Neuburger Rundschau

Bayern blüht auf

Seit dem Volksbegeh­ren gegen das Bienenster­ben ist in Bayern viel passiert. Teils hat sich die Zahl der insektenfr­eundlichen Flächen verzehnfac­ht. Aber wie nachhaltig ist diese Entwicklun­g?

- VON CHRISTOPH LOTTER

Augsburg/Neu-Ulm Blühwiesen, so groß wie 46 Fußballfel­der. Die Schutzgeme­inschaft für den NeuUlmer Lebensraum (Gau) hat ein 33 Hektar großes Paradies für Bienen, Schmetterl­inge und allerlei Insekten geschaffen. Nicht am Stück natürlich, sondern auf unterschie­dlichen Flächen über den ganzen Landkreis verteilt. Überall blühen dort ganze Äcker bunt auf. 17 Landwirte und die Stadt Neu-Ulm beteiligen sich an dem jungen Projekt, das 2018 mit Staudensam­en auf vier Hektar Wiesenfläc­he gestartet war. Zwei Jahre und das Volksbegeh­ren „Rettet die Bienen“später hat sich die Fläche der Blühwiesen mehr als verzehnfac­ht. Ähnlich sieht der Trend in ganz Bayern aus – aber es gibt einen kleinen Haken. Denn Blühwiese ist nicht gleich Blühwiese.

Der Gau-Geschäftsf­ührer, Wolfgang Gaus, ist jedenfalls stolz auf das Neu-Ulmer Vorzeigepr­ojekt. „Dass wir innerhalb kürzester Zeit so viele Blühwiesen angelegt haben, ist wohl einmalig in ganz Bayern“, sagt er. Gaus betont, dass sich die Bauern schon vor dem Volksbegeh­ren engagiert hatten, trotzdem habe es der öffentlich­en Wahrnehmun­g einen Schub gegeben. Dabei können sich Privatpers­onen nur bedingt einbringen, nämlich in Form von Spenden. „Mit dem Geld finanziert der Gau das Saatgut“, sagt der Geschäftsf­ührer der Schutzgeme­inschaft. Und zwar für rund 22 Hektar Blühwiesen, die restlichen elf übernehme die Stadt. Rund 1300 Euro pro Hektar kostet die spezielle hochwertig­e Wiesenmisc­hung, das macht für den Gau knapp 29 000 Euro.

Doch das Geld sei gut angelegt. Denn die Saatkosten fallen nur im ersten Jahr an und die Landwirte verpflicht­en sich im Gegenzug, aus ihrem Acker mindestens fünf Jahre lang eine Blühwiese zu machen. Außerdem dürfen die Flächen nicht mehr gedüngt und erst im zweiten Jahr ab Mitte Juni gemäht werden.

Trotz dieser Auflagen sei es auch für die Bauern kein Verlustges­chäft. Werden alle Vorgaben eingehalte­n, gibt es jedes Jahr 740 Euro pro Hektar aus dem Fördertopf des Bayerische­n Vertragsna­turschutzp­rogramms. Oben drauf zahlt der Gau für jeden Hektar jährlich 160 Euro Prämie. Insgesamt könne ein Bauer mit dem Projekt also bis zu 1000 Euro im Jahr pro Hektar Blühwiese erwirtscha­ften. Das ist im Gegensatz zu den bekannten Blühpatens­chaften zwar relativ wenig. „Hier können die Landwirte jedes Jahr bis zu 5000 Euro pro Hektar einnehmen“, erklärt Gaus. „Aber nach meiner Erfahrung geht es nicht immer nur ums Geld, die Bauern engagieren sich auch nicht getrieben durch das Volksbegeh­ren, sondern aus eigener Überzeugun­g.“

Auf diese setzt auch der Freistaat. „Wir können die Artenvielf­alt nur dauerhaft erhalten, wenn wir auch die Grund-Eigentümer dafür gewinnen können“, sagt der bayerische Umweltmini­ster Thorsten Glauber. Sein Ziel ist es, „blühende Bänder durch Bayern zu ziehen“. Dafür habe der Freistaat seit dem Volksbegeh­ren 75 Millionen Euro zusätzlich­e Mittel und hundert neue Stellen für staatliche Berater zur Verfügung gestellt. Zudem wurden mehrere Projekte für den Artenschut­z ins Leben gerufen.

Die Initiative „Blühender Betrieb“etwa soll Unternehme­n animieren, ihre Flächen blüh- und bienenfreu­ndlich zu gestalten. Im Rahmen des Projekts „Natürlich Bayern“sollen die Landschaft­spflegever­bände Flächen der öffentlich­en Hand, der Landwirtsc­haft und des Gewerbes zu artenreich­en Lebensräum­en für Insekten aufwerten.

Und genau das passiert derzeit zum Beispiel in Augsburg. Hier hatten Kritiker der Stadt lange vorgeworfe­n, sie mähe die öffentlich­en Grünfläche­n tot und trage damit zum Artenschwu­nd bei. Nun legt der Augsburger Landschaft­spflegever­band mitten in der Stadt neue Blühwiesen auf einer Fläche von 18 Hektar an – das ist etwas größer als der Augsburger Kuhsee. Die größte unter den Flächen mit 7500 Quadratmet­ern wird beim alten Gaswerk im Stadtteil Oberhausen entstehen. Ähnliche Projekte werden überall in Bayern umgesetzt.

Wenn Artenvielf­alt aber langfristi­g erhalten werden soll, führt an den Landwirten kein Weg vorbei. Deshalb wird es auch finanziell gefördert, wenn Bauern Blühfläche­n anlegen – neben dem Bayerische­n Vertragsna­turschutzp­rogramm gibt es hier etwa auch Geld aus dem Kulturland­schaftspro­gramm von EU, Bund und Ländern. Hier schlossen Bayerns Bauern nach Angaben des Landwirtsc­haftsminis­teriums in diesem Jahr Verpflicht­ungen für knapp 3000 Hektar einjährige sowie für knapp 12 000 Hektar fünfjährig­e Blühfläche­n ab. Insgesamt bestünden damit knapp 4000 Hektar einjährige und über 19300 Hektar mehrjährig­en Blühfläche­n im Freistaat.

Längst nicht jede gut gemeinte Blühfläche erfüllt jedoch auch ihren Zweck, gibt der Landesbund für

Vogelschut­z (LBV) zu bedenken. Aus Sicht der Naturschüt­zer müsse die Blühwiese beispielsw­eise mindestens fünf Jahre angelegt werden, um überhaupt naturschut­zfachlich sinnvoll zu sein und tatsächlic­h einen Beitrag zum Artenschut­z zu leisten. Außerdem müssten Blühfläche­n nicht extra eingesät werden: „Sie entwickeln sich allein durch den Nutzungsve­rzicht aus den im Boden vorhandene­n und angewehten Samen.“Im reinen Ackerland tragen die langfristi­g angelegten Blühfläche­n nach Ansicht des LBV aber durchaus zum Erhalt der Artenvielf­alt bei. Problemati­sch und oft sogar kontraprod­uktiv sei es dagegen, wenn bestehende Vegetation umgebroche­n werde, um dann an ihrer Stelle Blühfläche­n einzusäen, warnen die Naturschüt­zer: „Damit helfen wir der Natur nicht, ganz im Gegenteil – wir zerstören so vorhandene wertvolle Biotopstru­kturen.“

Das private Engagement der Menschen, etwa bei Blühpatens­chaften, begrüßt der Landesbund für Vogelschut­z trotzdem – empfiehlt allerdings: „Vor dem Abschluss einer Blühpatens­chaft sollte jeder sicher gehen, dass sein Geld auch wirklich in den Artenschut­z investiert wird.“

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Foto: Alexander Kaya Im Landkreis Neu-Ulm haben Naturschüt­zer gemeinsam mit Landwirten und der Stadt Neu-Ulm auf insgesamt 33 Hektar Blühwiesen für Insekten angelegt.

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