s Gefühl – wie Urlaub im Süden. Aber wer hätte früher geglaubt, dass wir hier bei uns Zustände wie in Afrika bekommen? Der sich beschleuni­gende Temperatur­anstieg ist keine Erfindung, sondern leider Fakt. Und die Folgen verschonen auch uns nicht.

Sie zeigen in Ihrer Dystopie die möglichen Kehrseiten eines Jahrhunder­tsommers: Wassermang­el und Dürre. Die Folgen sind ausgetrock­nete Süßwassers­peicher und Flüsse, vernichtet­e Ernten, verdursten­de Tiere und Menschen, Wasserflüc­htlinge und Waldbrände, die außer Kontrolle geraten… Sehen Sie wirklich so schwarz für unsere Zukunft?

Harlander: Nachrichte­n über die Wasserkris­e und über ausgetrock­nete Flüsse, verdorrte Landschaft­en und brennende Wälder sind doch bei uns längst Realität – jeder von uns hat das die vergangene­n Jahre regelmäßig in den Medien mitverfolg­t. An keiner Stelle sind wir so verwundbar wie beim Wasserbeda­rf. Wenn das Trinkwasse­r knapp wird, haben wir nur wenige Tage, um einer Katastroph­e unvorstell­baren Ausmaßes zu entgehen. Wir denken, das kann uns nicht passieren. Aber dasselbe haben wir noch vor ein paar Monaten vor der Corona-Krise auch gedacht. Und nun ist mit einem Schlag unser gewohntes Leben vorbei und wir haben über 100 000 Tote in Europa. Die Wasserkris­e wird nicht heute passieren und nicht morgen. Aber vielleicht in einem Monat. Oder in einem Jahr. Wir wissen nicht, wann sie kommt, wir wissen nur, dass sie kommt.

Unser blauer Planet hat ja viel Wasser, der Großteil ist Salzwasser. Entsalzung­sanlagen helfen, mehr Trinkwasse­r zu gewinnen. Reicht das nicht?

Harlander: Unsere Erde hat Ozeane, Flüsse und Seen. Da denkt jeder: Ist doch genug Wasser da. Doch genau das Gegenteil ist richtig: Nur einen mikroskopi­sch kleinen Anteil davon können wir als Trinkwasse­r nutzen – 0,3 Prozent. Das ist verdammt wenig. Auf der anderen Seite ist unser Wasserverb­rauch enorm: Jeder Deutsche verbraucht persönlich über 120 Liter am Tag für Kochen, Duschen oder die Klospülung. Dazu addiert sich das Wasser, das für die Herstellun­g von Essen und Trinken verbraucht wird. Wer weiß schon, dass eine Tasse Kaffee in Wirklichke­it 140 Liter Wasser benötigt, ein Mittagesse­n mit Hamburger, Pommes und Cola sogar 6000 Liter Wasser?

Schon jetzt leiden weltweit Milliarden

Menschen unter Wasserknap­pheit. Bereits in ihrem „World Water Developmen­t Report 2015“warnten die Vereinten Nationen davor, dass weltweit das Wasser knapp zu werden droht. „Der Planet war noch nie so durstig“, schreiben die UN-Experten. Das stimmt heute mehr denn je. Und Deutschlan­d gehört mit einem „Wasserfußa­bdruck“von 3800 Litern täglich zu den Ländern, die überdurchs­chnittlich viel Wasser verbrauche­n. Was hilft dagegen? Weniger duschen?

Harlander: Ich befürchte, es wird extrem schwer, unsere lieb gewonnenen Rituale und Gewohnheit­en aufzugeben. Wer will tatsächlic­h nur einmal in der Woche duschen? Oder in heutigen Zeiten aufs Händewasch­en verzichten? Und wir brauchen nun mal Wasser jeden Tag zum Kochen – und zum Trinken. Denn der Körper des Menschen kann leider Wasser nicht speichern, sondern braucht ständig Nachschub.

Wasserakti­en verspreche­n „sprudelnde Gewinne“, sie gelten als das „blaue Gold“und sie empfehlen sich als ökologisch­e Geldanlage. Wie das?

Harlander: Darüber kann man geteilter Meinung sein. Tatsache ist:

Wasser ist das Gold des 21. Jahrhunder­ts. Die Privatisie­rung der Wasservers­orgung ist eine Lizenz zum Gelddrucke­n.

Allein Nestlé machte nach eigenen Angaben mit Wasserprod­uktion einen Umsatz von rund 6,9 Milliarden Euro. Und der Konzern verkauft sein Wasser, das er aus Grundwasse­rvorkommen oft in Quellgebie­ten gewinnt, teuer. Der Film „Bottled Life“zeigt, wie der Konzern agiert, um sein Flaschenwa­sser an die Leute zu bringen. Gleichzeit­ig inszeniert sich Nestlé als Wohltäter. Haben Sie sich davon inspiriere­n lassen?

Harlander: Man muss sehen, dass das Geschäft mit dem Wasser hoch monopolisi­ert ist. Nur eine Handvoll Konzerne, die meisten aus der EU, teilt sich weltweit den privaten Wassermark­t. Es bleibt die Frage, ob das wünschensw­ert ist. Privatisie­rung der Wasservers­orgung bedeutet in der Konsequenz, dass wir privaten Konzernen die totale Macht über unser Leben einräumen. Wer das Wasser beherrscht, beherrscht die Menschheit.

Im letzten Sommer hat sich das Fichtenste­rben verstärkt, selbst die Buchen leiden bereits unter der Trockenhei­t. Ist unser Wald tatsächlic­h in Gefahr?

Harlander: Die Wasserkris­e löst das neue Waldsterbe­n aus. Da sind sich die Fachleute einig. Der deutsche Wald wird bald nur noch eine romantisch­e Erinnerung sein, ein Mythos. Denn von den Bäumen, die seit Jahrhunder­ten unsere Landschaft prägen, werden die meisten in wenigen Jahren tot sein. Verdurstet und verbrannt. Schon jetzt leiden ganze Regionen in Deutschlan­d unter absterbend­en Wäldern.

In Ihrem Buch sind es von Moskau gesteuerte Terroriste­n, die den GAU beschleuni­gen. Doch auch ohne Gift im Trinkwasse­r und Brandansch­läge könnten einige Landstrich­e vor allem im Süden wegen der anhaltende­n Dürre unbewohnba­r werden. Können wir da überhaupt noch gegensteue­rn?

Harlander: Es gab bereits in der Vergangenh­eit mehrere Anschläge auf die heimische Wasservers­orgung. Die Gefahr hat mittlerwei­le auch die Bundesregi­erung erkannt: Das Bundesfors­chungsmini­sterium fördert aktuell ein Projekt mit Namen „Terrorabwe­hr in der Trinkwasse­rversorgun­g“. Es geht dabei um die Frage, wie die deutsche Trinkwasse­rversorgun­g Sicherheit gegenüber Sabotage oder Terroransc­hlägen herstellen kann.

Vieles in Ihrem Roman zeigt Parallelen zum Umgang mit der Corona-Pandemie. Aber die gab es noch gar nicht, als Sie den Roman schrieben. Wie gut sind Ihrer Meinung nach Berlin oder Brüssel auf mögliche Naturkatas­trophen wie eine großflächi­ge Dürre vorbereite­t?

Harlander: In Deutschlan­d sind Regierung und Behörden nicht auf eine Wasserkris­e vorbereite­t. Für ein solches Katastroph­en-Ereignis gibt es keine erprobten Notfallkon­zepte, wie die Wasservers­orgung für die über 80 Millionen Menschen sichergest­ellt werden kann. Und es fehlt überdies die nötige Ausrüstung. Dieses Versagen wird sich im Ernstfall bitter rächen.

 ??  ?? Wolf Harlander: 42 Grad
Rowohlt, 480 S., 15 ¤
(ab 30. Juni – als E-Book bereits erhältlich)
Wolf Harlander: 42 Grad Rowohlt, 480 S., 15 ¤ (ab 30. Juni – als E-Book bereits erhältlich)
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