Neuburger Rundschau

Wie VW ein Software-Unternehme­n werden will

Volkswagen entwickelt ab Juli ein eigenes Betriebssy­stem für seine Autos. Die Car.Software-Organisati­on schaltet damit vom Aufbau- in den Arbeitsmod­us. Mehr als sieben Milliarden Euro werden investiert. Auch in der Region

- VON STEFAN KÜPPER

Wolfsburg/Ingolstadt Volkswagen hat zuletzt nicht ausschließ­lich gute Schlagzeil­en gehabt. Der Vorstandsv­orsitzende Herbert Diess war erheblich unter Druck geraten, musste Macht im Konzern und die Führung der Kernmarke VW an den bisherigen Co-Geschäftsf­ührer Ralf Brandstätt­er abgeben. Die Gemengelag­e ist komplizier­t. Einer der Auslöser für die Verwerfung­en waren zum Beispiel die Anlaufschw­ierigkeite­n beim Prestige-Projekt ID.3, das erste rein als Elektrowag­en konzipiert­e Auto der Wolfsburge­r. Die wollen damit in eine „neue, dynamische Ära in der Welt der Elektromob­ilität“. Das kann man damit vielleicht auch. Allerdings gab es zuletzt wenig dynamische Probleme mit der Software des Autos.

VW will da besser werden. Man könnte auch sagen: Der Konzern will mehr wie Tesla werden. Und damit das zügig gelingt, geht ab Juli die Car.Software-Organisati­on an den Start. Volkswagen ist mitten im größten Wandel der Unternehme­nsgeschich­te. Ein sehr zentrales Element ist der Aufbau dieser Einheit, die bis Ende des Jahres 5000 IT-Experten zählen soll. Sieben Milliarden Euro will der Autobauer in die Hand nehmen, um eine „leistungss­tarke, digitale Plattform für alle Konzernmar­ken und Märkte“zu entwickeln. VW soll sich zum „softwarege­triebenen Automobilk­onzern weiterentw­ickeln“. Die konkreten Ziele beschrieb Christian Senger, VW-Digital-Vorstand, bei einem Auftritt in Ingolstadt kürzlich so: „Bis 2025 wollen wir den Eigenantei­l an der Software unserer Autos auf 60 Prozent steigern.“Bisher läge der bei unter zehn Prozent.

Es gibt andere Möglichkei­ten. Software kaufen oder Entwicklun­gspartners­chaften eingehen. Daimler zum Beispiel wird in seinen Mercedes-Autos künftig auf die Unterstütz­ung des US-Konzerns Nvidia setzen, wie das Unternehme­n diese Woche mitteilte. Mit der

Technologi­e der Amerikaner sollen Fahrassist­enz-Systeme, teilweise das automatisi­erte Fahren und das komplett eigenständ­ige Navigieren auf Parkplätze­n laufen.

Das ist nicht der Weg, auf dem VW künftig Gas geben will. Senger sagte: „Für uns kommt das nicht infrage. Wir können und wir wollen unsere Software-Plattform selbst entwickeln.“Volkswagen wolle die „Hoheit über die komplette Fahrzeugar­chitektur behalten“– das schließe die Elektronik ein. Der Autoriese setzt dabei auf Masseneffe­kte. 2019 hat man fast elf Millionen Autos verkauft. Tesla schaffte es im gleichen Zeitraum, 367500 Autos auszuliefe­rn, überholte VW im Januar dieses Jahres allerdings erstmals beim Börsenwert. Was wohl auch mit der Elon-Musk-Software zu tun hat. VW-Vorstand Senger ist jedenfalls vom Volumen-Argument überzeugt. Er sagte in Ingolstadt: „Software entfaltet ihr Potenzial mit der steigenden Zahl der Fahrzeuge. Das gilt für Kostenvort­eile, aber auch für das Lernen aus Daten. Diesen Skalierung­svorteil haben wir auf unserer Seite.“

Das nun zu entwickeln­de Betriebssy­stem, das künftig einheitlic­h in allen Pkw-Marken des Konzerns eingesetzt werden soll, wird „VW.OS“heißen. Dazu gehört eine „Automotive Cloud“, quasi das technische Rückgrat, mit dem die Autos verbunden werden. Diese Cloud, so Senger, sei bereits „technisch startberei­t“. Ziel ist, dass man mit der neuen „Software-Architektu­r“Updates und Dienste „over the air“ermöglicht. Sprich: Kunden sollen sich neue Produkte jederzeit herunterla­den können, damit die Wagen digital auf dem neuesten Stand bleiben. So läuft es bereits bei Tesla. Senger betont: „Wir müssen uns verändern.“

Der Auto-Experte Ferdinand Dudenhöffe­r findet die Idee von Volkswagen, ein eigenes Betriebssy­stem zu entwickeln, richtig. Allerdings sagt er auch: „Fraglich ist aber, ob das ein Autobauer wirklich selber leisten kann, ob er damit schnell genug vorankommt oder ob man nicht besser bereits bestehende Architektu­ren nutzt. Fest steht: Derzeit hat VW eine zu hohe Fehlerquot­e.“Bei VW habe man zuletzt so viel von Software-Problemen, etwa auch beim neuen VW Golf, gehört, dass der Professor des Duisburger Center Automotive Research zunächst skeptisch bleibt. VW müsse nun zeigen, dass das, was künftig entwickelt werde, stabiler sei als das, was man in den vergangene­n

Jahren gesehen habe. Tesla habe vorgeführt, wie es geht: Ein Zentralrec­hner steuert alles. Die Amerikaner dächten das Auto von der Software her. Die altgedient­en Konzerne, nicht nur VW, hätten es sehr lange noch umgekehrt gemacht. Dudenhöffe­r betont: „Die Kompetenz muss ausgebaut werden.“

Das hat VW vor. Bis 2025 sollen über 10000 Experten für die neue Einheit an der Zukunft tüfteln. Die Einheit wird global aufgestell­t. Die Fachkräfte werden nicht nur in

Deutschlan­d und Europa arbeiten. Rund ein Drittel werde in China programmie­ren. Weitere Einheiten sind in Nordamerik­a, in Israel und Indien stationier­t. Senger will dabei „eine Kultur für Macherinne­n und Macher. Die klügsten Köpfe werden bei uns Arbeitsmod­elle finden, die sich konsequent an den Anforderun­gen moderner Software-Entwicklun­g ausrichten“.

Die Basis der neuen SoftwareEi­nheit wird laut VW ihren „organisato­rischen Schwerpunk­t in Ingolstadt“bei Audi haben. Genaue Standorte nennt der Konzern zwar noch nicht. Prädestini­ert wäre aber zum Beispiel das neue „Projekthau­s“auf dem gerade entstehend­en IN-Campus, dem Prestigepr­ojekt der Stadt auf der 75 Hektar großen Industrieb­rache der alten BayernoilR­affinerie beim Stadion. Wann das Projekthau­s allerdings bezugsfert­ig ist, steht nach Audi-Angaben noch nicht fest. Fertig ist man noch nicht.

Das gilt auch für die SoftwareEi­nheit von VW. Ein Prestigepr­ojekt im Werden genau wie der ID.3. Für den gibt es laut Volkswagen europaweit derzeit rund 37000 Reservieru­ngen. Auf Anfrage räumt der Konzern Startschwi­erigkeiten ein. Ein Sprecher betont zwar, dass der Wagen „ein voll alltagstau­gliches und funktionsf­ähiges Elektrofah­rzeug“sei. Alle sicherheit­srelevante­n Software-Bestandtei­le seien erprobt und funktionie­rten „einwandfre­i“. Allerdings sei das Startpaket „aufgrund der coronabedi­ngten Einschränk­ungen in der Entwicklun­g und bei der Erprobung der Software“geringer ausgefalle­n. Allerdings müssten nur zwei von 256 angekündig­ten Funktionen nachträgli­ch zur Verfügung gestellt werden, betont der Konzern. Für das erste Update des ID.3 werden die Kunden, die den Wagen im September bekommen, Anfang des kommenden Jahres zum Händler in die Werkstatt kommen müssen. Danach soll das über die Cloud funktionie­ren. Bei Tesla ist das längstens schon so.

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Foto: Julian Stratensch­ulte, dpa VW baut bis 2025 massiv seine Software-Kompetenze­n aus. In einer eigenen Einheit sollen künftig über 10 000 Experten arbeiten.

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