Neuburger Rundschau

Der Bruder des Papstes ist tot

Die Ratzinger-Brüder waren ihr Leben lang unzertrenn­lich – und auch am Ende noch einmal vereint. Ihr gemeinsame­r Lebenstrau­m aber platzte, als aus Joseph Ratzinger Benedikt XVI. wurde

- VON ANDREA KÜMPFBECK

Regensburg Dieses Mal wollte er nicht zu spät kommen. Denn Joseph Ratzinger, der emeritiert­e Papst Benedikt XVI., hatte es seinerzeit nicht mehr rechtzeiti­g ans Sterbebett seiner Schwester Maria geschafft. Er war damals Präfekt der Glaubensko­ngregation in Rom. Und als seine Schwester 1991 nach einem Herzinfark­t im Alter von 69 Jahren in Regensburg starb, konnte er sich nicht mehr von ihr verabschie­den.

Als sich jetzt vor zwei Wochen der Gesundheit­szustand seines Bruders Georg rapide verschlech­terte, reiste der ehemalige Papst spontan und mit Erlaubnis seines Nachfolger­s Franziskus in seine Heimat Regensburg. Ein Herzenswun­sch der beiden Brüder sei es gewesen, sich noch einmal zu sehen, sagte Christoph Neck, der Bistumsspr­echer von Regensburg. Jener Stadt, in der Joseph Ratzinger als Professor für Dogmatik an der dortigen Universitä­t eine der glücklichs­ten Zeiten seines Lebens verbracht hat, wie er immer wieder betonte.

Diesmal aber führte ihn sein Weg aus einem sehr traurigen Anlass in die Heimat: Für den selbst körperlich gebrechlic­hen und erschöpfte­n 93-jährigen Benedikt war die Reise an das Sterbebett seines älteren Bruders Georg mühevoll und anstrengen­d. Doch fünf Tage konnten die Geschwiste­r noch zusammen verbringen, sie feierten die Messe, beteten gemeinsam in Georgs Wohnung in der Regensburg­er Luzengasse – und verabschie­deten sich voneinande­r. Am Mittwoch ist Georg Ratzinger im Alter von 96 Jahren in Regensburg gestorben. Zur Beerdigung seines Bruders wird Benedikt XVI. vermutlich nicht nach Regensburg reisen können, sagte Bistumsspr­echer Neck gestern.

Die Ratzinger-Brüder standen sich zeit ihres Lebens sehr nahe. Und eigentlich hatten sich die beiden ihren Lebensaben­d ganz anders vorgestell­t. Sie wollten den Ruhestand zusammen in Regensburg verbringen, viel lesen, viel reden, viel Zeit füreinande­r haben. Doch es kam bekanntlic­h anders – und Georg Ratzinger, dieser liebenswür­dige, bescheiden­e, alte Herr mit dem schlohweiß­en Haar, war anfangs gar nicht glücklich darüber, dass sein jüngerer Bruder Joseph zu Benedikt XVI. wurde. „Ich hatte gehofft, dass dieser Kelch an ihm vorübergeh­t“, sagte er nach der Papstwahl.

Das war am 19. April 2005, jenem Tag, der für die beiden Brüder alles Georg blieb unweit des Doms mitten in der Regensburg­er Altstadt wohnen und feierte weiterhin jeden Morgen um sieben Uhr in der kleinen Stiftskirc­he St. Johann die Frühmesse. Und Joseph Ratzinger? Lebte trotz seines überrasche­nden Rücktritts 2013 zurückgezo­gen im Vatikan. Er war als Papst nur mehr ein einziges Mal daheim in Bayern, wo er in Pentling bei Regensburg ein Haus besaß. Bei diesem offizielle­n Staatsbesu­ch 2006 hatten die Brüder immerhin die Zeit, gemeinsam in Georgs Haus zu Mittag zu essen und später auf dem nahe gelegenen Friedhof in Regensburg-Ziegetsdor­f am Grab der Eltern und der Schwester zu beten.

Beide Orte besuchte Benedikt XVI. am vorvergang­enen Samstag noch einmal. Erst den Friedhof und dann – zur Überraschu­ng seiner ehemaligen Nachbarn – sein „Häusl“in Pentling, wie er das Wohnhaus selbst gerne nannte. Er ließ sich das Erdgeschos­s zeigen und auch in den ersten Stock hinauftraV­om Balkon aus warf er einen Blick in den gepflegten Garten, den er selbst angelegt hatte: auf die groß gewordenen Bäume, die blühenden Blumenraba­tten – und plauderte mit Therese und Rupert Hofbauer, die sich seit 1977 um sein Haus kümmern. Dann ließ er sich wieder ans Krankenbet­t seines Bruders Georg bringen, um ihm in seinen letzten Tagen beizustehe­n. Acht mal hat er ihn in den fünf Tagen besucht. Wohl wissend, dass sie sich in diesem Leben wohl nicht mehr wiedersehe­n werden. Mit einem „Servus Georg“und einem „Servus Joseph“sollen sich die beiden nach Angaben von Vertrauten schließlic­h auch voneinande­r verabschie­det haben. Eine Reise in die Vergangenh­eit war es gewesen, hoch emotional und höchst menschlich.

Immer wieder war der emeritiert­e Papst Benedikt XVI. seit seinem Rücktritt gefragt worden, ob er nicht doch noch einmal in seine bayerische Heimat kommen wolle. Und immer wieder hat er kategoände­rte. risch abgewunken. Weil er sich selbst die Regel auferlegt hat, sagte Joseph Ratzinger, jetzt als Mönch zu leben. Und diese Regel möchte er nicht brechen, erklärte er zuletzt Horst Seehofer, der ihn – damals noch als bayerische­r Ministerpr­äsident – 2014 in Rom besuchte und dabei natürlich auch eine Einladung nach Bayern aussprach.

Dafür kam Bayern, seine Heimat, die ihm so wichtig war und die er im Herzen trug, wie er immer wieder betonte, regelmäßig zu ihm: Zu den Geburtstag­en machten sich Reisegrupp­en mit Gebirgssch­ützen und Trachtlern, mit Alphornblä­sern und Schuhplatt­lern, mit Politikern und Geistliche­n auf den Weg in den Vatikan, um den Papst mit Musik und Brauchtum, mit bayerische­n Schmankerl­n und weiß-blauen Geschenken zu überrasche­n.

Auch Georg reiste regelmäßig nach Rom; kurz nach Weihnachte­n letzten Jahres war er ein letztes Mal im Kloster Mater Ecclesiae in den Vatikanisc­hen Gärten, wo der ehegen. malige Papst Benedikt heute lebt. „Obwohl das Alter inzwischen drückt“, wie Georg Ratzinger damals sagte. Er war wegen eines Augenleide­ns fast blind, und auch die Füße machten nicht mehr mit, sodass er auf einen Rollstuhl angewiesen war. Und zu Nikolaus am 6. Dezember schickte Georg jedes Jahr ein Paket mit Lebkuchen aus Bayern in den Vatikan, denn beide Brüder liebten Süßes.

Georg Ratzinger hatte ein eigenes Telefon, das ihn direkt mit seinem Bruder verband, der für ihn – Papst hin oder her – immer der Joseph geblieben war. Fast jeden Tag sollen die beiden miteinande­r gesprochen haben, auch wenn es zuletzt mühsam geworden war, weil beide immer schlechter hörten.

Geboren als Sohn eines Dorfpolizi­sten und einer ehemaligen Köchin 1924 in Pleiskirch­en in der Nähe des Wallfahrts­ortes Altötting, wuchs Georg Ratzinger mit seinem Bruder und der Schwester Maria in einfachen Verhältnis­sen auf. Die tief katholisch­e Familie zog oft um, weil der Vater regelmäßig versetzt wurde. Die beiden Ratzinger-Brüder besuchten gemeinsam das Studiensem­inar St. Michael in Traunstein und studierten dann nach dem Zweiten Weltkrieg Theologie. Für Joseph Ratzinger sei schon als Ministrant der Berufswuns­ch klar gewesen, verriet Georg Ratzinger einmal: Er wollte Kardinal werden.

Die Brüder wurden 1951 gemeinsam im Freisinger Dom von Kardinal Faulhaber zu Priestern geweiht. Für Georg, den „Orgel-Ratz“, wie er im Priesterse­minar genannt wurde, war schnell klar, dass er sich der Kirchenmus­ik widmen würde. Während sein Bruder Joseph, der „Bücher-Ratz“sich der Wissenscha­ft zuwandte. 1964 kam Georg Ratzinger nach Regensburg, jene Stadt, von der er sagte, dass sie „praktisch ein Stück von mir ist“.

Er wurde angesehene­r Domkapellm­eister – und gleichzeit­ig Leiter der Regensburg­er Domspatzen. Jenes weltberühm­ten Knabenchor­s, den er 30 Jahre leitete und erfolgreic­h machte. Als vor neun Jahren Misshandlu­ngen und sexueller Missbrauch bei den Domspatzen bekannt wurden, kam heraus, dass Ratzinger jähzornig und Teil des Gewaltsyst­ems bei den Domspatzen gewesen war. Er tat die Vorwürfe zunächst ab, entschuldi­gte sich dann aber dafür, Singknaben geohrfeigt zu haben, und sagte, dass er sich seit 1980 strikt an das gesetzlich­e Züchtigung­sverbot gehalten habe.

 ?? Foto: Katharina Ebel, kna ?? Georg Ratzinger, der Bruder des emeritiert­en Papstes Benedikt XVI., ist am Mittwoch im Alter von 96 Jahren in Regensburg gestorben.
Foto: Katharina Ebel, kna Georg Ratzinger, der Bruder des emeritiert­en Papstes Benedikt XVI., ist am Mittwoch im Alter von 96 Jahren in Regensburg gestorben.

Newspapers in German

Newspapers from Germany