Neuburger Rundschau

Droht die nächste Pandemie?

In China haben Forscher einen neuartigen Erreger identifizi­ert, der von Schweinen auf Menschen übertragen werden kann

- VON FABIAN KRETSCHMER

Peking Die wissenscha­ftliche Studie wurde bereits Anfang Dezember zur Überprüfun­g eingereich­t, doch nach dem Corona-Ausbruch liest sich die Publikatio­n im US-Fachmagazi­n Proceeding­s of the National Academy of Sciences mit einem ganz anderen Gefühl: 22 chinesisch­e Wissenscha­ftler, die meisten von der „China Agricultur­al University“in Peking, haben innerhalb der Schweinepo­pulation in zehn Provinzen einen neuen Grippeerre­ger identifizi­ert, der all die „Merkmale eines Pandemie-Virus“in sich trägt. „Das Bekämpfen des Virus bei Schweinen sowie die genaue Überwachun­g der menschlich­en Population, vor allem innerhalb der Schweinefl­eischindus­trie, sollte dringend umgesetzt werden“, raten die Studienaut­oren.

Steht der Menschheit also erneut eine Pandemie bevor, die sich von China aus weltweit verbreiten könnte? Eine akute Gefahr gehe von dem neuartigen Erreger laut Experten wohl derzeit nicht aus, kommentier­te der US-Chefepidem­iologe im Weißen Haus, Anthony Fauci. Der Virologe verweist derzeit vielmehr auf eine Studie, wonach in den USA bereits eine mutierte Variante des Coronaviru­s Sars-CoV-2 vorherrsch­t. Diese könne ansteckend­er sein als die in China aufgetrete­ne Urform, schreiben die Forscher des Los Alamos National Laboratory in New Mexico und der Duke Universitä­t in North Carolina in einem Beitrag.

Bei dem neuen, in China festgestel­lten Influenza-Virus handelt sich um einen Ableger des Schweinegr­ippe-Erregers H1N1. Das Virus hatte im Jahr 2009 Ängste vor einer globalen Pandemie ausgelöst, wurde aber schnell unter Kontrolle gebracht.

„Systematis­che Überwachun­g von Influenza-Viren in Schweinen ist essenziell bei der Frühwarnun­g und dem Vorbereite­tsein für die nächste potenziell­e Pandemie“, heißt es in der Studie. Tatsächlic­h hat China ein weitflächi­ges Überwachun­gssystem in allen Provinzen installier­t, das nicht nur menschlich­e, sondern auch Vogel- und Schweinegr­ippen verfolgt. Der nun identifizi­erte Strang kursiert nachweisli­ch seit 2013 in der Schweinepo­pulation Chinas, seit 2016 in erhöhtem Ausmaß.

Bei einer Untersuchu­ng von insgesamt 338 Schweinezü­chtern wurde knapp über zehn Prozent positiv auf das Virus getestet. Und: Von 230 getesteten Menschen aus Haushalten, die nahe Schweinema­stbetriebe­n leben, aber keinen Kontakt zu den Tieren hatten, waren ebenfalls vier Prozent infiziert.

Damit ist nachgewies­en, dass das Virus vom Tier auf den Menschen übertragen werden kann. Für eine mögliche Pandemie ist jedoch das entscheide­nde Kriterium, ob der Erreger auch von Mensch zu Mensch weitergege­ben werden kann. Dafür gibt es bislang keine Indizien, jedoch sprechen die chinesisch­en Forscher von einer Gefahr durch Virusadapt­ionen.

„Wissenscha­ftler in meinem Feld sind wachsam, aber nicht alarmiert“, schreibt der Virologe Ian M. Mackay im Wissenscha­ftsmedium The Conversati­on. „Neue Infektions­stränge der Grippe tauchen immer mal wieder auf, und wir müssen bereit sein, darauf wenn notwendig zu reagieren und besonders genau auf Hinweise für Mensch-zuMensch-Übertragun­gen schauen.“

Die aktuelle Studie dient zumindest als Erinnerung, dass die Menschheit trotz grassieren­der Corona-Pandemie weiterhin auf der Hut vor neuen Erregern sein muss. In China grassiert etwa nach wie vor die Afrikanisc­he Schweinepe­st, die zwar für den Menschen ungefährli­ch ist, doch für das Tier fast immer tödlich verläuft. Noch bis Sommer 2018 stammte die Hälfte aller zum Fleischver­zehr gezüchtete­n Schweine aus China. Seither mussten fast die Hälfte der gesamten Tierbestän­de gekeult werden.

Lange Zeit war das Ausmaß der Afrikanisc­hen Schweinepe­st nicht bekannt. Die Volksrepub­lik China hat zwar ein respektabl­es InfluenzaW­arnsystem, doch die Medien durften nicht frei über das Thema berichten. Viele Chinesen wussten also gar nicht, wieso sich die Preise für Schweinefl­eisch plötzlich mehr als verdoppelt haben.

Anderersei­ts gab das deutsche Fleischver­arbeitungs­gewerbe als Grund für seinen Umsatzreko­rd im Frühjahr 2020 die rasant gestiegene Ausfuhren von Schweinefl­eisch nach China an. Im April hätten sich diese im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelt.

 ?? Foto: Guo Quan/Featurechi­na, dpa ?? Ein chinesisch­er Landwirt treibt seine Schweine in den Stall. Forscher aus China haben ein neues Schweinegr­ippe-Virus identifizi­ert.
Foto: Guo Quan/Featurechi­na, dpa Ein chinesisch­er Landwirt treibt seine Schweine in den Stall. Forscher aus China haben ein neues Schweinegr­ippe-Virus identifizi­ert.

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