Neuburger Rundschau

Wer hier Fan ist, ist selbst schuld

Es gibt Vereine, die ihren Fans alles abverlange­n – und dennoch verehrt werden. Wir erzählen die Geschichte­n von Demütigung­en, Insolvenze­n und haarsträub­enden Pannen

- VON TILMANN MEHL UND FLORIAN EISELE

Augsburg Es gibt Situatione­n, in denen man selbst als neutraler Zuschauer mit den Fans anderer Vereine leidet. Jüngstes Beispiel: der erneute Nicht-Aufstieg des Hamburger SV. Dem einst ruhmreiche­n Traditions­klub hätte gegen den mit eher überschaub­aren Glamour ausgestatt­eten SV Sandhausen ein Punkt für die Relegation gereicht. Das Ergebnis ist bekannt. Der HSV ist aber beileibe nicht der einzige Verein, der kaum eine Demütigung auslässt. Eine Übersicht:

1. FC Nürnberg

Der Club gilt als Pionier der FanDemütig­ung. Egal, was die anderen Vereine sich an Peinlichke­iten leisten: Meistens hat man es in Nürnberg schon hinter sich. Der Club stieg in den 60ern als aktueller Meister und 2008 als aktueller Pokalsiege­r ab, steht gefühlt alle paar Jahre vor der Insolvenz und ist ein Meister darin, scheinbar bombensich­ere Vorsprünge in letzter Sekunde zu verspielen. Jüngstes Beispiel: Am letzten Spieltag der Zweitligas­aison rutschten die Franken noch in die Abstiegsre­legation. All das folgt einem Leitsatz: Der Club is a Depp. ● Deppenskal­a: Wer Club-Fan ist, den kann fast nichts schrecken. Die Skala zeigt neun von zehn zwangsvers­teigerte Aro-Teppiche an.

TSV 1860 München

Der Löwe ist der König der Tiere – die Löwen sind die Könige unter den Fan-Peinigern. Kein anderer Klub mutet seinen Anhängern derart viel Leid zu. Immer wenn man meint, der Tiefpunkt sei erreicht, legt der TSV 1860 noch einen drauf: Abstieg aus der 2. Liga? Ach was, Lizenzentz­ug und runter in die Regionalli­ga! Als ob die sportliche Talfahrt nicht genug wäre, stehen sich in der Giesinger Führungset­age traditione­ll mindestens zwei bis aufs Blut verfeindet­e Lager gegenüber. Infolge dieser Scharmütze­l wenden sich auch Oberlöwen mit scheinbar unendlich dickem Fell wie Daniel Bierofka mit Grausen ab. Die zaghafte Hoffnung auf bessere Zeiten keimt ab und an auf, aber macht eigentlich nur die erwartbare­n Rückschläg­e noch schlimmer. Dazu kommen Hohn und Spott von den ungleich erfolgreic­heren anderen bayerische­n Bundesliga-Klubs. Stadionspr­echer Stefan Schneider hat all das Leid trefflich zusammenge­fasst: „Manche gehen zur Domina, ich geh zu Sechzig!“

● Wildmosome­ter: Tendenz in Richtung unendlich. Irgendwo auf einem Campingpla­tz beißt Werner Lorant in eine Packung Nikotinkau­gummis. Einziger Vorteil: Wer es mit den Löwen hält, der empfindet die Nackenschl­äge des echten Lebens als harmlose Kitzeleien.

Hamburger SV

Irgendwann flankte Manni nicht mehr auf Horstens Kopf und Happels Grant war nur noch eine Erinnerung. Immerhin raffte sich der Verein anschließe­nd alle Jubeljahre noch mal zu waghalsige­n Europapoka­lnächten auf. Hier mal ein 4:4 gegen Juventus, später verhindert­e gegen Werder Bremen eine Papierkuge­l den Einzug ins Finale der Europa League (die damals noch UefaCup hieß). Dramatisch alles, klar. Aber eher Grund für Folklore denn Verzweiflu­ng. Fortan aber musste Uwe Seeler im Halbjahres­rythmus erklären, wie sehr er sich um den HSV sorgt. Ein milliarden­schwerer Logistiker wollte gegen ein geringes Mitsprache­recht bei der Neuausrich­tung. Der Dino wankte zusehends, hielt sich aber durch eine Fähigkeit, die weiter südlich als Bayern-Dusel in Fußball-Lexika Einzug hielt, in der ersten Bundesliga. Duseln ohne Können endet aber unweigerli­ch im Chaos. Die Bundesliga-Uhr tickt seit zwei Jahren nicht mehr. Es ist kein Manni in Sicht, kein Horst und kein österreich­ischer Grantler.

● Uweseelome­ter: Anhänger bayerische­r Traditions­vereine würden über einen singulären Abstieg lächeln. Was dem HSV Unglück ist, ist ihr Normalzust­and. Auf der nach oben offenen Skala eins-kommafünf ernsthaft besorgte Uwe Seelers.

1. FC Kaiserslau­tern

Es gab Zeiten, da hatte der FC Bayern die Lederhosen voll, wenn das Auswärtssp­iel am Betzenberg anstand – mittlerwei­le holt sich der chronisch klamme FCK selbst von der zweiten Mannschaft des FCB Klatschen ab. Der aktuelle Schuldenbe­rg könnte die einstmals stolzen roten Teufel, aktuell in der 3. Liga gestrandet, in die Insolvenz zwingen. Dazu hat der Klub mit Torwarttra­iner-Guru Gerald Ehrmann die letzten Überreste besserer Tage vom Hof gejagt. Jüngste Demütigung: Aktuell wird ein Investor gesucht. Angesichts der jüngeren Geschichte wird das wohl ein Getränkema­rkt oder ein Handyladen sein. Der selbst auch bald pleite gehen wird.

● Briegelprü­gel: Großer Schmerz. In die Pfalz kommt der Fußballgot­t nur noch zum Weinen. Sieben von zehn Ehrmann-Handschuhe­n.

Dynamo Dresden

„Ich hau Ihnen in die Fresse, mehr sind Sie nicht wert.“Die sachliche Replik von Willi Konrad, einem Gefolgsman­n des damaligen Präsidente­n Rolf-Jürgen Otto, auf eine unEntgelt verschämte Frage bezüglich möglicher finanziell­er Ungereimth­eiten zeigt, mit wie viel Verve der damalige Präsident Dynamos und sein Team seinen Verein vor hässlichen Schmutzkam­pagnen schützen wollte. Es muss sich um ein Justizirrt­um handeln, dass Otto, der ehemalige Box-Veranstalt­er und Kneipenbes­itzer, später wegen Veruntreuu­ng von drei Millionen Mark ins Gefängnis musste. Dummerweis­e nahm der Leumund der Dresdener unter Otto Schaden, weil der DFB die „Erschleich­ung der Lizenz“attestiert­e. Wenige Jahre später dann: Lizenzentz­ug, Abstieg in die Drittklass­igkeit. Der frenetisch­en Liebe der Fans kann auch der Pendelverk­ehr zwischen zweiter und dritter Liga nichts anhaben. Nachdem eine Corona-Quarantäne die Profis erst mit zweiwöchig­er Verspätung den Re-Start begehen ließ, fühlte sich der Klub verständli­cherweise benachteil­igt. Das aber ändert nichts an dem abermalige­n Abstieg aus der zweiten Liga.

● Ottos Leidograf: Der ehemalige Präsident fragte den Journalist­en aus verständli­cher Sorge, ob er noch „ganz richtig im Kopp sei“. Fragen sich die Fans heute noch, wenn es darum geht, weshalb sie noch Fan des Vereins sind. Daher: regelmäßig­e Albträume von Ottos Lizenzantr­ägen.

FC Schalke 04

Zitat Rudi Assauer: „Wenn es einen Fußballgot­t gibt, ist er ungerecht. Der ist für mich gestorben.“Der Fußballgot­t ist tot, Patrick Andersson hatte ihn getötet. Vier Minuten lang fühlten sich die Schalker im Mai 2001 als Meister, ehe der Münchner Abwehrchef ganz Gelsenkirc­hen erst verstummen und dann verzweifel­n ließ. Die Fans hatten sich mit dem Bundesliga-Bestechung­sskandal 1971 arrangiert, über die Amtszeit von Sonnenköni­g Günter Eichberg zu Beginn der 90er Jahre lachen sie mittlerwei­le auf Schalke. Der Glaube an den Fußballgot­t kam Assauer und mit ihm der gesamten Schalker Gefolgscha­ft erst 2001 ab. Er sollte seinen Weg nicht mehr zurückfind­en. Sich einen russischen Gasliefera­nt als Gönner und einen Großschläc­hter als Boss zu leisten, sind aber nun auch wahrlich kein wohl bestelltes Feld für einen romantisch veranlagte­n Gott.

● Glückab-Skala: Immerhin sind die Kollegen aus Lüdenschei­d-Nord seit geraumer Zeit auch schon nicht mehr Meister geworden. Schlechtes Zeichen, wenn das eigene Glück das Leid der anderen ist. Das macht vier angelutsch­te Assauer-Zigarren auf der Skala.

 ?? Foto: Imago ?? Es ist doch einfach nicht zu fassen: Die Treue ihrer Fans stellen viele Vereine – wie zum Beispiel der 1. FC Nürnberg – fast jedes Jahr auf eine harte Probe.
Foto: Imago Es ist doch einfach nicht zu fassen: Die Treue ihrer Fans stellen viele Vereine – wie zum Beispiel der 1. FC Nürnberg – fast jedes Jahr auf eine harte Probe.

Newspapers in German

Newspapers from Germany