Was hinter Knastmauern passiert
Im Gefängnis in Kaisheim sollen fünf Häftlinge einen vermeintlichen Kinderschänder erniedrigt, verletzt und vergewaltigt haben
Augsburg/Kaisheim In der Justizvollzugsanstalt Kaisheim im Landkreis Donau-Ries sitzen rund 600 Gefangene ein. Meist sind es schwere Jungs, oft vielfach vorbestraft, mit jahrelanger Knasterfahrung. Wer nun glaubt, im Gefängnis herrschen stets Recht und Ordnung, der irrt. Im Knast gibt es Drogen, werden illegal Handys gebunkert, machen Liebesgeschichten zwischen Häftlingen und weiblichen Vollzugskräften die Runde. Und wenn die Zellentüren abends geschlossen sind, bestimmt eine ungeschriebene Hackordnung oft das Leben der Gefangenen. Der Stärkere schafft an.
Auf unterster Stufe der Hierarchie stehen Sexualtäter, die nicht selten gemobbt werden. Ein viertägiger Prozess vor dem Augsburger Landgericht, der am Mittwoch zu Ende ging, hat einen perversen und sexuell erniedrigenden Exzess von fünf Gefangenen im Kaisheimer Knast auf einen wegen Betrugs einsitzenden Mithäftling gesühnt, von
das Gerücht umging, er sei ein „Kinderschänder“.
Das Opfer des Übergriffs, 39, war im April 2019 in die Gemeinschaftszelle Nummer 7 verlegt worden, in der die fünf Angeklagten, teils mit zweistelliger Vorstrafenliste, einsaßen. Um dem Gerücht auf den Grund zu gehen, inszenierten die Häftlinge am Abend des 15. April ein regelrechtes Tribunal über den Zellenneuling, der sich nackt ausziehen und auf einen Stuhl setzen musste, wo er „verhört“wurde. Und dann vor lauter Angst zugab, als Vergewaltiger vorbestraft zu sein. Dieses „Geständnis“– ob es die Wahrheit war, blieb im Prozess offen – war für die Peiniger der Startschuss zu einer Reihe ekelhafter Aktionen, wie sie selten in Gerichtssälen zur Sprache kommen.
Die 3. Strafkammer unter Vorsitz von Roland Christiani sah es schließlich als erwiesen an, dass der 39-Jährige zunächst gezwungen wurde, aus der Halterung der Klobürste ein Gemisch aus Wasser, Toilettenreiniger, Spucke und
Asche zu trinken, dann eine Mixtur aus Salz und Tabletten vom Tisch weg zu schnupfen. Der 22-jährige Angeklagte habe dem Opfer dann eine Klobürste in die Hand gedrückt und ihn aufgefordert, diese sich anal einzuführen, dann wie ein Hund auf allen vieren durch die Zelle zu kriechen und zu bellen. „Ich habe alles gemacht, auch gebellt“, sagte der 39-Jährige im Prozess.
Damit war die Abstrafaktion aber noch nicht beendet. Das Opfer musste 30 Liegestützen machen. Als ihm dies nicht gelang, wurde er gezwungen, sich selbst zu befriedigen. Zuvor hatte man ihm noch das Wort „Vergewaltiger“auf die Stirn geschrieben und ihm einen Spiegel vorgehalten. Eine körperliche Abreibung folgte am nächsten Morgen: Zweimal prügelten alle Angeklagten mit Fäusten auf den Mann ein. Seine blutunterlaufenen Augen und Hädem matome begründete der 39-Jährige der Anstalt gegenüber zunächst als Folgen eines Sturzes im Bad. „Im Knast herrscht ein Ehrenkodex, dass man niemanden hinhängt. Wenn alle sich entschuldigt hätten, hätte ich auch nichts gesagt“, gab das Opfer im Prozess zu Protokoll.
Das Gericht verurteilte die Angeklagten wegen sexueller Nötigung und gefährlicher Körperverletzung, drei von ihnen zusätzlich wegen Vergewaltigung, zu Haftstrafen zwischen vier Jahren sowie fünf Jahren und neun Monaten. Der mit 22 Jahren jüngste Häftling muss am längsten weiter im Gefängnis bleiben. Ihn sah das Gericht als „Sprachrohr“der Gruppe. Er allein allerdings, so sagte Gerichtsvorsitzender Roland Christiani, hätte keine Chance gehabt, die Aktion durchzuziehen. „Er brauchte die anderen vier, die herumstehen und das Opfer in Schach halten.“Die Angeklagten hätten dem Mithäftling eine Lektion verpassen wollen, um ihm deutlich zu machen, was ein Opfer fühlt.
Opfer sagt: „Ich habe alles gemacht, auch gebellt“