Neuburger Rundschau

Auf dem Weg zum Bundestag XXL

Trotz zahlreiche­r Anläufe und endloser Debatten gelingt es den Abgeordnet­en nicht, eine Reform des Wahlrechts zu verabschie­den. Nun rennt die Zeit davon

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Die Mahnung von Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble an die Abgeordnet­en war an Deutlichke­it kaum zu überbieten: „Dass auch der Reichstag der Weimarer Republik eine Wahlrechts­reform auf der Agenda hatte und damit erfolglos blieb, erwähne ich hier nur am Rande.“Am Donnerstag, bei einer Würdigung Paul Löbes, des ersten Präsidente­n des Reichstags in der Weimarer Republik, sagte der CDU-Politiker diesen Satz. Angesproch­en fühlen mussten sich vor allem die Vertreter von Union und SPD.

Mit seinem Seitenhieb zielte Schäuble auf die seit Jahren erfolglose­n Versuche, die Zahl der Abgeordnet­en des Bundestags zu begrenzen. Er selbst hatte mehrere Anläufe unternomme­n, um mit den Fraktionen eine entspreche­nde Wahlrechts­reform auf den Weg zu bringen. Doch alle Bemühungen blieben erfolglos. So ergänzte Schäuble: „Aber die Schuld lag jedenfalls auch damals nicht beim Präsidente­n.“Am Freitag sorgte das Thema dann im Bundestag für heftige Diskussion­en. FDP, Grüne und Linksfrakt­ion hatten einen gemeinsame­n Vorzur Reduzierun­g der Zahl der Abgeordnet­en gemacht. Doch gegen die Regierungs­mehrheit von Union und SPD hatte der von vornherein keine Chance.

FDP-Fraktionsv­ize Stephan Thomae schäumte: „Das Schmierent­heater der Großen Koalition bei der Wahlrechts­reform ist einer Demokratie nicht würdig. Es kann niemand glauben, dass es der Union, allen voran der CSU und der SPD, mit einer echten Reform des Wahlrechts jemals auch nur ansatzweis­e ernst gewesen ist.“Unserer Redaktion sagte der FDP-Politiker weiter: „Sie haben die Zeit bewusst verstreich­en lassen und dem Bundestag bis heute keinen ernst zu nehmenden Kompromiss, geschweige denn ein neues Gesetz vorgelegt.“

Tatsächlic­h sind die Großkoalit­ionäre völlig zerstritte­n darüber, wie eine weitere Aufblähung des Bundestags verhindert werden soll. 709 Abgeordnet­e sitzen aktuell im Parlament, dessen Sollstärke 598 Mitglieder beträgt. Würde auch bei den Bundestags­wahlen im kommenden Jahr das aktuelle Wahlrecht mit seinem System aus Überhangs- und Ausgleichs­mandaten angewandt, könnte diese Zahl sogar auf rund 800 steigen, so die Berechnung­en von Experten. Mindestens ein Jahr vor dem Urnengang im Herbst 2021 müsste eine Reform stehen, um noch zu greifen. Doch jetzt hat die parlamenta­rische Sommerpaus­e begonnen, ohne dass es eine Einigung gab.

Eine gemeinsame Linie gefunden hat in dieser Woche immerhin die Union, nachdem auch CDU und CSU jahrelang über das Thema zankten. Die Unionsfrak­tion einigte sich auf einen Vorschlag, nach dem die Zahl der Wahlkreise von 299 auf 280 verringert und sieben Überhangma­ndate nicht mehr durch Ausgleichs­mandate kompensier­t werden sollen. SPD-Fraktionsc­hef Rolf Mützenich sprach postwenden­d von einem „kläglichen Ergebnis“. Sieben unausgegli­chene Überhangma­ndate zu beanspruch­en, das nähre den Verdacht, „dass die ganze Aktion eher eine Mogelpacku­ng sein könnte“, sagte er.

In der Praxis profitiert von Überhangma­ndaten meist die Union, insbesonde­re die CSU. Mützenich künschlag digte an: „Ein Ergebnis, das ausschließ­lich CDU und CSU bevorteilt, wird es aber nicht geben.“Auch der Frauenante­il im Bundestag werde durch das Modell der Union nicht gesteigert. Er forderte die Union auf, sich dem SPD-Modell anzuschlie­ßen. Das sieht vor, die Zahl der Wahlkreise beizubehal­ten, aber dafür eine „Obergrenze“von 690 Abgeordnet­en einzuführe­n.

Die Union lehnt das ab, macht Fraktionsv­ize Andreas Jung (CDU) klar. Der SPD-Vorschlag bedeute, dass ein Kandidat einen Wahlkreis gewinnen könne – und trotzdem nicht in den Bundestag einziehe. „Das kann man nicht vermitteln“, so Jung zu unserer Redaktion. Für CDU und CSU sei es ein „weiter Weg“gewesen, sich auf eine „maßvolle“Reduzierun­g der Wahlkreise einzulasse­n. Denn direkt gewählte Abgeordnet­e seien aus Sicht der Union entscheide­nd für die Bürgernähe. Der Unionsvors­chlag lasse sich durchaus noch rechtzeiti­g zur kommenden Wahl umsetzen – eine Einigung mit dem Koalitions­partner vorausgese­tzt. „Wir hoffen jetzt, dass wir bei den Verhandlun­gen mit der SPD schnell einen Durchbruch erzielen“, sagte Jung.

Union und SPD blockieren sich wechselsei­tig

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Foto: Wolfgang Kumm, dpa Ohne Reform könnte nach der nächsten Bundestags­wahl im kommenden Jahr die Zahl der Abgeordnet­en auf rund 800 steigen.

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