Es brodelt auf Schalke
Aufsichtsratschef Clemens Tönnies gerät wegen des Ausbruchs von Corona-Infektionen in seinem Fleisch-Unternehmen immer stärker unter Druck. Und die Fans gehen gegen die Klubführung auf die Barrikaden
Gelsenkirchen Auf Schalke herrscht Krisenstimmung. Aufgebracht durch die sportliche Talfahrt des Teams von Trainer David Wagner nehmen die Fans jetzt die Klubführung des Fußball-Bundesligisten um den Aufsichtsratsvorsitzenden Clemens Tönnies ins Visier. Der 64 Jahre alte Fleisch-Fabrikant aus RhedaWiedenbrück, der wegen der massenhaften Corona-Infektionen in seinem Unternehmen den von Mittwoch an wirksamen Lockdown im Kreis Gütersloh zu verantworten hat, steht im Fokus der neuerlichen Attacken der Anhänger. Bei den Fans ist eine explosive Mischung entstanden aus Ärger über die sportliche Dauerkrise und Wut auf die misslungene Corona-Politik der Klubführung, von der sie sich missachtet fühlen.
In den Fan-Organisationen des Traditionsklubs laufen die Planungen für Proteste auf Hochtouren. Da die Anhänger seit dem Wiederbeginn der Bundesliga wegen des DFL-Hygienekonzepts nicht mehr in die Arena durften, um ihrem Ärger Luft zu machen, entlädt sich der Unmut vor allem im Netz. Und nun auch im Herzen des Vereins. Am Eingang der altehrwürdigen Glückaufkampfbahn prangt ein Plakat mit der Aufschrift: „Keine Ausbeutung bei S04 – Tönnies raus!“Und an einer Brücke ein Banner mit der Forderung: „Keine Rassisten auf Schalke!“
Mit einer Menschenkette – unter Wahrung der Hygienevorschriften – rund um das Vereinsgelände am Berger Feld und die Veltins-Arena wollen die Anhänger am Samstag (15.30 Uhr) während des letzten Saisonspiels der Mannschaft in Freiburg gegen Missstände und Fehlentwicklungen demonstrieren. Am Mittwoch haben die Behörden in Gelsenkirchen die Demonstration mit maximal 2000 Besuchern genehmigt. Die Teilnehmer müssten sich an Hygiene-Vorschriften halten, berichtete das Internetportal WAZplus.
Unter dem Motto „Schalke ist kein Schlachthof – gegen die Zerlegung unseres Vereins“wollen die Fans aufmerksam machen auf Missstände und Fehlentwicklungen im Klub und im Fleisch-Unternehmen des Aufsichtsratsvorsitzenden Clemens Tönnies. Der Ärger richtet sich aber nicht allein gegen den mächtigen Klubchef, sondern auch gegen die noch verbliebenen Vorstände Alexander Jobst und Jochen Schneider. Marketing-Vorstand Jobst stammt aus Fulda, Sportvorstand Schneider ist Schwabe. Die Sorge der Fans: Können sie die Nöte und Denkweisen im Ruhrgebiet verstehen? Die Fans gehen wegen des unglücklichen Agierens der Führungsriege während der Corona-Pandemie auf die Straße.
Das über Jahrzehnte aufgebaute und gepflegte Image des Kumpelund Malocherklubs sehen sie ernsthaft in Gefahr. Die Ultras Gelsenkirchen rechneten schon am Montag mit den Klubchefs ab. Die mit rund 1000 Mitgliedern größte und einflussreichste Einzel-Fangruppierung bezeichnet die gesamte Saison als „moralische Bankrotterklärung“und beklagt den „Ausverkauf der
Schalker Werte“. Man habe Schalke bundesweit „der Lächerlichkeit preisgeben“, hieß es in einem offenen Brief. Die Kritik erhält immer wieder neue Nahrung. Da ist der in der Fanszene als unfair und unverschämt wahrgenommene Umgang mit Karteninhabern, die ihren Anspruch auf Rückzahlung bereits bezahlter Ticketgelder mit einem Härtefallantrag begründen sollten.
Da ist die Kündigung von 24 geringfügig Beschäftigten im Fahrdienst der Nachwuchsabteilung Knappenschmiede. Und da ist auch die von Tönnies befeuerte Diskussion um die von den Fans abgelehnte Ausgliederung der Profi-Abteilung. Auch der Rausschmiss von Medienchef Thomas Spiegel – ein Mann des Ausgleichs mit Verständnis für FanBelange – kam nicht besonders gut an. In der Vorstandsetage wirkt vieles unkoordiniert und empathielos. Die Außenwirkungen sind verheerend. Dazu kommt der gewaltige Imageschaden für Klub-Patron Tönnies, der mit seiner Firma unter Druck steht. Der 64-Jährige ist seit der Debatte um seine von vielen als rassistisch wahrgenommenen Äußerungen gegen Afrikaner als Gastredner bei einem Unternehmertreffen in Paderborn im August 2019 und dem merkwürdigen Umgang damit durch Schalkes Ehrenrat ohnehin angezählt. Tönnies’ einst große Beliebtheitswerte rauschen so schnell in den Keller, wie die Infektionsraten in seinem Fleisch-Imperium ansteigen. Auch die Mängel bei der Unterbringung vieler Werksarbeiter aus Rumänien, Bulgarien und Polen stoßen bei den Schalke-Fans auf Unverständnis. Schließlich leben die meisten in der strukturarmen Region im Ruhrgebiet. Viele sind selbst nicht auf Rosen gebettet. Die Kraft der Anhänger ist nicht zu unterschätzen. Schalkes Fanclub-Verband zählt mehr als 60000 Mitglieder.
Dazu kommen einflussreiche Einzelgruppierungen. Viele Anhänger treibt längst die Sorge um, dass sich die Krise im Tönnies-Unternehmen auf den Klub ausweiten könnte. Schalke-Legende Gerald Asamoah hofft, dass „es keine größeren Auswirkungen“auf den Klub hat. Sicher ist er aber nicht.
Der Fanclub-Verband zählt mehr als 60 000 Mitglieder