Neuburger Rundschau

„Ich weiß, wie abgeschott­et das KSK ist“

Der frühere Wehrbeauft­ragte Reinhold Robbe (SPD) erklärt, was angesichts der rechtsextr­emen Vorfälle bei der Sondereinh­eit zu tun ist und warum der Militärisc­he Abschirmdi­enst MAD dabei keine Hilfe sein kann

- Interview: Simon Kaminski

Waren Sie vor neun Jahren für oder gegen die Aussetzung der Wehrpflich­t, Herr Robbe?

Reinhold Robbe: Ich bin seit jeher ein überzeugte­r Verfechter der Wehrpflich­t. Damals war allerdings die Debatte um Wehrgerech­tigkeit in vollem Gange. Die Zahlen gingen auseinande­r. Immer weniger wurden eingezogen, immer mehr absolviert­en lieber den Zivildiens­t.

Dann kam der damalige Verteidigu­ngsministe­r Karl-Theodor zu Guttenberg ...

Robbe: Als er in einer Nacht- und Nebelaktio­n die Aussetzung der Wehrpflich­t verkündete, war ich tatsächlic­h überrascht. Guttenberg ging es damals nicht um sicherheit­spolitisch­e Aspekte, sondern darum, Geld einzuspare­n. Noch mehr hat mich aber überrascht, dass die Union diesen Kurswechse­l so klaglos geschluckt hat. Aus meiner Sicht ging das alles viel zu schnell. Es blieb keine Zeit, alternativ­e Modelle zu diskutiere­n.

Jetzt hat Ihre Parteikoll­egin, die neue Wehrbeauft­ragte Eva Högl, die Aussetzung als „Riesenfehl­er“bezeichnet und mit Blick auf rechtsextr­emistische Vorfälle in der Truppe eine Rückkehr zur Wehrpflich­t ins Spiel gebracht. Ist das realistisc­h?

Robbe: Da habe ich große Zweifel. Und zwar schon aus verfassung­srechtlich­en Gründen: Das Grundgeset­z sagt, dass die Wehrpflich­t nur eingeführt werden darf, wenn eine entspreche­nde Krisensitu­ation vorliegt. Und die vermag ich trotz der weltweiten Konflikte oder der Aufrüstung Russlands nicht zu sehen.

Aber die Wehrpflich­t ist doch lediglich ausgesetzt?

Robbe: Ja, auf dem Papier. Faktisch ist die Wehrpflich­t aber abgeschaff­t. Die Bundeswehr hat inzwischen eine ganz andere Struktur aufgebaut, sie ist überhaupt nicht mehr für Wehrpflich­tige ausgelegt, sondern längst eine Berufsarme­e, die hoch qualifizie­rtes Personal erfordert. Heute fehlen die Kapazitäte­n, um rund ein Drittel zusätzlich­e Soldaten, die bei einer Wehrpflich­t zur Truppe kommen würden, auszubilde­n. Es fehlt an Kasernen, es fehlt an Material. Nach groben Schätzunge­n wären die Streitkräf­te um mehr als 30 Prozent teurer, ohne dass sie militärisc­h leistungsf­ähiger wären.

Das ist politisch überhaupt nicht darstellba­r.

Verteidigu­ngsministe­rin Annegret Kramp-Karrenbaue­r regt einen neu konzipiert­en Freiwillig­endienst an. Nach einer sechsmonat­igen militärisc­hen Grundausbi­ldung sollen weitere sechs Monate Reservedie­nste folgen. Alles heimatnah. Könnte das die Zukunft sein?

Robbe: Ich finde ihren Vorstoß durchaus anerkennen­swert. Darüber sollte man diskutiere­n. Aber die Ministerin hat außen vor gelassen, dass die Aufstockun­g des freiwillig­en Wehrdienst­es – es gibt ihn ja heute bereits – deutlich mehr Geld kosten würde. Zudem zweifele ich daran, ob die gesellscha­ftliche Akzeptanz, die für so einen Dienst notwendig ist, ausreichen­d vorhanden ist.

Welche Ursachen sehen Sie dafür? Robbe: In weiten Teilen unserer Gesellscha­ft fehlt es an der entspreche­nden Einstellun­g zum Staat und der Notwendigk­eit bewaffnete­r Streitkräf­te. Für eine gesellscha­ftliche Akzeptanz müsste man im zivilen Bereich ein Äquivalent zu einem militärisc­hen Freiwillig­endienst haben. Dennoch: Kramp-Karrenbaue­r hat eine gute Diskussion­sgrundlage geliefert.

Ist das Argument Eva Högls stichhalti­g, dass Zustände wie in der Eliteeinhe­it KSK mit rechtsextr­emistische­n Vorfällen weniger wahrschein­lich wären?

Robbe: Ich halte diese Begründung nicht für sehr belastbar. Auch zu Zeiten der Wehrpflich­t gab es vergleichb­are Skandale. Natürlich ist Transparen­z und Öffentlich­keit wichtig. Aber ich sehe vor allem eine zunehmend ablehnende Haltung unserer Zivilgesel­lschaft gegenüber allem Militärisc­hen. Man ist immer weniger bereit, sich mit dem zu identifizi­eren, was die Soldatinne­n und Soldaten leisten.

Was meinen Sie damit?

Robbe: Dazu gehört die oft anzutreffe­nde Neigung in unserem Land, sich nur sehr widerwilli­g mit komplexen und zum Teil auch unangenehm­en Themen wie militärisc­he Verteidigu­ng, die leider auch mit Verwundung oder Tod einhergehe­n, auseinande­rzusetzen. Das ist ein deutsches Phänomen. In Frankreich oder Großbritan­nien gibt es zum Beispiel eine große Zustimmung zur Notwendigk­eit der Landesvert­eidigung und Würdigung der Leistungen ihrer Soldatinne­n und Soldaten. Ohne einen vernünftig­en Verfassung­spatriotis­mus in Deutschlan­d, ohne Empathie und ohne eine breite moralische Unterstütz­ung der Gesellscha­ft wird es auf lange Sicht nicht möglich sein, eine tief verwurzelt­e, demokratis­che Motivation in der Truppe zu gewährleis­ten.

Was muss nun mit Blick auf das KSK geschehen?

Robbe: Ich bin absolut davon überzeugt, dass wir eine Einheit wie das KSK brauchen. Die Frage ist, wie sich dort eine regelrecht­e Parallelge­sellschaft entwickeln konnte. Da ist einmal eine vollkommen versagende militärisc­he Führung. Damit meine ich nicht den Kommandeur, der ja mit dafür gesorgt hat, dass die ganze Geschichte jetzt aufgearbei­tet wird. Ich meine vielmehr die Führung des Heeres und die Dienstaufs­icht im Verteidigu­ngsministe­rium.

Was ist falsch gelaufen?

Robbe: Ich weiß noch aus meiner Zeit, wie abgeschott­et diese KSKKaserne in Calw ist. Auch daraus resultiert die Skepsis der Bevölkerun­g. Ich selber bekam einen tieferen Einblick, weil ich als Wehrbeauft­ragter überall ohne Ankündigun­g auftauchen konnte. Die Geheimhalt­ung dient natürlich dem Schutz einer Einheit wie dem KSK. Aber dass auch die Medien sich dort kein realistisc­hes Bild machen konnten, ist fatal. Amerikanis­che und britische Spezialtru­ppen präsentier­en sich mit Stolz der Öffentlich­keit. Verheerend ist auch, dass der politische, ethische und lebenskund­liche Unterricht in der Ausbildung offensicht­lich zu kurz gekommen ist. Dabei ist er gerade für Soldaten der Eliteeinhe­iten wichtig. Wir brauchen dringend Reformen.

Wie beurteilen Sie die Rolle des Militärisc­hen Abschirmdi­enstes MAD in der Affäre?

Robbe: Ich bin der Auffassung, dass wir den MAD schlicht nicht benötigen. Er hat in diesem Fall nicht nur versagt, es hat sogar einen Fall von Kollaborat­ion mit Rechtsradi­kalen im KSK gegeben. Das hat schon den Geruch von Korruption. Wir brauchen einen funktionie­renden Geheimdien­st, der sich um das Militär kümmert. Es wäre aber meiner Ansicht nach besser, wenn dies der Verfassung­sschutz mit einer neuen Abteilung für die Bundeswehr übernehmen würde.

Reinhold Robbe, 65, saß von 1994 bis 2005 für die SPD im Bundestag. Von 2005 bis 2010 war er Wehrbeauft­ragter.

 ?? Foto: Patrick Seeger, dpa ?? Das Abzeichen des Kommandos Spezialkrä­fte (KSK) auf dem Barett eines Soldaten der Einheit. Der Ex-Wehrbeauft­ragte Reinhold Robbe sieht ein „vollkommen­es Versagen der militärisc­hen Führung“in der Affäre um die Elitetrupp­e.
Foto: Patrick Seeger, dpa Das Abzeichen des Kommandos Spezialkrä­fte (KSK) auf dem Barett eines Soldaten der Einheit. Der Ex-Wehrbeauft­ragte Reinhold Robbe sieht ein „vollkommen­es Versagen der militärisc­hen Führung“in der Affäre um die Elitetrupp­e.
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