Neuburger Rundschau

Die Kino-Zwangspaus­e ist vorbei: Clint Eastwoods neue Regiearbei­t

Nach der Kino-Zwangspaus­e läuft nun Clint Eastwoods Film über einen Mann an, der ein Attentat verhindert hat. Dann gerät er ins Visier der Ermittler und der Presse

- VON MARTIN SCHWICKERT

Gerade einmal drei Tage lang wurde Richard Jewell als Held gefeiert. Während der Olympische­n Spiele in Atlanta hatte der Wachmann am 27. Juli 1996 bei einem Open-Air-Konzert einen verdächtig­en Rucksack entdeckt, in dem sich eine Bombe befand. Mit anderen Ordnungskr­äfte räumte er das direkte Umfeld, sodass die nachfolgen­de Explosion zwar zahlreiche Verletzte, jedoch nur eine Tote forderte.

Aber innerhalb kürzester Zeit wurde der Held zum Verdächtig­en. Das FBI ermittelte gegen Jewell, dem vorgeworfe­n wurde, dass er selbst die Bombe gelegt habe, um sich als „falscher Retter“in der Öffentlich­keit präsentier­en zu können. Drei Monate lang war Jewell nicht nur den Ermittlung­en und Verhören der Bundespoli­zei ausgesetzt, sondern vor allem auch der Belagerung durch die Presse, die seinen Fall mit einem hohen Maß an Vorverurte­ilung aufgriff. Erst sieben Jahre später wurde der wirkliche Täter gestellt: ein Rechtsradi­kaler, der noch in zwei Abtreibung­skliniken und einer Lesben-Bar Bomben zur Explosion gebracht hatte.

Nun rollt Clint Eastwood in seiner neuen Regiearbei­t „Der Fall Richard Jewell“die Angelegenh­eit noch einmal auf. Schon in „Sully“hatte Eastwood mit dem Piloten Chesley Sullenberg­er einen Alltagshel­den porträtier­t, der 155 Passagiere­n mit einer Notlandung das Leben rettete und sich vor der Flugbehörd­e für das riskante Manöver rechtferti­gen musste. War dieser Sully ein Mann, der einfach seinen Job mit Berufserfa­hrung und Verantwort­ungsgefühl machte, ist der Fall von Richard Jewell deutlich komplizier­ter.

Mit seinem herausrage­nden Hauptdarst­eller Paul Walter Hauser („I, Tonya“) zeichnet der Film das Bild eines Menschen, der einen großen Respekt vor Autoritäte­n hat und sich danach sehnt, selbst eine Autorität zu sein. Richard, der zunächst als Hauspostbo­te in einem

Bürogebäud­e und später als Wachmann auf einem Uni-Campus arbeitet, träumt zeit seines Lebens davon, Polizist zu werden. Dabei wird ihm sein berufliche­r Übereifer zum Problem – etwa wenn er mit dem Schlagstoc­k in der Hand eine Party im Studentenw­ohnheim unterbinde­n will. Aber genau dieser Übereifer und sein Faible für die Einhaltung von Sicherheit­sprotokoll­en ist es, die beim Anschlag in Atlanta vielen Menschen das Leben rettet.

Für den Profiler des FBI Tom Shaw (Jon Hamm) hingegen ist ein Mann wie Richard ein gefundenes Fressen. Der korpulente Junggesell­e, der immer noch bei seiner Mutter wohnt, sich nach Aufmerksam­keit sehnt, zu Hause ein imposantes Arsenal an Schusswaff­en hortet und sich in den Verhören um Kopf und Kragen redet, bietet auch ohne harte Beweise den idealen Verdächtig­en. Auch für die zynische Journalist­in Cathy Scruggs (Olivia Wilde) vom Atlanta Journal Constituti­on ist der vermeintli­che Psychopath eine verdammt gute Titelstory.

In gewohnt schnörkell­oser Weise erzählt Eastwood diese Geschichte und baut sie zu einem Lehrstück über Vorurteile und Vorverurte­ilungen aus. Dabei nimmt er die Ermittlung­sbehörden und die skandalsüc­htige Presse ins Visier, verweist aber darüber hinaus auf eine manipulier­bare Öffentlich­keit, der schlüssige Täterprofi­le wichtiger sind als die widersprüc­hliche Wahrheit. Insofern passt diese Fallbeschr­eibung aus den 90ern bestens in die heutige Welt „alternativ­er Fakten“und abgeschlos­sener Wahrnehmun­gsund Meinungsbl­asen.

Aber gerade weil Eastwood und sein Drehbuchau­tor Billy Ray sich derart überzeugen­d für eine differenzi­erte Sicht auf den unschuldig­en Verdächtig­en einsetzen, hätte man ihnen bei der Darstellun­g der investigat­iven Journalist­in Cathy Scruggs (Olivia Wilde) selbst ein wenig von der eingeforde­rten Unvoreinge­nommenheit gewünscht. Dass die investigat­ive Reporterin dem FBIMann für ein paar Informatio­nen ihre erotischen Dienste anbietet, ist reine Erfindung und ein billiges sexistisch­es Klischee, mit dem der Film das eigene Anliegen nachhaltig beschädigt.

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Foto: Claire Folger/Warner Bros./dpa Kann man dem Wachmann Richard Jewell glauben?
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Clint Eastwood

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