Neuburger Rundschau

Genug von dem Märchenzwa­ng

Eine fabelhafte Paula Beer spielt für Regisseur Christian Petzold den Wassergeis­t „Undine“. Und: In dieser Fassung will sie keine Männer mehr töten. Das hat Sogwirkung

- VON MARTIN SCHWICKERT

„Du musst doch etwas geahnt haben“sagt er, als wäre die Trennung nur noch eine Formsache. Aber sie macht es ihm nicht leicht. Im Gegenteil. „Du hast gesagt, dass du mich liebst. Für immer“sagt Undine (Paula Beer) mit klarer Stimme. Und: „Du kannst nicht gehen. Wenn du mich verlässt, muss ich dich töten. Das weißt du doch.“Ein Beziehungs­gespräch von ungewöhnli­cher Entschiede­nheit steht am Anfang von Christian Petzolds neuem Film „Undine“und bestimmt dessen außerreali­stischen Erzählton.

Denn diese Undine, die nicht daran denkt, ihren Geliebten gehen zu lassen, ist nicht nur eine moderne, selbstbewu­sste Frau, sondern auch eine Gestalt aus der Märchenmyt­hologie. Dort wird Undine als weiblicher, halbgöttli­cher Wassergeis­t geführt und bekommt erst durch die Liebe zu einem irdischen Mann eine Seele. Wird der Vermählte untreu, bringt die Undine ihm den Tod und muss selbst wieder zurück ins Wasser verschwind­en. Ein romantisch­es

Abhängigke­itsverhält­nis unter Extrembedi­ngungen und eine Liebe auf Leben und Tod.

Seit der Veröffentl­ichung der Erzählung „Undine“von Friedrich de la Motte Fouqué im Jahre 1811 hat die männermord­ende Sagengesta­lt viele Wiedergäng­erinnen gefunden. E.T.A. Hoffmann und Albert Lortzing rekrutiert­en sie für die Opernbühne und über Hans Christian Andersons Variation landete die tragische Nixe sogar als „Arielle die Meerjungfr­au“im Disney-Kanon. Erst die Schriftste­llerin Ingeborg Bachmann räumte mit ihrer Erzählung „Undine geht“(1961) gründlich mit den romantisch­en Männerfant­asien rund um diese Märchenfig­ur auf.

Auch in Petzolds Film hat Undine genug von den Zwängen der Märchenord­nung. Als der schnöselig­e Geliebte sie wegen einer anderen verlässt, will sie ihre Seele behalten, weder Rache nehmen noch zurück ins Wasser gehen. Stattdesse­n verliebt sie sich noch am selben Tag neu. „Ich bin Industriet­aucher“stellt sich Christoph (Franz Rogowski) vor, der plötzlich im Café hinter ihr steht. Wenige Sekunden später platzt das Aquarium. Das Wasser reißt die beiden nieder. Die Goldfische liegen leblos am Boden. Vorsichtig zieht Franz die Glasscherb­en aus Undines Körper heraus – eine Kennenlern­szene, die ihren Platz im cineastisc­hen Gedächtnis verdient hat.

Petzold hat seine Märchenvar­iation fest im modernen Berlin verortet. Hier erklärt die Titelfigur als Historiker­in der Senatsverw­altung für Stadtentwi­cklung anhand von großen Modellbaut­en die Geschichte der Metropole, die sich seinerzeit aus trockengel­egten Sümpfen heraus selbst erfunden hat. Ihre Vorträge sind das Herzstück des Filmes, weil in ihnen nicht nur Stadtplanu­ngsgeschic­hte verhandelt wird, sondern sich hier auch ein weiblicher Intellekt entfaltet, dessen Anziehungs­kräften Christoph hingebungs­voll erliegt.

Rogowski und Beer, die auch schon in Petzolds letztem Film „Transit“gemeinsam vor der Kamera standen, bilden hier mit enormer Präsenz ein Paar, dessen Liebe kraftvoll aufblüht, bevor das Wasser und das mythische Schicksal nach dem fragilen Glück greift. Immer wieder begibt sich Petzold mit der Kamera auf Tauchstati­on hinab in einen Stausee, in dem riesige Welse und geheime Inschrifte­n verborgen sind und das Licht der Realität nur gebrochen scheint.

Gerade in visueller Hinsicht entwickelt „Undine“eine große Sogwirkung, weil die Kameraarbe­it von Hans Fromm erneut eine hoch konzentrie­rte Strahlkraf­t entwickelt. Ähnliches lässt sich für die Performanc­e von Paula Beer sagen, die mit „hinreißend“nur unzureiche­nd beschriebe­n werden kann. Allein schon ihr Gang. Die kraftvolle­n, eleganten Schritte, mit denen sie eine Straße entlang schreitet, erzählen mehr über die Figur, als es eine Handvoll Drehbuchse­iten tun könnten. Beer, die zu Recht bei der diesjährig­en Berlinale mit dem Silbernen Bären ausgezeich­net wurde, hat die Präsenz eines echten Filmstars. Wo sie auftaucht, kann keiner nicht hinsehen.

» Undine, Deutschlan­d, 90 Minuten, Drama

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Foto: Schramm Film Wassergeis­t Undine (Paula Beer) hat sich in Christoph (Franz Rogowski) verliebt. Können die beiden ihrem Schicksal entgehen?

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