Das Rätsel um den Pommes-Heißhunger im Freibad
Im Flugzeug trinken alle Tomatensaft, im Bad geht nichts ohne Fritten. Auf den Spuren eines Sommerphänomens
Berlin Sommer im Freibad, das klingt nach spielenden Kindern und Beckenplanschen. Und es riecht nach Pommes. Selbst Menschen, die sie sonst nie essen, bekommen im Schwimmbad Hunger darauf. Kinder holen sich tropfnass und bibbernd eine Portion. Die kommt klassischerweise in einer Pappschale, rot-weiß mit Piksern. Ein Essen, das man sich halb nackt bestellt, mehr oder weniger gern auf dem Handtuch liegend teilt, manchmal auch mit Ameisen. Kurz, Pommes im Freibad sind ein echtes Sommerphänomen. Warum eigentlich?
Nele Heinevetter kennt das Thema gut. Sie hat im Sommerbad im Humboldthain in Berlin einen Imbiss. Der Betrieb im Bad ist wegen der Corona-Einschränkungen gerade sehr ruhig. Zeit genug für ein Gespräch. Also: Warum müssen es Pommes sein? „Ich glaube, weil man von Kind auf lernt, dass es zum Schwimmbadbesuch gehört“, sagt Heinevetter.
Es ist früher Mittag im Schwimmbad. Eine Mutter drückt einem
Mädchen eine große Portion in die Hand, zum Teilen mit den anderen Kindern. Für sie ist das was Besonderes. „Sonst kriegen die das nicht.“Ähnliches erzählt Mathias Kaucha, einer der Betreiber des Imbisses im Berliner Prinzenbad. Pommes sind dort „Grundausstattung“. Sie essen dort selbst Leute, die sie sonst nie essen. „Irgendwie kommt der Sommerflair den Pommes zugute.“Schwimmen mache hungrig. Zu Spitzenzeiten wurden im Prinzenbad schon 2000 bis 3000 Portionen am Tag verkauft.
Matthias Oloew, Sprecher der Berliner Bäderbetriebe, sagt: „Das hat nicht so sehr mit dem Schwimmen, sondern etwas mit dem Sommer zu tun.“Es ist heiß, man schwitzt, der Körper hat einen Bedarf
nach Kohlehydraten und Salz, sagt Oloew. „Man hat einen Appetit darauf.“Pommes im Freibad, das sei seit den 50er Jahren in Deutschland verbreitet.
Eine Portion hat je nach Größe bis zu 490 Kalorien, ist auf der Webseite einer Fastfood-Kette zu lesen. Sie sind fettig und die reine Sünde. Oder etwa nicht? „Das ist schwierig, da etwas Gutes dran zu finden“, sagt Ernährungsforscher Stefan Kabisch. „Man kann sich definitiv etwas Gesünderes vorstellen.“In Pommes stecken demnach zu viel Salz, gesättigtes Fett und schnell verdauliche Kohlenhydrate. Pommes sind laut Kabisch ein Essen, das ein kurzes Glücksgefühl beschert, aber nicht lange satt macht. Vier oder fünf Mal im Jahr Pommes, das findet er nicht so schlimm. Aber bei einmal die Woche kann es je nach Typ schon anders sein, mit Blick auf Übergewicht oder drohendem Diabetes.
Bei den Spitzenköchen gibt es durchaus eine Pro-Pommes-Fraktion: TV-Koch Alexander Herrmann betreibt im oberfränkischen Wirsberg einen Schwimmbad-Kiosk. Das Waldschwimmbad kenne er seit seiner Kindheit; den Kiosk zu übernehmen war eine „absolute Herzenssache“. Eine von Herrmanns häufigsten Jugend-Erinnerungen spiele im Freibad. „Nie mehr war das Wetter besser, das Wasser klarer und das Leben schöner – und die knusprigen Pommes waren nie besser als auf der Wiese in der Sonne.“Natürlich werden auch in Wirsberg Pommes verkauft. Caroline Bock, dpa