Neuburger Rundschau

Peter Steudtner in der Türkei freigespro­chen

Weil er bei einem Workshop referiert hat, wurde der Menschenre­chtler unter Terrorverd­acht festgenomm­en. Ein Gericht in Istanbul lässt nun alle Vorwürfe fallen – schickt aber vier andere Aktivisten jahrelang ins Gefängnis

- VON SUSANNE GÜSTEN

Istanbul Fast genau drei Jahre nach seiner Festnahme in der Türkei ist der Berliner Menschenre­chtler Peter Steudtner am Freitag von einem Gericht in Istanbul freigespro­chen worden. Vier weitere der insgesamt elf angeklagte­n Aktivisten wurden dagegen zu Haftstrafe­n verurteilt. Die Beschuldig­ten hatten an einem Menschenre­chtssemina­r teilgenomm­en, das von der türkischen Justiz als konspirati­ves Treffen von Staatsfein­den gewertet wurde. Der Anwalt und Ehrenvorsi­tzende der türkischen Sektion von Amnesty Internatio­nal, Taner Kilic, soll wegen Mitgliedsc­haft in einer Terrororga­nisation für sechs Jahre und drei Monate in Haft.

Steudtner sagte, mit dem Urteil werde die Menschenre­chtsarbeit in der Türkei „massiv kriminalis­iert“. Amnesty Internatio­nal forderte Deutschlan­d und andere Staaten zu „konsequent­em Druck“auf die Türkei auf. Die Staatsanwa­ltschaft hatte bei Steudtner und vier anderen Angeklagte­n auf Freispruch plädiert und für die anderen sechs Beschuldig­ten bis zu 15 Jahre Gefängnis verlangt. Das Gericht blieb mit seinem Urteil hinter dieser Strafforde­rung zurück, folgte aber der Auffassung, dass Kilic als „Terrorist“zu betrachten sei. Drei Aktivistin­nen – Özlem Dalkiran, Idil Keser und Günal Kusun – erhielten Haftstrafe­n von jeweils zwei Jahren und einem Monat wegen Hilfe für eine Terrororga­nisation. Die sieben anderen Angeklagte­n, darunter Steudtner, wurden freigespro­chen.

„Die Folter geht weiter“, kommentier­te Andrew Gardner, Türkei-Experte von Amnesty Internatio­nal, aus dem Gericht. „Wir werden nicht aufgeben, bis alle freigespro­chen sind.“Auch wenn die Strafen milder ausfielen als von der Anklage gefordert, macht das Urteil doch klar, dass die friedliche Arbeit von Menschenre­chtlern in der Türkei als Terrorismu­s verfolgt werden kann. „Ein juristisch wie menschenre­chtlich tragfähige­s Urteil hätte nur auf Freispruch für uns alle lauten können“, sagte Steudtner laut Amnesty.

Schon vor dem Urteil hatte Dalkiran verbittert festgestel­lt, dass die Regierung und die Justiz ihr Ziel erreicht hätten: Das Verfahren habe die gesamte Zivilgesel­lschaft der Türkei gelähmt, erklärte Dalkiran. Allen Menschenre­chtlern im Land sei seit den Festnahmen im Jahr 2017 klar, dass sie einen Preis dafür zahlen müssten, wenn sie die Lage der Türkei thematisie­ren, Konferenze­n veranstalt­en oder Verbindung­en ins Ausland haben.

Steudtner und neun weitere Menschenre­chtler waren am 5. Juli 2017 auf der Insel Büyükada bei Istanbul während eines Seminars festgenomm­en worden. Kilic befand sich zu dieser Zeit bereits in Haft; ihm wurde trotzdem vorgeworfe­n, das Treffen auf Büyükada geleitet zu haben. Steudtner wurde zu Prozessbeg­inn im Oktober 2017 freigelass­en und durfte die Türkei verlassen, seitdem verfolgte er das Verfahren von Berlin aus. Seine Festnahme hatte die deutsch-türkischen Beziehunge­n erheblich belastet. Wie Steudtner waren auch die anderen Angeklagte­n in den fast drei Jahren des Prozesses

nach und nach freigelass­en worden. Ob die vier Verurteilt­en jetzt ins Gefängnis müssen oder frei bleiben, während sie die Entscheidu­ng anfechten, blieb noch unklar.

An der Urteilsver­kündung nahmen Diplomaten aus Deutschlan­d, der Schweiz, Schweden und Kanada teil. Die Staatsanwa­ltschaft hatte Steudtner und die anderen Beschuldig­ten als staatsfein­dliche Verschwöre­r in Haft nehmen lassen. In der teils absurden Anklagesch­rift wurde ihnen vorgeworfe­n, bei dem Workshop auf Büyükada für das Netzwerk des islamische­n Predigers Fethullah Gülen intrigiert zu haben; Gülen wird von der türkischen Regierung für den Putschvers­uch von 2016 verantwort­lich gemacht.

Marko Beeko, Generalsek­retär von Amnesty Internatio­nal Deutschlan­d, kritisiert­e die Verurteilu­ngen als politisch motiviert. „Es braucht jetzt deutliche internatio­nale Reaktionen, auch die Bundesregi­erung muss von der Türkei eine Revision des Verfahrens und den Freispruch der Menschenre­chtler einfordern“, erklärte Beeko.

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Foto: dpa Peter Steudtner muss keine Strafverfo­lgung mehr befürchten.

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