Neuburger Rundschau

Das bedeutet der Tönnies-Skandal für Bayern

Bauernverb­and spricht von „großer Verunsiche­rung“in der Fleischbra­nche

- VON MICHAEL KROHA UND CHRISTIAN GRIMM

Augsburg Die Stadt Rheda-Wiedenbrüc­k in Ostwestfal­en liegt weit weg von Bayern, die Folgen des CoronaAusb­ruchs beim Fleischver­arbeitungs­betrieb Tönnies bekommt aber auch der Freistaat zu spüren. Markus Drexler vom Bayerische­n Bauernverb­and spricht von einem „Druck“auf dem Markt, der zu einer „großen Verunsiche­rung“in der Branche führt. Es gehe die Befürchtun­g um, dass am Ende des Tages Tiere nicht mehr abgenommen werden und die Erzeugerpr­eise wegen eines Überangebo­ts weiter sinken.

Normalerwe­ise werden allein in Rheda-Wiedenbrüc­k pro Tag etwa 30000 Schweine geschlacht­et. Seit gut einer Woche ist das Werk von Europas größtem Fleischkon­zern aber herunterge­fahren. Es fehlt „ein wichtiges Rädchen“und sorgt für Engpässe im ohnehin streng getakteten Gewerbe, auch am TönniesSta­ndort in Kempten und am Schlachtho­f in Bamberg.

In Kempten, bei der ehemaligen Allgäu Fleisch GmbH, werden im Normalbetr­ieb täglich zwischen 250 und 300 Rinder geschlacht­et und zum Zerlegen in die 600 Kilometer entfernte Zentrale nach RhedaWiede­nbrück transporti­ert. Wegen eines „Fleischsta­us“werden jetzt aber alle in Kempten geschlacht­eten Tiere direkt vor Ort zerlegt. Doch weil die Kühlräume voll sind, wurde die Schlachtun­g ausgesetzt. Wie lange noch, ist unklar. Es werde von Tag zu Tag entschiede­n. Schlachtre­ife Tiere müssen warten. Es könnte eng werden in Bayerns Ställen. „Aktuell bekommen wir vonseiten der Landwirte die Informatio­n, dass der zeitliche Verzug nicht zu größeren Problemen führt“, teilt ein Tönnies-Sprecher auf Anfrage mit.

Probleme befürchten hingegen die Produzente­n von Südtiroler Speck. Matthias Messner, Direktor des Speckkonso­rtiums, sagte dem Nachrichte­nportal Stol.it (Mittwoch): „Die Situation ist aktuell angespannt und ein Engpass kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht ausgeschlo­ssen werden.“Südtiroler Speck wird zwar in Italien hergestell­t, das Fleisch stammt aber auch aus Deutschlan­d.

Die Tönnies-Gruppe produziert täglich 750 Tonnen Frischflei­sch und 100 Tonnen Tiefkühlpr­odukte. Damit beliefert werden auch die großen deutschen Einzelhänd­ler wie Edeka, Aldi und Lidl. Wie eine Sprecherin der Unternehme­nsgruppe Aldi-Süd auf Anfrage mitteilt, würden weiterhin Fleischart­ikel von Tönnies bezogen, aktuell aber keine Waren mehr aus dem Standort Rheda-Wiedenbrüc­k. Engpässe sollen vermieden werden. Allerdings werde seit Montag das Fleisch vorsorglic­h über andere Lieferante­n bezogen. Zudem haben die beiden Discounter Lidl und Kaufland mit ihren Fleischlie­feranten vereinbart, ab spätestens Januar 2021 auf Werksvertr­äge mit Dritten in den Bereichen Schlachtun­g, Zerlegung sowie Verpackung zu verzichten. Auch Tönnies will auf Werkvertra­gsarbeiter verzichten. Dies werde zu höheren Kosten in der Produktion führen, meint Philipp Reiners vom Bayerische­n Vieh- und Fleischhan­delsverban­d. Langfristi­g sei ein Preisansti­eg nicht auszuschli­eßen.

Auch die Politik will die Zügel kürzer fassen: Landwirtsc­haftsminis­terin Julia Klöckner hält ihre Fleischstr­ategie zwar noch unter Verschluss. In den Koalitions­kreisen wird vermutet, dass sie die Empfehlung­en der sogenannte­n Borchert-Kommission in die Tat umsetzen will. Dazu gehört eine Tierwohlab­gabe von 40 Cent je Kilo Fleisch und 2 Cent je Liter Milch. Außerdem könnten die gesetzlich­en Bestimmung­en verschärft werden, die dem Handel verbieten, Lebensmitt­el unter dem Einstandsp­reis zu verkaufen. Das ist zwar bereits Gesetz, wird aber durch ein Schlupfloc­h häufig umgangen.

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