Wie tief sinkt Juan Carlos noch?
Der frühere spanische König galt als Held. Dann reihte er Skandal an Skandal. Inzwischen droht ihm gar eine Anklage. Sein Sohn Felipe, der ihm vor sechs Jahren auf den Thron folgte, versucht den Ruf des Königshauses zu retten. Doch auch er hat jetzt ein P
Madrid Wie tief der Absturz von Juan Carlos I. ist, wie weit nach unten es für den früheren spanischen König noch gehen könnte und was sein Fall bedeutet – das zeigt ein flüchtiger Blick in die Zeitungen. So schrieb die La Vanguardia kürzlich: „Als wäre das Land nicht bereits genug gebeutelt durch den Streit zwischen Regierung und Opposition wegen des Managements der Pandemiekrise. Diese neue Nachricht verstärkt die allgemeine Instabilität.“Die Onlinezeitung El Diario nannte sie „eine Bombe“. Der alte König sei zum größten Problem für den Fortbestand des Königshauses geworden. Und El Independiente schloss sich an: „Juan Carlos, der Henker der Monarchie“.
Millionenschwere Schmiergelder, Geldwäsche über Konten in der Schweiz, Steuerhinterziehung: Die Vorwürfe gegen Juan Carlos, jahrzehntelang königliches Staatsoberhaupt des Landes, wiegen schwer. So schwer, dass die Staatsanwaltschaft des Obersten Gerichts in Madrid – und das war die Nachricht, die wie eine Bombe einschlug – die Ermittlungen an sich zog. Um zu entscheiden, ob gegen den 82-jährigen König im Ruhestand Anklage erhoben wird.
Dass es tatsächlich so weit kommt, gilt als nicht unwahrscheinlich. Der mit den Ermittlungen beauftragte Juan Ignacio Campos trete für eine Abschaffung der Monarchie ein, hieß es; Spaniens linke Regierung ließ in einer ersten Reaktion verlauten, dass vor der Justiz alle gleich seien. Und so ist der Schaden für das Ansehen der spanischen Monarchie schon jetzt groß. Das wiederum sagen nicht Journalisten oder Adelsexperten – das sagt Spaniens Regierungschef Pedro Sánchez. „Die Sache hat in der Öffentlichkeit Bestürzung ausgelöst.“
Nun ist das spanische Königshaus reich an Skandalen – der neue, mutmaßliche Finanzskandal jedoch könnte die Zukunft der Krone, auf Spanisch „corona“, ernsthaft gefährden – eine „Corona-Krise“ganz eigener Art. Eine, die weit über die königliche Familie hinausreicht und die Stoff für gleich mehrere Verfilmungen bieten würde – vom Familiendrama bis hin zum internationalen Wirtschaftskrimi.
König Felipe VI., der 2014 den Thron von seinem Vater übernahm, brach bereits öffentlich mit Juan Carlos, um den Schaden zu begrenzen. Und dies mit einer Erklärung, die einer Bestätigung aller Vorwürfe gleichkam: Er habe nichts von den Machenschaften seines Vaters gewusst, sagte der 52-Jährige. Angesichts der unklaren Herkunft des väterlichen Vermögens verzichtete er auf jeglichen finanziellen Erbanspruch. Zudem strich er ihm die Apanage, rund 200000 Euro jährlich, die der Altkönig seit seiner Abdankung erhielt.
„Die Krone muss die Würde der Institution gewährleisten, ihr Ansehen bewahren und ein ehrliches und transparentes Verhalten an den Tag legen“, erklärte Felipe zwar. Doch auch die öffentliche und unmissverständliche Distanzierung von seinem Vater scheint das ohnehin angekratzte Ansehen des Königshauses kaum mehr retten zu können. Umfragen zufolge ist es auf einem Tiefpunkt angelangt – und das, wo das Königshaus einst die populärste Einrichtung Spaniens war.
Dabei hatten König Felipe und seine fünf Jahre jüngere Frau, Königin Letizia, jahrelang versucht, das Ansehen der Monarchie durch vorbildliches Verhalten aufzupolieren: Felipe untersagte den Mitgliedern des Königshauses, Geschenke anzunehmen. Er kürzte sein eigenes Gehalt um 20 Prozent. Und er verordnete dem Palast mehr finanzielle Transparenz. Vorübergehend zeitigte das Erfolg, doch spätestens mit den Ermittlungen gegen Juan Carlos hat es damit ein Ende. Königshausexperten gehen sogar davon aus, dass dessen Schmiergeldaffäre noch deutlich schlimmere Folgen für das Ansehen des Hofes haben könnte als die Verurteilung des korrupten königlichen Schwiegersohns Iñaki Urdangarin. Der Ehemann von Prinzessin Cristina, der Schwester Felipes, sitzt wegen dubioser Geschäfte hinter Gittern – verurteilt im Jahr 2017 wegen Korruption und Steuerbetrugs zu sechs Jahren Haft. Droht nun Juan Carlos ein ähnliches Schicksal?
Schon in dieser Betrugsaffäre fiel ein großer Schatten auf den früheren König. Zeugenaussagen zufolge soll er von den krummen Geschäften Urdangarins gewusst und dabei mitgemischt haben. Urdangarin hatte, das brachten die Ermittlungen zutage, von 2004 bis 2006 seinen Einfluss als Mitglied des Königshauses ausgenutzt, um Aufträge für seine Consulting-Firma zu erhalten und um sich öffentliche Millionengelder zu erschleichen. Die Einnahmen schleuste er über Briefkastenfirmen in Panama und in anderen Finanzparadiesen am Fiskus vorbei. Felipe entzog deshalb seiner Schwester Cristina und deren Ehemann Iñaki Urdangarin den Ehrentitel „Herzöge von Palma“. Das Königshaus dürfen sie nicht mehr repräsentieren.
Trotz der Zeugenaussagen blieb Juan Carlos von der Justiz unbehelligt. Seine fragwürdigen Geschäfte waren viele Jahre ein Tabu in SpaGenauso wie seine zahlreichen Geliebten, mit denen er seine Ehefrau, Königin Sofía, betrog. Oder seine umstrittenen Großwildjagden, bei denen er in Afrika auf Elefantenund Löwenjagd ging.
Das Tabu brach erst, nachdem eine seiner letzten außerehelichen Eroberungen zu plaudern begann: Die deutsche Geschäftsfrau Corinna zu Sayn-Wittgenstein berichtete 2015 einem hohen spanischen Polizeioffizier, der das vertrauliche Gespräch heimlich aufnahm, dass Juan Carlos in der Schweiz Millionen versteckt habe. Und auch, dass er über Strohmänner undurchsichtige Finanzoperationen getätigt habe, die man als Geldwäsche bezeichnen könne. Der wohl schlimmste Vorwurf Sayn-Wittgensteins lautete: Juan Carlos habe für die Vermittlung eines Milliardengeschäftes zwischen der spanischen Industrie und Saudi-Arabien eine millionenschwere Kommission kassiert.
Das Geschäft ist als „Jahrhundertauftrag“bekannt, den Juan Carlos für die spanische Wirtschaft einfädelte: der Bau einer Schnellzugstrecke von Medina nach Mekka, die 2018, zehn Jahre nach der Ausschreibung, fertiggestellt wurde. Auftragswert des „Wüsten-Zuges“: 60 Milliarden Euro. Und so wird der Skandal, in den Juan Carlos vernien. strickt sein soll, denn auch genannt: „Wüsten-Zug-Affäre“. Die Frage, auf die Spanien jetzt eine Antwort erwartet: War das frühere königliche Staatsoberhaupt bestechlich?
Für Corinna zu Sayn-Wittgenstein dürfte die Antwort offenkundig sein. „Er unterscheidet nicht zwischen dem, was legal ist und was illegal ist“, sagte sie einmal. Im Jahr 2018 waren Audiobänder mit ihren brisanten Aussagen von spanischen Medien veröffentlicht worden. Daraufhin starteten Staatsanwälte in der Schweiz und in Spanien Ermittlungen und brachten allerhand Verdächtiges ans Licht.
Demzufolge sollen zum Beispiel 2008 auf Juan Carlos Schweizer Konto rund 100 Millionen Dollar eingegangen sein. Absender der Summe war, so heißt es, die saudiarabische Regierung. 2010 soll der alte König dann nach Aussage seines Schweizer Vermögensverwalters mit einem Koffer voller Dollarnoten im Wert von 1,7 Millionen Euro in Genf aufgetaucht sein, um die Summe bei seiner Bank einzuzahlen. Weitere verdächtige Zahlungsvorgänge, die offenbar auch über Schweizer Konten der Ex-Geliebten Sayn-Wittgenstein liefen, werden noch untersucht.
Aktuell befassen sich die spanischen Staatsanwälte mit einer möglichen Anklage von Juan Carlos. Was nicht einfach ist. Denn: „Die Person des Königs ist unantastbar“, legt die spanische Verfassung fest. Der König kann somit nur für seine Handlungen nach seiner Abdankung im
Juni 2014 strafrechtlich verfolgt werden. Hat Juan Carlos nach seiner Abdankung ausländische Konten benutzt, um Geld vor dem Finanzamt zu verstecken? Können das die Staatsanwälte bejahen, würde eine Anklage wegen Steuerhinterziehung und Geldwäsche nahe rücken.
Unter den Fragen, die die Spanier derzeit umtreiben, ist aber auch die folgende, grundsätzlichere: Wie konnte jener Mann, der nach Ende der Franco-Diktatur 1975 Staatschef wurde und jahrzehntelang als Garant und als Vater der spanischen Demokratie gefeiert wurde, so tief fallen?
Juan Carlos’ Widerstand gegen einen Militärputsch im Jahr 1981 ging ja in die Geschichtsbücher ein und ist unvergessen: Am 23. Februar stürmte damals ein Offizier der paramilitärischen Guardia Civil, der ehemaligen Franco-Polizei, mit einer Handvoll Kumpanen und gezogener Pistole ins Parlament. Die Eindringlinge erklärten die demokratisch gewählte Regierung für abgesetzt. Ein Teil des Militärs schien bereit, den Putsch gegen die junge Demokratie zu stützen. Spanien hielt für einen Moment in seiner Geschichte gewissermaßen den Atem an. König Juan Carlos, zu diesem Zeitpunkt 43 Jahre alt, zog seine Generalsuniform an und forderte die Putschisten per TV-Ansprache auf: „Im Interesse Spaniens befehle ich Ihnen, die Einheiten zurückzuziehen.“Das Militär gehorchte, der Aufstand brach in sich zusammen, die demokratische Zukunft Spaniens war gerettet.
Diesen Einsatz für die Demokratie rechnen viele Spanier Juan Carlos
Juan Carlos soll Schmiergeld erhalten haben
„Es tut weh“, sagt die Königshaus-Expertin
bis heute hoch an. Dass er seinen Ruf durch Unehrlichkeit, Frauengeschichten und luxuriöse Ausschweifungen verspielte, schmerzt sie. „Es tut weh“, sagt zum Beispiel die Königshaus-Expertin Victoria Prego, „wie das gigantische öffentliche Werk des Königs zerstört wird – und zwar durch den König selbst.“
Der Satz trifft, in abgeschwächter Form, allerdings ebenso auf seinen Sohn Felipe zu, der am 19. Juni sechsjähriges Kronjubiläum feierte. Wenngleich Feierstimmung im Zarzuela-Palast in der Hauptstadt Madrid nicht recht aufkommen wollte. Und das lag an der „FlitterwochenAffäre“, die durch immer neue Enthüllungen nach wie vor Gesprächsstoff bietet.
Im Mittelpunkt dieser Affäre steht die Hochzeitsreise von Felipe und seiner Frau Letizia. Die Reise der beiden, die im Mai 2004 heirateten, ist zwar 16 Jahre her. Doch die Einzelheiten sind wie ein Staatsgeheimnis gehütet worden. Vermutlich aus der Sorge heraus, dass die Kosten der zweimonatigen TraumTour in der Bevölkerung nicht besonders gut ankommen würden. Eine berechtigte Befürchtung. Denn wenn stimmt, was die britische Zeitung The Telegraph berichtete, dann hat die Reise des frischvermählten Paares nach Jordanien, Asien und in die Karibik 467000 Dollar verschlungen – rund 200000 Dollar soll Felipes Vater Juan Carlos bezahlt haben, den Rest ein befreundeter spanischer Unternehmer und Segelfreund.
Selbst für ein Königshaus sind solche Summen alles andere als eine Kleinigkeit. Umso mehr mit Blick darauf, dass Spaniens Hof mit Steuergeldern finanziert und der König ein Jahresgehalt bezieht, das inzwischen bei 243 000 Euro liegt. Damals war lediglich mitgeteilt worden, dass die Reise ein Geschenk von Juan Carlos gewesen sei. Heute, mit dem Wissen um dessen mutmaßliche Schmiergeld-Geschäfte, könnte sie sich als vergiftetes Hochzeitsgeschenk erweisen. Staatsanwälte in der Schweiz und in Spanien ermitteln hinsichtlich der Geheimkonten von Juan Carlos ohnehin schon länger – auch hier wegen Geldwäsche und Steuerbetrugs.