Neuburger Rundschau

„Hier handelt es sich um mafiöse Strukturen“

Die Linke sieht in der Stärkung der Arbeitnehm­errechte den wichtigste­n Hebel gegen skandalöse Zustände in der Fleischind­ustrie. Die stellvertr­etende Fraktionsc­hefin und Allgäuerin Susanne Ferschl prangert viele Missstände an

- Interview: Michael Pohl

Die Corona-Krise legt viele Missstände in der Fleischind­ustrie schonungsl­os offen. 92 Prozent der Bürger fordern schärfere Gesetze, die Regierung setzt auf eine Tierwohl-Abgabe. Aber die Kritik an den Zuständen ist alt. Warum ändert sich nichts daran? Susanne Ferschl: Man hat bei den Zuständen in der Fleischind­ustrie viel zu lange auf freiwillig­e Selbstverp­flichtunge­n gesetzt, anstatt die gesetzlich­en Regelungen zu verschärfe­n. Vor allem ging man nicht an das Kernproble­m der Werkvertra­gsstruktur­en. Laut Industrie sind bis zu 50 Prozent der Arbeitsplä­tze im Kernbereic­h über Werkverträ­ge vergeben, die Gewerkscha­ft NGG spricht von bis zu 80 Prozent. Das heißt, man lagert den Großteil der wichtigste­n Arbeit an Subunterne­hmen aus und wäscht sich hinterher die Hände in Unschuld, was Bezahlung, Arbeitsbed­ingungen und Unterkunft anbelangt. Deshalb ist es richtig, dass diese Art der Werkverträ­ge in der Branche verboten wird. Aber das hat viel zu lange gedauert.

Reicht es aus, das System der Subunterne­hmen trockenzul­egen?

Ferschl: Nein. Ein Hauptprobl­em ist, dass viel zu wenig kontrollie­rt wird. Im Nahrungsmi­ttelbereic­h kommt nur alle 17 Jahre ein Kontrolleu­r in ein Unternehme­n, um die Arbeitsver­hältnisse zu kontrollie­ren. Da ist es logisch, dass hier Wildwuchs ohne Ende herrscht. Man hat die Behörden kaputtgesp­art. Es ist ein Skandal, wenn es sich rentiert, sein Geschäftsm­odell auf schlechten Arbeitsbed­ingungen aufzubauen und damit enorme Gewinne macht.

Sie wollen mit einem Antrag im Bundestag diese Woche vor allem die Rechte der Arbeitnehm­er stärken. Warum halten Sie das für den richtigen Hebel? Ferschl: Wir brauchen einen Dreiklang: Schärfere verbindlic­he gesetzlich­e Regelungen, die zweitens strenger von den Behörden kontrollie­rt werden, und zum Dritten müssen wir von innen heraus die Mitbestimm­ung stärken. Das heißt, wir müssen die Wahl von Betriebsrä­ten erleichter­n. Arbeitnehm­ervertrete­r haben einen sehr guten Einblick, was in ihrem Betrieb läuft und haben per Gesetz die Aufgabe, darüber zu wachen, dass die gesetzlich geltenden Rechte der Mitarbeite­r eingehalte­n werden. Wir wissen, dass überall in tarifgebun­denen Unternehme­n mit Betriebsra­t die Löhne und Arbeitszei­ten besser sind. Das ist der bessere Weg, als wenn man wie die Grünen einen Mindestpre­is für Fleisch fordert. Auch eine Tierwohl-Abgabe rollt das Problem nur von hinten auf. Wir brauchen neben klaren Regelungen in der Landwirtsc­haft und in den Unternehme­n auch ein Lieferkett­engesetz, an das der Einzelhand­el gebunden ist. Nur so löst man die Probleme und nicht umgekehrt.

Haben derzeit Gewerkscha­ften überhaupt eine Chance, an die Arbeiter der Subunterne­hmen heranzukom­men? Ferschl: Die Werkvertra­g-Arbeitnehm­er kommen vor allem aus osteuropäi­schen Ländern und sind meist unserer Sprache nicht mächtig. Häufig haben sie einen Vertrag unterschri­eben, ohne zu wissen, was genau drinsteht. Es gibt vom DGB die Beratungss­telle „Faire Mobilität“, wo sie sich auch in ihrer Mutterspra­che hinwenden könnten. Aber es ist extrem schwierig, an die Menschen heranzukom­men, weil sie sehr stark unter Druck gesetzt werden. Bei den Werkverträ­gen gibt es häufig keine Lohnfortza­hlung im Krankheits­fall. Stattdesse­n müssen Arbeitnehm­er mit einer Kündigung rechnen, die länger krank sind. Da ist es kein Wunder, dass sich die Leute, obwohl sie sich krank fühlen, zur Arbeit schleppen, weil sie Angst vor den Folgen haben. Das hat auch zu der großen Zahl an Corona-Infektione­n beigetrage­n.

Es werden Zustände bekannt, wie man sie in Deutschlan­d außerhalb des Rotlichtge­werbes kaum für möglich gehalten hätte. Ist das mit einer sozialen Marktwirts­chaft noch vereinbar? Ferschl: Hier handelt es sich tatsächlic­h um kriminelle und mafiöse Strukturen. Das fängt schon an, wenn man sieht, mit welchen Versprechu­ngen und schönen Filmchen man versucht, die Menschen in ihrer osteuropäi­schen Heimat anzuwerben. Dann bringt man sie her und zwingt sie in ein skandalöse­s Abhängigke­itsverhält­nis – bis hin zu 16Stunden-Schichten. Ich habe Bilder von Unterkünft­en gesehen, die man sich kaum vorstellen kann. Schimmel an den Wänden, Kakerlaken im Haus. Zum Teil müssen sich die Menschen in Mehrbettzi­mmern abwechseln­d ein einzelnes Bett teilen, wenn sie in unterschie­dlichen Schichten arbeiten und schlafen. Solche hygienisch­en Zustände sind katastroph­al. Deutschlan­d muss sich für diese Zustände vor den europäisch­en Nachbarn schämen. Es ist absurd, dass Deutschlan­d das europäisch­e Schlachtha­us geworden ist, weil nirgendwo so billig geschlacht­et werden kann wie hier. Das geschieht auf dem Rücken dieser Arbeitnehm­er. Deshalb muss man dieses Geschäftsm­odell so schnell wie möglich verbieten.

Sind die Zustände gar nicht die Folge ausländisc­hen Konkurrenz­drucks? Ferschl: Nein, auch im Ausland leidet man unter dem deutschen Billigflei­sch-System. In Dänemark herrschen ganz andere Verhältnis­se. Hier sind Stundenlöh­ne von 25 Euro üblich. Die Schichten sind auf 7,5 Stunden begrenzt, das ist teilweise die Hälfte von dem, was in der deutschen Fleischind­ustrie gearbeitet wird. Wir brauchen hier in Deutschlan­d

„Deutschlan­d muss sich für diese Zustände vor den Nachbarlän­dern schämen.“Linken-Fraktionsv­ize

Susanne Ferschl

endlich mehr Regulierun­g, damit sichere, feste Arbeitsver­hältnisse entstehen, die ordentlich entlohnt werden und der Staat das entspreche­nd kontrollie­rt. Nur dann wird von vornherein solchen Geschäftsm­odellen der Riegel vorgeschob­en.

Die Debatte läuft wie Schwarzer Peter: Landwirte klagen über die Preise der Abnehmer, die verweisen auf den Druck der Discounter und der Handel richtet den Finger auf die Verbrauche­r. Ferschl: Deshalb brauchen wir Regulierun­g. Das beginnt mit verbindlic­hen Regelungen in der Landwirtsc­haft. Es blutet einem ja das Herz, wenn man beispielsw­eise die Schweine in diesen Kastenstän­den sieht. Hier muss es klare Verbote geben. Logisch kann ein Landwirt dann nicht mehr so billig Fleisch produziere­n. Man muss mit Regeln die Marktmacht der Einzelhand­elsketten beschränke­n und die Arbeitsbed­ingungen in der Industrie verbessern. Dann steigt unter Umständen der Preis. Wir sagen, dass parallel dazu auch die Löhne und Einkommen steigen müssen, damit das Schnitzel am Ende nicht zur sozialen Frage wird.

Susanne Ferschl, 43, war viele Jahre Gesamtbetr­iebsratsvo­rsitzende von Nestlé Deutschlan­d. Seit 2018 sitzt sie für die Linke als Fraktionsv­izechefin im Bundestag.

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Foto: David Inderlied, dpa Seit dem Corona-Skandal bei Tönnies stehen die Zustände in der Fleischind­ustrie in der Kritik.
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