China greift hart durch
Sicherheitsgesetz für Hongkong ist noch schärfer als erwartet. Abspaltungstendenzen sollen im Keim erstickt werden
Hongkong/Peking Bei Protesten gegen das strenge neue Gesetz für nationale Sicherheit in Hongkong sind dutzende Demonstranten festgenommen worden. Am 23. Jahrestag der Rückgabe der früheren britischen Kronkolonie 1997 an China ging die Polizei mit Tränengas, Wasserwerfern und Pfefferspray vor, um die nicht genehmigten Proteste mit tausenden Teilnehmern im Keim zu ersticken. Die erste Festnahme nach dem neuen Gesetz galt am Mittwoch einem jungen Mann, der eine Flagge mit dem Ruf nach Unabhängigkeit Hongkongs gezeigt hatte.
Das neue Sicherheitsgesetz ist noch schärfer ausgefallen als erwartet. Es gibt Chinas Organen weitreichende Vollmachten in der eigentlich autonomen Sonderverwaltungsregion. Als Höchststrafe ist lebenslange Haft vorgesehen, wie aus dem Text hervorgeht, der erst in der Nacht zum Mittwoch veröffentlicht wurde. Obwohl den Hongkongern bei dem Souveränitätswechsel 1997 Freiheitsrechte und Autonomie garantiert worden waren, können chinesische Stellen in Hongkong künftig eigenmächtig Ermittlungen ausführen und Rechtshoheit ausüben. „Es markiert das Ende von Hongkong,
wie die Welt es kannte“, meinte der bekannte Hongkonger Aktivist Joshua Wong.
Bundesaußenminister Heiko Maas forderte ein gemeinsames Vorgehen der Europäischen Union gegenüber China. Das neue Sicherheitsgesetz sei „außerordentlich besorgniserregend“, sagte Maas im ZDF. Es werde das Verhältnis der EU zu China beeinflussen. US-Außenminister Mike Pompeo sprach von einem „drakonischen“Gesetz, mit dem China die Autonomie Hongkongs zerstöre. Die USA würden nicht tatenlos zusehen.
Nach dem neuen Gesetz ist in Hongkong seit Mittwoch vieles verboten, was vorher durch das Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt war. So waren aus Angst vor Verfolgung auch deutlich weniger Menschen auf der Straße als bei früheren Protesten, bei denen Millionen zusammenkamen.
Das Gesetz stößt auf scharfe Kritik, weil es chinesischen Agenten künftig erlaubt, in Hongkong eigenmächtig gegen Verdächtige zu ermitteln. Das Oberste Gericht Chinas kann zudem „komplizierte“Fälle, in denen es beispielsweise um ausländische Einmischung geht, an eine Staatsanwaltschaft und ein Gericht in der Volksrepublik anweisen. Damit werden Verdächtige überstellt und der nicht unabhängigen Justiz in China ausgeliefert. Ähnlich war es schon in dem Auslieferungsgesetz geplant gewesen, das vor einem Jahr die Proteste in Hongkong überhaupt ausgelöst hatte. Nach Massendemonstrationen hatte Hongkongs Regierung das Auslieferungsgesetz aber zurückgezogen. Bei den seither anhaltenden Märschen forderten die Demonstranten vor allem mehr Demokratie, wie es ihnen bei der Rückgabe 1997 in Aussicht gestellt worden war.
Stattdessen reagierte die Führung in Peking mit dem Sicherheitsgesetz, das nicht nur das Parlament Hongkongs, sondern auch dessen Justiz und ihre Schutzmechanismen umgeht. Das Gesetz richtet sich unter anderem gegen „Abspaltung“oder „Untergrabung der nationalen Einigung“. Genannt werden Bemühungen, eine Unabhängigkeit Hongkongs oder anderer Gebiete anzustreben, die Peking als Teil der Volksrepublik ansieht. Damit kann es auch um Taiwan, Tibet oder Xinjiang gehen. Bestraft wird auch „Untergrabung der Staatsgewalt“, was heute schon sehr weit interpretiert wird.