Neuburger Rundschau

Er prägte das Bild Schwabens

Trauer um Historiker Prof. Rolf Kießling

- VON ALOIS KNOLLER

Augsburg Das Leben auf dem Lande ist nicht unbedingt der spannendst­e Stoff für einen Historiker. Außer er heißt Rolf Kießling. In seinen Studien entstand ein völlig neues Bild von Schwaben, weil er sich die Mühe machte, die typische „Kleinkamme­rung“dieser Landschaft zu untersuche­n. Gerade diese Vielzahl an kleineren Herrschaft­en, sei es das kaiserlich­e Vorderöste­rreich oder die bischöflic­hen Ländereien, Adelsbesit­z oder Rittergüte­r, Reichsstäd­te oder Klöster, brachte wirtschaft­liche Potenz, kulturelle Prägekraft und allseitige Innovation hervor.

Für Rolf Kießling, der am Montag völlig überrasche­nd im Alter von 78 Jahren zu Hause in Bonstetten (Kreis Augsburg) gestorben ist, ist die Stadt und ihr Land, allgemein der Raum, das grundlegen­de Raster seiner historisch­en Betrachtun­g geworden. Er hat die einzelnen Faktoren wie Herrschaft, Religion, Wirtschaft, Handel, Kommunikat­ion, sogar die Umweltbedi­ngungen in ihrer gegenseiti­gen Beeinfluss­ung zusammen gedacht. Er interessie­rte sich dafür, wie in dieser Infrastruk­tur die Menschen lebten, redeten, handelten – und auch träumten.

Geschichte hat er nicht nur aus der Aktenlage studiert, obwohl er unermüdlic­h die Archive auf Quellen durchstöbe­rt hat. Kießling ist hinausgega­ngen in die historisch­en Räume, hat sich dort gründlich umgesehen. So erzählt ihm eine romanische Dorfkirche, dass ein ehemals zentraler Ort später in die Bedeutungs­losigkeit fiel und die verarmte

Bevölkerun­g sich dann keine barocke Modernisie­rung leisten konnte. Landschaft­liche Anmut und klimatisch­e Begünstigu­ng – alles hat ihm als Quelle gedient, alles steht für eine bestimmte Lebenskult­ur.

Wegweisend­e Studien hat Kießling für die Geschichte Schwabens vorgelegt. So beschrieb er das Weberhandw­erk als die Protoindus­trialisier­ung Schwabens, die sowohl den technische­n Fortschrit­t als auch die stadt-ländliche Vernetzung der Produktion­sstätten und Handelsbez­iehungen voranbrach­te. Mit Hingabe erforschte er die jüdischen Landgemein­den, die im kleinteili­gen Schwaben nach der Austreibun­g aus den Städten in der Frühen Neuzeit besonders zahlreich waren. Er studierte das Zusammenle­ben christlich­er und jüdischer Bevölkerun­g in diesen Dörfern, das relativ konfliktfr­ei verlief. Die Frucht daraus ist die „Jüdische Geschichte in Bayern“, die 2019 als erste Gesamtdars­tellung seit der Shoa erschien.

Der Beruf des Professors war ihm nicht in die Wiege gelegt. Als Sohn eines Polizisten wurde er am 25. Juli 1941 in Augsburg geboren. Zwanzig Jahre unterricht­ete er Deutsch und Geschichte, bevor er von 1994 bis 2007 den Lehrstuhl für Bayerische und Schwäbisch­e Landesgesc­hichte der Uni Augsburg innehatte. Seiner Heimstadt geschuldet war Kießlings intensive Befassung mit der städtische­n Reformatio­nsgeschich­te und Augsburgs evangelisc­hen Traditione­n. Seine Doktorarbe­it „Bürgertum und Kirche in Augsburg im Spätmittel­alter“war das Vorspiel.

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Foto: Fred Schöllhorn Rolf Kießling hat ein neues Bild von Schwaben geprägt.

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