Abgesang auf den Gesang
Seit nachgewiesen ist, dass sich das Coronavirus vornehmlich über Tröpfcheninfektion verbreitet, fristen Chorknaben und Sängerkreise ein bemitleidenswertes Dasein. Wer seit Jahren gewohnt ist, sein Liedgut vielstimmig im Hinterzimmer des Grünen Kranzes einzustudieren, geht nicht gern allein auf die grüne Wiese, um dort zwar gefahrlos, aber ziemlich einsam herumzuträllern.
Das Gruppenerlebnis macht für die meisten erst den Sinn des Singens aus. Zumal ja nicht alle Sangesfreudigen – die Autorin eingeschlossen – das Zeug zum Solokünstler haben. Im Kollektiv hingegen kann ein falscher Halbton schon mal verkraftet werden. Im großen Rund eines Fußballstadions ist er sogar erwünscht. Wer hat nicht schon ergriffen einem zehntausendfach gegrölten „Football´s coming home“in ebenso vielen Stimmlagen gelauscht?
Doch Corona hat auch diesem Spaß ein Ende gesetzt. Weil die Tröpfchen beim Singen und Schreien von den Tribünen aus besonders weit fliegen, sind Zuschauer seit Monaten von Turnieren und Wettkämpfen ausgeschlossen. Doch selbst für den noch recht unwahrscheinlichen Fall, dass Publikum wieder zugelassen wird, könnte stimmgewaltigen Fans eine schwere Zeit bevorstehen. Denn es gibt tatsächlich Überlegungen, ihnen den
Ton abzudrehen. Zumindest in den Niederlanden. Dort dürfen theoretisch wieder Fußballspiele in Stadien vor Publikum stattfinden, aber – und jetzt Achtung: Die Fans dürfen weder jubeln noch singen!
Da waren mal wieder echte Fachleute am Werk. Fußball ohne Singen ist wie Currywurst ohne Pommes. Machbar, aber sinnbefreit! Zumal Fußballfans ja auch vielfältigste Nuancen der Lautäußerung haben. Zu welcher Kategorie gehören denn dann summen, schreien, raunen, röhren, jaulen und jammen? Was ist erlaubt, was nicht? Muss der Mund immer geschlossen bleiben? Ist zumindest brüllen mit Maske gestattet? Wer wird dem verzweifelten Fan, der sich nach einer Rückkehr ins Stadion sehnt, diese Fragen beantworten? Kein Fußballanhänger der Welt dürfte im Falle eines Siegs seiner Mannschaft die Jubel-Enthaltsamkeit über 90 Minuten durchhalten.
Kontrolleur will man da natürlich auch nicht sein. In einem Fußballstadion, in dem schon unzählige Videobeweise nötig sind, um nur eine strittige Szene auf dem Feld zu beurteilen, käme dann noch die Totalüberwachung der Tribünen dazu. Kein Wunder, wenn die Fans auf den Stadionbesuch pfeifen.