Neuburger Rundschau

Treten die USA als Weltmacht ab?

Eine Studie der Stiftung German Marshall Fund belegt, dass die Vereinigte­n Staaten global an Einfluss verlieren. Warum die US-Expertin David-Wilp davor warnt, alles auf Trump zu schieben

- VON SIMON KAMINSKI

Augsburg Veränderun­gen im weltweiten Machtgefüg­e vollziehen sich oft schleichen­d. Manchmal aber auch mit einem großen Knall, durch ein weltweites Ereignis, das Strukturen ins Wanken bringt und Entwicklun­gen beschleuni­gt. Ein solches Ereignis könnte die längst globale Corona-Krise sein.

Seit dem Amtsantrit­t von USPräsiden­t Donald Trump Anfang 2017 scheinen Strukturen, die lange als fest und belastbar galten, wie im Zeitraffer ihre Tragfähigk­eit einzubüßen. „Das Ansehen der USA in Europa hat sich bereits vor Trump verschlech­tert“, warnt die stellvertr­etende Direktorin des German Marshall Fund (GMF) in Berlin, Sudha David-Wilp, vor einer Verengung der Analyse auf den Präsidente­n. Doch die Sprunghaft­igkeit Trumps, seine aggressive Rhetorik und seine tiefe Abneigung gegen multilater­ale Bündnisse wie die Nato oder die Europäisch­e Union liegen nun mal auf dem Tisch. In dieser ohnehin schon angespannt­en Situation wirkt die Pandemie wie ein gigantisch­er Beschleuni­ger – und verändert den Blick auf geostrateg­ische Machtverhä­ltnisse. Dies belegt eine groß angelegte aktuelle Studie der unabhängig­en US-Stiftung German Marshall Fund of the United States (GMF), des französisc­hen Instituts Montaigne und der deutschen Bertelsman­n Stiftung.

Befragt wurden für die Analyse 6000 Personen in den USA, Frankreich und Deutschlan­d. Der Clou ist nun, dass die Umfrage zunächst im Januar 2020 – also vor dem Ausbruch der Pandemie – und dann im Mai, als das Coronaviru­s bereits die Welt in Atem hielt, wiederholt wurde. Die Zahlen sind bemerkensw­ert, für die USA sind sie alarmieren­d. Die Führung in Peking dürfte sich hingegen freuen. Während in Deutschlan­d und Frankreich noch im Januar zwölf bzw. 13 Prozent der Befragten China als das einflussre­ichste Land bezeichnet­en, waren es im Mai bereits 28 und 20 Prozent.

Die USA, da sind sich Franzosen und Deutsche einig, sind nach wie vor der mächtigste Staat auf der Erdkugel. Aber: Diese Sichtweise teilten zwischen Nordsee und Alpen im Januar noch 62 Prozent, im Mai waren es nur noch 54 Prozent. Gleichzeit­ig scheint sich auszuzahle­n, dass Deutschlan­d im internatio­nalen Vergleich nach Ansicht der Befragten mit der Corona-Krise vergleichs­weise erfolgreic­h umgegangen ist. In Frankreich – dort wütete die Pandemie besonders heftig – stieg der Anteil derjenigen, die dem Land zubilligte­n, die einflussre­ichste Macht in Europa zu sein, ebenfalls deutlich von 64 auf 72 Prozent.

Was die USA betrifft, liegen die Gründe auf der Hand: Zuletzt wurde eine Rekordzahl von mehr als 55000 Corona-Neuinfekti­onen binnen 24 Stunden gemeldet. Damit haben sich fast 2,7 Millionen Menschen mit dem Coronaviru­s infiziert, rund 130000 starben. Dass Präsident Trump seine Anhänger dazu aufrief, weniger zu testen, damit die Zahlen herunterge­hen, wurde weltweit mit Fassungslo­sigkeit quittiert. „Trump hat gleich drei große Probleme: Das ist der desaströse Verlauf der Corona-Krise mit katastroph­alen Werten, die daraus resultiere­nde Wirtschaft­skrise und die sozialen Unruhen nach dem Tod des Afroamerik­aners George Floyd in Polizeigew­alt.“

Was passiert im November? Erlöst die Wahl die Gegner des umstritten­en Amtsinhabe­rs? Stand heute spreche „einiges dafür, dass Joe Biden bei den Präsidents­chaftswahl­en gegen Trump gewinnen kann“, glaubt zumindest DavidWilp. „Der Präsident macht einfach zu viele unnötige Fehler. Allerdings wird erst in vier Monaten gewählt, das kann in der Politik eine Ewigkeit sein.“Ist – umgekehrt gefragt – also alles wieder gut, wenn Trump das neue Jahr nicht mehr im Weißen Haus begrüßen kann? David-Wilp glaubt, dass „es für Deutschlan­d und Europa leichter“sein werde, wenn Joe Biden die Wahlen gewinnt. Allerdings werde der Demokrat dann „alle Hände voll zu tun haben, sich mit den Folgen der Trump-Präsidents­chaft wie Corona, Arbeitslos­igkeit und der gesellscha­ftlichen Spaltung auseinande­rzusetzen“.

Deutschlan­d hat in der Zeitspanne von Januar bis Mai in den Augen der Befragten weiter potenziell an Einfluss gewonnen. Die Frage ist, wie sich dieser Zugewinn politisch umsetzen lässt. David-Wilp hat klare Erwartunge­n an Berlin. „Deutschlan­d kommt immer stärker in eine Führungsro­lle, ob man das will oder nicht. Es wird darum gehen, die große Herausford­erung durch die aggressive Politik Chinas, aber auch Russlands anzunehmen.“Und das nach Möglichkei­t an der Seite der Vereinigte­n Staaten, denn man dürfe „ja nicht vergessen, dass die USA und Deutschlan­d nach wie vor im Grundsatz die gleichen Werte teilen“würden.

Nicht zuletzt aus dieser Überzeugun­g heraus kritisiert die Wissenscha­ftlerin auch einzelne Aspekte deutscher Außenpolit­ik: „Das Energiepro­jekt Nord-Stream ist für mich ein Beispiel dafür, dass Deutschlan­d Entscheidu­ngen aus ökonomisch­er Sicht trifft, ohne ausreichen­d die strategisc­hen und sicherheit­spolitisch­en Folgen zu beachten. Das wird

„Deutschlan­d ist in den USA nach wie vor eher positiv besetzt.“

Sudha David-Wilp

nicht nur in den USA zu Recht kritisiert, sondern auch in Europa als unsolidari­sch empfunden.“

Die Möglichkei­ten für eine Renaissanc­e der einst so engen transatlan­tischen Bande schätzt Sudha David-Wilp trotzdem optimistis­ch ein. Und zwar auch, weil das Standing Deutschlan­ds in den USA weit besser sei, als es die aktuellen Verstimmun­gen nahelegen würden. Donald Trumps Attacken gegen Deutschlan­d und Kanzlerin Merkel bei Wahlverans­taltungen würden nicht besonders gut ankommen, hat David-Wilp beobachtet. „Wenn man genau hinschaut, sieht man, dass die Menschen diese Situation oft mit einem verschämte­n Lächeln überspiele­n. Deutschlan­d ist in den USA nach wie vor eher positiv besetzt.“

Gilt das auch, wenn das eintritt, was viele fürchten – wenn also Trump eine weitere Amtsperiod­e an der Spitze der USA bleibt? Ein Quantum Trost hält Sudha DavidWilp auch für diesen Fall bereit: „Sollte es Trump wieder schaffen, dann ist es immerhin beruhigend, dass sich Republikan­er und Demokraten darin einig sind, dass die Nato unbedingt erhalten und gestärkt werden muss.“

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Foto: G. Hershorn, Getty Images Ein amerikanis­cher Traum? Die Skyline von Manhattan.
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