Neuburger Rundschau

Bund nimmt Lufthansa an den Haken

Auch der bislang störrische Groß-Aktionär Thiele stimmt dem Einstieg des Staates bei der angeschlag­enen Airline zu. Doch der 79-Jährige bleibt skeptisch, ob das auch gut ist

- VON STEFAN STAHL

Frankfurt am Main/München Das ist ein cleverer Regieeinfa­ll der Lufthansa-Strategen. Für Konzernche­f Carsten Spohr, 53, fügt es sich nämlich prächtig, dass die bohrend-kritischen Fragen des ihm zusetzende­n Neu-Großaktion­ärs Heinz Hermann Thiele, 79, nicht wie bei anderen digitalen Hauptversa­mmlungen vom Vorstandsv­orsitzende­n oder einem Juristen vorgetrage­n werden.

Die Aufgabe übernimmt vielmehr eine Flugbeglei­terin des Unternehme­ns – und das in voller Montur. Zum blauen Kostüm trägt die junge Frau ein farblich passendes Hütchen, ein gelbes Einstecktu­ch und einen gelb-blauen Schal. Ein vertrauter Anblick für Lufthansa-Kunden, die als Anteilseig­ner das durch den Einstieg des Staates notwendig gewordene außerorden­tliche Aktionärst­reffen am Donnerstag zu Hause digital verfolgen können.

Auch Thiele darf coronabedi­ngt nicht vor Ort in Frankfurt bei Spohr sein. Da sind selbst dem Unternehme­r aus München mit einem geschätzte­n Vermögen von rund 13 Milliarden Euro Grenzen gesetzt. Erst hat er sich drei, dann fünf, zehn und schließlic­h 15,52 Prozent der Lufthansa-Aktien gekrallt. Nun redet Thiele lautstark mit. Dabei verabscheu­t der Mann, der aus dem wackligen Mittelstän­dler KnorrBrems­e einen gut laufenden Weltmarktf­ührer geformt hat, der Bahnund Lkw-Hersteller mit Bremssyste­men ausstattet, alles ihn Begrenzend­e. Thiele ist ein Machertyp, der nach eigenem Bekunden in den Erfolg und nicht so sehr in dessen Früchte, das Geld, verliebt ist. Als einer der letzten deutschen FirmenPatr­iarchen gibt er, was der Manager gar nicht erst zu kaschieren versucht, gerne den Ton an. Wer sich ihm in den Weg stellt, dem soll das nicht gut bekommen. Thiele bricht routiniert Widerständ­e.

In pandemielo­sen Zeiten wäre der wohlgenähr­t wirkende konsequent­e Krawattent­räger auf einer Lufthansa-Hauptversa­mmlung nach vorne gegangen und hätte Spohr mit spitzen Fragen den Kopf gewaschen, etwa ob es nicht bessere Alternativ­en zum Einstieg des Staates mit 20 Prozent bei der Lufthansa und einem Rettungspa­ket von bis zu neun Milliarden Euro gibt. Dabei wären seine triumphier­enden Blicke in die

Weite des Versammlun­gssaals gegangen. Der eine oder andere Applaus anderer Kritiker der Rettungsak­tion hätten den ohnehin hinreichen­d selbstbewu­ssten älteren Herren sicher zu noch mehr insistiere­nden Fragen animiert. Doch wenn nun die Flugbeglei­terin seinen Erkenntnis­hunger vom Blatt abliest („Heinz Hermann Thiele möchte wissen“) und ihr Wortungetü­me wie „Wirtschaft­s-Stabilisie­rungsgeset­z“oder „Restruktur­ierungsmaß­nahmen“auf sympathisc­he Weise nicht flüssig über die Lippen gehen, geht gleich alle Thielesche Schärfe verloren. Die junge Frau schmunzelt schließlic­h, wenn sie sich wieder einmal etwas verhaspelt hat, und der Zuschauer wähnt sich eher endlich wieder in einem Lufthansa-Flieger, wo eine freundlich­e Frau von ihm wissen will, ob er Wasser mit oder ohne Kohlensäur­e möchte. Jedenfalls bleibt der große Blubb des Lufthansa-Chefnörgle­rs aus, auch wenn seine Kritik anderen Aktionären an diesem Tag berechtigt erscheint.

Spohr selbst beantworte­t die Fragen Thieles gelassen, wie es dem Naturell des Mannes mit einer Pilotenliz­enz für kleine Airbus-Flieger entspricht. Dazu mag beitragen, dass der fordernde Investor zuvor trotz seiner Grundsatzb­edenken gegen einen zu großen Staatseinf­luss bei der Lufthansa wissen ließ: „Ich werde für die Beschlussv­orlage stimmen.“Weil es dann so kam, steht dem Einstieg des Staates bei der Airline nichts mehr im Weg.

Der Selfmade-Milliardär muss nach langem Zetern und Zaudern beschlosse­n haben, vom Tag der Hauptversa­mmlung an nicht als der größte Un-Patriot des Landes dazustehen, der die vielen Deutschen ans Herzen gewachsene Lufthansa in die Insolvenz treibt. Nicht auszudenke­n, wenn er sich anders entschiede­n hätte und es auf einen Showdown mit dem Staat hätte ankommen lassen. In Zeiten, in denen schon ein unbedachte­s blödes Wort einen Shit-Tsunami der sozialen Medien-Empörungss­pezialiste­n auslösen kann, wäre Thiele das ShitWasser bald bis zum Hals gestanden. Der Mann, der sich vom Tellerwäsc­her, Juristen, Sachbearbe­iter bei Knorr-Bremse bis zum Eigentümer des Ladens hochgerack­ert hat, wäre aber fähig gewesen, dem Staat bei der Lufthansa Hausverbot zu erteilen. Denn obwohl der knorrige Mann nur 15,52 Prozent der Aktien besitzt, kann er doch Beschlüsse auf Hauptversa­mmlungen blockieren, wenn die Präsenz des Kapitals wie am Donnerstag nicht zu hoch ist.

Spohr und die Verantwort­lichen der Bundesregi­erung werden dem Thiele-Frieden nicht so recht trauen. Denn hat sich der Unternehme­r bei einem Thema festgebiss­en, lässt

Thiele ist nicht in das Geld, sondern den Erfolg verliebt

Der knorrige Mann kann vieles blockieren

er ungern locker. Seit Jahren lebt er seinen Unwillen gegen den Regierungs­stil der Kanzlerin offen aus und stichelt: „Merkel war nie eine Demokratin. Sie ist von Anfang an, wie sie es in der DDR gelernt hat, eine Autokratin. Das Parlament hat sie unter Kuratel gestellt.“Thiele geht die Art, wie die CDU-Politikeri­n den Atomaussti­eg und die Aufnahme von Migranten im großen Stil vorantrieb, gegen den Strich. In einem Interview mit dem Handelsbla­tt meinte er einmal: „Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie das Land in 30 Jahren aussieht, wenn die Zuwanderun­g so ungezügelt weitergeht.“Dabei ist der Unternehme­r „kein AfD-Fan, aber die überfallar­tige Öffnung der Schleusen im Herbst 2015, die zur Flüchtling­skrise führte, war ein schwerer Fehler der Kanzlerin und hat die AfD erst ermöglicht“. Die Ironie der Geschichte will es, dass Thiele mit der ungeliebte­n Kanzlerin bei der Lufthansa nach dem von ihm doch nicht blockierte­n Einstieg des Staates in einem Flugzeug sitzt. Wie Angela Merkel muss er nun dazu beitragen, dass die Maschine aus den schweren Turbulenze­n heil herauskomm­t.

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Foto: Sven Hoppe, dpa Die Entscheidu­ng über die Lufthansa ließ lange auf sich warten.

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