Wer zahlt für die Rettung der Lufthansa?
Auf der Hauptversammlung an diesem Donnerstag entscheidet sich die Zukunft der Fluggesellschaft. Die Airline bleibt in der Luft, die Frage ist nur, ob der Staat oder Beschäftigte und Passagiere die Sanierung zahlen
Berlin Leer ist der Himmel in Deutschland in diesen Wochen. Das Coronavirus zwingt die Flugzeuge auf den Boden und hat das Geschäft einer ganzen Branche zerstört. Ohne Hilfe von außen droht den Fluggesellschaften buchstäblich der Absturz. An diesem Donnerstag entscheidet sich für die Lufthansa bei einem außerordentlichen Aktionärstreffen, welche Kur dem Unternehmen verabreicht und für wen es schmerzhaft wird. Es ist ernst. Im Frühjahr machte sie pro Stunde eine Million Euro Verlust.
Die Kranich-Linie wird dennoch überleben, so viel steht fest. Offen ist, wer die Rechnung dafür zahlt. Sind es die Steuerzahler? Oder bekommt ein Münchner Milliardär seinen Willen, der lieber Beschäftigte und Fluggäste bluten lassen will?
Es ist die spannendste Nummer der jüngeren deutschen Wirtschaftsgeschichte, die ihrem Finale entgegensteuert. Um 12 Uhr mittags kommt es zum Showdown – wie im Western. Die Rolle des Bösewichts spielt Heinz Hermann Thiele. Der Multimilliardär (Knorr-Bremse, Vossloh) gehört zu den reichsten Deutschen und weiß, wie man Unternehmen übernimmt, saniert und profitabel macht. Der 79-Jährige könnte sich auf seine Rinderfarm in Südamerika zurückziehen, aber das ist ihm zu langweilig.
Thiele hat die Lufthansa in der Hand. Er hatte seinen Anteil an der nach Umsatz größten Airline Europas auf über 15 Prozent aufgestockt und verfügt damit auf der virtuellen Hauptversammlung über die VetoMacht, weil sich nur 38 Prozent des Kapitals angemeldet haben. Für die geplante Staatshilfe von neun Milliarden Euro braucht es eine Zweidrittelmehrheit, die ohne Thiele nicht erreicht werden kann. Der Einstieg des Staates könnte seinen Anteil an der Airline verwässern. Zwar gab es am Mittwochabend Hinweise, dass Thiele einlenkt. Aber Genaues weiß man natürlich erst nach der Hauptversammlung.
Christoph Brützel ist Professor für Luftverkehrsmanagement an der Internationalen Fachhochschule Bad Honnef und verfolgt die Rettungsaktion. Er glaubt, dass Thiele ein Schutzschirmverfahren anstrebt, also eine Insolvenz in Eigenregie. Kosten der Gläubiger und Mitarbeiter wird das Unternehmen saniert“, sagt der Branchenkenner. Brützel fing vor 30 Jahren seine Karriere bei der Lufthansa an. Ein Schutzschirmverfahren – quasi eine Insolvenz light – böte dem Management die Chance, schärfer in das Fleisch zu schneiden. Tarifverträge könnten so neu verhandelt und mit schlechteren Bedingungen abgeschlossen werden. Den Lufthanseaten droht außerdem, dass ihre Betriebsrenten gestutzt werden. Auf diese Weise haben sich etwa die USAirlines saniert. Auch Passagiere, deren Flüge wegen des Zwangsstillstands in den letzten Wochen gestrichen wurden, könnten leer ausgehen. Juristisch sind sie Gläubiger wie andere auch. „Bei der Pleite von Air Berlin waren die Passagiere die Ersten, die in die Röhre geguckt haben“, erklärt Brützel. Bei der Lufthansa summiert sich der Wert der wegen der Zwangspause wertlos gewordenen Tickets auf 1,8 Milliarden Euro. Ob sich das Management aber seinen Ruf bei den Kunden vollends verderben will, muss bezweifelt werden. Das Schutzschirmverfahren wäre aber die Gelegenheit, die
Ansprüche der Passagiere in Gutscheine umzuwandeln, ohne dass das Unternehmen Geld zurückzahlen muss.
Auch diese Form der Sanierung kostet. Die Mittel müssten irgendwo herkommen. Thiele könnte der Lufthansa die Summe als Kredit zur Verfügung stellen und später in Eigenkapital umwandeln. Damit stiege er zum dominierenden Aktionär des deutschen Branchenprimus auf. In die Karten schauen lassen hat sich der Investor nicht. Ein Gespräch, zu dem er Lufthansa-Chef Carsten Spohr und Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) hatte antanzen lassen, brachte keinen Fortschritt. Eventuell hat Thiele nur hoch gepokert und trägt den Staatsdeal zähneknirschend mit. Schmiert die Fluglinie ab, rauscht auch der Wert seiner Aktien nach unten. Der Finanzminister ist nicht gewillt, dem Störenfried entgegenzukommen. Wochenlang wurde unter Hochdruck an der Rettung geschraubt, selbst die EUKommission hatte schließlich ihr Plazet gegeben. „Das ist verhandelt. Punkt“, betonte Scholz hanseatisch knapp. Die Unterstützung der 138000 Beschäftigten hat er selbst„Auf redend. Die Gewerkschaften verurteilen das Manöver. Sie fürchten, dass mehr Mitarbeiter entlassen werden als ohnehin geplant. Das ist auch die Sorge der Politik. Wird unter dem Kommando Thieles mit eisernem Besen ausgekehrt, gehen nicht nur mehr Stellen bei dem Unternehmen selbst verloren, sondern auch bei Airbus und Zulieferern. Bisher hat der Vorstand 22000 Arbeitsplätze ausgemacht, die er bei der Lufthansa streichen will. Die Hälfte davon soll auf den Heimatmarkt entfallen.
Wird die Fluggesellschaft schroff gerupft, hat das Auswirkungen auf den Luftverkehr in Deutschland. Die Lufthansa mit ihren Drehkreuzen in Frankfurt und München sorgt dafür, dass die Passagiere in die ganze Welt kommen. „Fiele die Lufthansa aus oder würde stark geschwächt, würde das Netz ausgedünnt“, erklärt der Geschäftsführer des Flughafenverbandes, Ralph Beisel, das Problem. Von rund 600 Destinationen ins Ausland steht die Airline für zwei Drittel. „Wettbewerber könnten das nicht ausgleichen. Billigflieger haben ein anderes Geschäftsmodell“, meint Beisel.