Neuburger Rundschau

Was wird aus Hongkong?

23 Jahre nach der Rückgabe der einstigen britischen Kolonie an China beschließt Peking ein neues Sicherheit­sgesetz. Kritiker befürchten den Todesstoß für die Autonomie

- VON FABIEN KRETSCHMER

Peking Mit Blumen gegen die Macht Pekings. Anhänger der Hongkonger Zivilgesel­lschaft rufen am Dienstag im Netz dazu auf, Blumensträ­uße an die Ausgänge der Metrostati­onen niederzule­gen. Mit der symbolisch­en Geste sollen nicht nur die Opfer der Protestbew­egung im letzten Jahr betrauert werden, sondern auch der Todesstoß für das Prinzip „ein Land, zwei Systeme“. Das Verspreche­n auf Autonomie hat Chinas Präsident Xi Jinping nach Ansicht vieler Hongkonger mit der Unterzeich­nung des Nationalen Sicherheit­sgesetzes am Dienstag zu Grabe getragen. Zuvor haben 162 Abgeordnet­e des Ständigen Ausschusse­s des Volkskongr­esses das Dekret einstimmig angenommen.

Bereits auf dem Nationalen Volkskongr­ess Ende Mai in Peking hatte die chinesisch­e Staatsführ­ung das umstritten­e Gesetz angekündig­t. In den darauffolg­enden Wochen wurde es in ungewöhnli­cher Eile ausgearbei­tet und nun verabschie­det. Schließlic­h soll es pünktlich am 1. Juli – dem 23. Jahrestag der Übergabe von den Briten an Festlandch­ina – in Kraft treten. Es soll vier Straftatbe­stände enthalten: Untergrabu­ng der Staatsgewa­lt, Sezession, Kollaborat­ion mit ausländisc­hen Mächten und Terrorismu­s. Klar ist, dass Peking mit dem Gesetz auf die Protestbew­egung abzielt. Nicht klar ist hingegen, wie die konkrete Umsetzung geplant ist: Will die Zentralreg­ierung lediglich den radikalen, gewaltbere­iten Kern der Bewegung ausschalte­n? Oder das gesamte pro-demokratis­che Lager mundtot machen? Wird die Kommunisti­sche Partei gar Gerichte in der Finanzmetr­opole installier­en?

In den letzten Tagen und Wochen haben chinesisch­e Staatsmedi­en die westliche Kritik als hysterisch abgetan: Das Gesetz werde nur „eine kleine Anzahl“an Hongkonger­n überhaupt betreffen, hieß es immer wieder. Stattdesse­n würde es Recht

Ordnung sowie wirtschaft­liche Prosperitä­t wiederhers­tellen. Parlaments­chef Li Zhanshu sagte, das Prinzip „ein Land, zwei Systeme“solle „in die richtige Richtung gesteuert“werden.

Doch die bereits bekannten Details des Gesetzes lassen einen gegenteili­gen Schluss zu: Danach können einzelne Verfahren auch von chinesisch­en Gerichten durchgefüh­rt werden. Das Recht, das Gesetz zu interpreti­eren, liege zudem beim chinesisch­en Volkskongr­ess. Der Chefredakt­eur der Parteizeit­ung Global Times, Hu Xijin, schrieb, dass lebenslang­e Haft die mögliche Höchststra­fe sei.

Von der Europäisch­en Kommission hagelte es Kritik. „Diese neue Gesetzgebu­ng steht weder mit dem Grundgeset­z Hongkongs noch mit Chinas internatio­nalen Verpflicht­ungen im Einklang“, sagte Komund missionspr­äsidentin Ursula von der Leyen in Brüssel. China müsse mit „sehr negativen Konsequenz­en“rechnen. Die Drohung dürfte Peking jedoch kaum beeindruck­en: Dass sich die EU-Länder oder auch nur einzelne Mitgliedst­aaten zu Wirtschaft­ssanktione­n durchringe­n werden, gilt als absolut unwahrsche­inlich. Aus Washington kommen ganz andere Töne: Die Regierung von US-Präsident Donald Trump hat bereits angekündig­t, Visa-Beschränku­ngen gegen Chinesen im Zusammenha­ng mit dem Nationalen Sicherheit­sgesetz einzuführe­n. Der Senat hat zudem eine Gesetzesvo­rlage eingereich­t, die Sanktionen gegen chinesisch­e Regierungs­beamte, Geschäfte und Banken vorsieht.

„Zum ersten Mal in Hongkongs Geschichte wurde ein entspreche­ndes

Für Mittwoch wurden alle Demonstrat­ionen verboten

Gesetz verabschie­det, jedoch kennt niemand in der Stadt dessen Bestimmung­en, nicht einmal die höchstrang­ige Regierungs­vertreteri­n. Allein das beweist, dass Hongkong nicht länger autonom ist“, schreibt Alex Lam, Reporter bei der pro-demokratis­chen Zeitung Apple Daily. Allerdings sollen ein paar wenige Hongkonger Regierungs­vertreter das Gesetz zuvor eingesehen haben. Regierungs­chefin Carrie Lam soll jedoch nicht unter ihnen gewesen sein. Lam versichert­e jedoch, dass das Gesetz die rechtliche Unabhängig­keit von Hongkongs Gerichten nicht antasten würde.

Der 1. Juli, also der Mittwoch, ist fast schon traditione­ll der wichtigste Demonstrat­ionstag des prodemokra­tischen Lagers. In diesem Jahr ist erstmals keine Protestver­anstaltung genehmigt worden. Mitbegründ­er Joshua Wong, schrieb auf Twitter, das neue Sicherheit­sgesetz stelle „das Ende von Hongkong dar, wie die Welt es bisher gekannt hat“.

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Foto: Paul Hilton, dpa Nebel und dunkle Wolken lassen die Silhouette Hongkongs auf dieser Ansicht im Ungefähren verschwimm­en. Das trifft die politische Stimmung.

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