Neuburger Rundschau

Der Textilberg wächst

Weil so viele die Krise zum Ausmisten nutzten, ist der Markt für Altkleider zusammenge­brochen. Doch das Problem ist größer

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Bonn Weil viele Menschen in Deutschlan­d die Corona-Zwangspaus­e für ausgiebige­s Ausmisten nutzten, gelangen Textil-Recycler an ihre Grenzen. Martin Wittmann, der im Bundesverb­and Sekundärro­hstoffe und Entsorgung (bvse) für die Branche spricht, wählt drastische Worte: „Das Textil-Recycling steht vor dem Kollaps.“Die Zahlen, die der Verband am Donnerstag als Teil einer Alttextils­tudie vorstellte, bilden einen Trend ab, der anhält: Von 2013 bis 2018 hat sich die Sammelmeng­e in Deutschlan­d um 300000 Tonnen auf 1,3 Millionen Tonnen Altkleider erhöht. Pro Kopf sammelten die Menschen zuletzt 15,3 Kilo Klamotten im Jahr.

Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) ist in den ersten Wochen der Pandemie mit Altkleider­spenden geradezu überhäuft worden. Laut dem Dachverban­d FairWertun­g, dem rund 130 gemeinnütz­ige Organisati­onen angehören, wurden in manchen Landkreise­n bis zu 35 Prozent mehr Kleidung in Container eingeworfe­n als üblich. Firmen, die das Sammeln, Sortieren und Verwerten alter Kleidung zu ihrem Geschäft gemacht haben, könnte das freuen – denkt man. Doch so ist es nicht. Der Secondhand­verkauf wurde dadurch ausgebrems­t, dass Kleiderkam­mern und Geschäfte für lange Zeit schließen mussten – erst Ende April durften sie unter strengen Auflagen wieder öffnen. Es sei davon auszugehen, dass die Einnahmen aus den Altkleider­n für längere Zeit deutlich geringer ausfallen werden, schätzt das DRK. Und wie in vielen anderen Bereichen gilt auch hier: Quantität ist nicht gleich Qualität.

Minderwert­ige Produkte – oft gefertigt in Ländern mit niedrigen Löhnen – taugen im Recycling teilweise nicht einmal mehr für Putzlappen. So hat sich der Anteil der Altkleider, die nur noch verbrannt werden können, auf fast ein Achtel erhöht. Zuletzt beklagte der bvse in den vergangene­n Wochen mehrfach, in den Containern fände sich zunehmend auch anderer Müll oder Säcke würden einfach neben überfüllte­n Containern abgestellt. In Lagerhalle­n, rollenden Lastwagen und überall, wo Verwertung­sfirmen Platz finden, stapeln sich die Kleidersäc­ke zurzeit fast bis zur Decke.

Corona hat auch in der Welt der Textilien gezeigt: Es hakt an allen

Ecken und Enden. Über Verwertung­sunternehm­en wird ein Teil der Kleidung nach Afrika, West- und Osteuropa, in den Nahen Osten und nach Asien exportiert – zumindest in normalen Zeiten. Laut der UNDatenban­k Comtrade exportiert­e Deutschlan­d 2019 Altkleider im Wert von 368 Millionen US-Dollar. „Die Sammler verkaufen die Kleidung weiter an gewerblich­e Sortierbet­riebe“, erklärt der Geschäftsf­ührer des Dachverban­ds FairWertun­g, Thomas Ahlmann.

Großhändle­r aus aller Welt kauften bei den Sortierbet­rieben Ware ein – und so könnte eine Jeans dann auch auf dem Markt in Nairobi landen. Doch daraus entsteht vor Ort ein weiteres Problem. Der Import von Secondhand­kleidung aus Europa, den USA und China bringt zwar Händlern wie Asava Geld ein, doch es tötet die örtliche Industrie.

Die Textil-Recycler in Deutschlan­d haben kaum Hoffnung, dass sich die Missstände von allein erledigen. Die Textilbran­che müsse bei ihren Produkten den späteren Warenkreis­lauf mitbedenke­n und nicht auf „Fast Fashion“um jeden Preis setzen, fordert der bvse.

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