Warum BR-Chef Ulrich Wilhelm aufhört
Der Intendant des Bayerischen Rundfunks hat überraschend angekündigt, den Sender zu verlassen – inmitten einer hitzig geführten Debatte über die Erhöhung des Rundfunkbeitrags. Wer Chancen auf seine Nachfolge hätte
München Es kommt eher selten vor, dass der Intendant des Bayerischen Rundfunks in seinem eigenen Sender auftritt. Am Freitagabend war es mal wieder so weit: Ulrich Wilhelm erklärte sich in eigener Sache. Er werde nicht mehr für eine dritte Amtszeit als BR-Chef zur Verfügung stehen, hatte er schon am Mittag überraschend via Pressemitteilung verkünden lassen. Am Abend dann sagte er in der Nachrichtensendung „Rundschau“: Er habe über Wochen hin und her überlegt. Er hänge ja sehr stark an seiner Aufgabe. Auf der anderen Seite sei es „in öffentlichen Ämtern immer eine Schicksalsfrage: Wie ist das richtige Zeitmaß?“Er habe sich und dem Haus „quälende Übergangsprozesse“sowie „Mehltau und Verkrustungen“ersparen wollen.
Es war eine Erklärung, die erklärungsbedürftig blieb.
Wie das gesamte Verhalten Wilhelms in den vergangenen Monaten, wenn es um die Frage ging, ob er nochmals für fünf Jahre an der Spitze einer der größten Landesrundfunkanstalten Deutschlands stehen wolle, wie er das seit 2011 tat. Wilhelm ist am 8. Juli 59 geworden – hätte er erneut kandidiert, wäre er mit Sicherheit wieder gewählt worden und hätte sich später als BRChef in den Ruhestand verabschieden können. So wird seine Amtszeit im Februar 2021 enden.
Seine Entscheidung aufzuhören, fällt in eine Phase, in der eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags nicht nur umstritten ist wie kaum je zuvor – sondern in der die Wahrscheinlichkeit, dass sie noch kippt, auch als überaus realistisch erscheint. Alle 16 Länderparlamente müssen den entsprechenden Vertrag bis Jahresende ratifizieren, damit der Beitrag zum Januar 2021 auf monatlich 18,36 Euro pro Haushalt steigen kann. In Thüringen, vor allem aber in Sachsen-Anhalt ist dafür jedoch keine Mehrheit in Sicht. Dort kündigten CDU-, AfD- und Linke-Abgeordnete an, dagegen stimmen zu wollen. Für Verantwortliche der öffentlich-rechtlichen Sender bedeutet das eine stressige zweite Jahreshälfte: Sie werben dafür, dass sich die Abgeordneten doch noch zu einem Ja die Beitragserhöhung durchringen. Andernfalls, das ist ihr düsteres Szenario, würde massiv gespart werden müssen. Mit den Folgen: Stellenabbau und Qualitätsverlust im Programm.
Für den Fall, dass der Rundfunkbeitrag nicht erhöht wird und er bei 17,50 Euro bleibt, hat Wilhelm bereits den Gang vor das Bundesverfassungsgericht angekündigt. Zudem verbat er sich jegliche Form von Kuhhandel. Nachdem SachsenAnhalts CDU-Ministerpräsident Reiner Haseloff in einem Brief an die Intendanten „die Schaffung oder Verlagerung einer programmbezogenen Gemeinschaftseinrichtung in Halle (Saale)“verlangt hatte, stellte das für den BR-Intendanten „eine klare Grenzüberschreitung“dar. seine Verhältnisse verhielt er sich mit alledem recht undiplomatisch – was ihm in hohen ARDKreisen, in denen er eigentlich überaus geschätzt wird, Unverständnis bis hin zu Verärgerung einbrachte. Wilhelm gefährde auf diese Weise das mühselige Werben hinter den Kulissen für die Beitragserhöhung, der Aufbau von Drohkulissen sei nicht hilfreich, war zu vernehmen. Auf Unmut war ebenfalls gestoßen, dass er kürzlich das gemeinsame digitale Kulturportal der öffentlich-rechtlichen Sender, das nächstes Jahr möglicherweise in Halle (Saale) in Sachsen-Anhalt aufgebaut werden soll, nicht mittrug.
Und dann eben das Rätselraten um seine Zukunftspläne. Mal ließen sich Aussagen von ihm derart interfür pretieren, dass er weitermachen wolle – wenn auch möglicherweise nicht für eine volle Amtszeit. Mal meinten Beobachter, herauszuhören, dass Wilhelm aufhören werde. Selbst enge Wegbegleiter wussten es bis zum Schluss nicht.
Unabhängig voneinander beteuern sie gleichwohl, dass Wilhelms Entscheidung eine persönliche gewesen sei, dass er weder frustriert aufgab noch gar unter Druck gesetzt worden sei. Er habe, so sagen sie, schlicht damit argumentiert, dass zehn Jahre eine lange Zeit seien. Und dass er einiges erreicht und (weitgehend) als abgeschlossen betrachtet habe: den ARD-Vorsitz, den er innehatte, oder den Umbau des BR zu einer trimedialen Anstalt, in der die Bereiche Fernsehen, Radio und Online zunehmend verschmelzen. „Wir stehen heute sehr stark da“, sagte Wilhelm in der „Rundschau“und verwies unter anderem auf die Reichweite, die auch digital gesteigert worden sei. Er übergibt also, danach klang es, ein bestens bestelltes Haus.
Im Gespräch mit unserer Redaktion bedauerte der Vorsitzende des BR-Rundfunkrats, Lorenz Wolf, Wilhelms Entscheidung: „Ich zolle ihm höchsten Respekt. Sein Engagement im BR und in der ARD ging in vielen Bereichen über das erwartete und geschuldete Maß hinaus.“Denkbar, dass Wilhelm den 50 Mitgliedern dieses Aufsichtsgremiums, die alle gesellschaftlichen Bereiche vertreten, seinen Schritt am Donnerstag bei der Sitzung des Rundfunkrats erläutern wird – unter Tagesordnungspunkt 6: Bericht des Intendanten. Nach der Sitzung wird Wolf jedes Mitglied auffordern, einen Nachfolger für Wilhelm vorzuschlagen. Er selbst habe keinen Favoriten. „Ich würde mich über eine Intendantin freuen“, sagte er. Die Wahl könnte im Oktober bei der Herbstsitzung des BR-Rundfunkrats erfolgen.
Auf wen sie fallen könnte? Das ist derzeit völlig offen. Aus dem BR ist zu hören – und das deckt sich mit der Einschätzung von Branchenkennern –, dass es keinen Favoriten gibt. Als potenzielle WilhelmNachfolger kämen die BR-Führungskräfte, zuvorderst die Direktoren, infrage. Zum 1. Juli erst wurFür de die Zahl der Programmdirektionen von drei auf zwei reduziert – was Reinhard Scolik (Kultur) und Thomas Hinrichs (Information) neben der Juristischen Direktion, der Verwaltungsdirektion und der Produktionsund Technikdirektion noch größeren Einfluss sichert.
Vor allem Hinrichs dürfte sich, sollte er Intendant werden wollen, Chancen ausrechnen können. Er kam vor sechs Jahren aus Hamburg, wo er als „Zweiter Chefredakteur“von ARD-aktuell „Tagesschau“und „Tagesthemen“mitverantwortete, zum BR und trieb dort den Umbau zur medienübergreifenden Sendeanstalt voran. Er steht für das beherrschende Thema innerhalb des BR in den vergangenen Jahren und hat diverse Erfolge aufzuweisen. „Erster Chefredakteur“von ARDaktuell war zu Hinrichs Zeit übrigens Kai Gniffke, der vor einem Jahr zum SWR-Intendanten gewählt wurde und von Hamburg nach Baden-Württemberg wechselte. Es ist durchaus möglich, dass der künftige Intendant – oder die künftige Intendantin – des Bayerischen Rundfunks von außen kommt.
Wie geht es nun für Ulrich Wilhelm weiter, wenn er im Februar 2021 sein „Haus“, den BR, übergibt? Dazu sagte er auch langjährigen Wegbegleitern nichts. In der „Rundschau“erklärte er, er werde sich das im Frühjahr überlegen, denn er sei der Neutralität verpflichtet. Zwei unterschiedlichen Zielen könne er nicht dienen.
Eines seiner Ziele, das lässt sich bereits sagen, blieb unvollendet: eine europäische Plattform für Medien und Kultur – als Gegengewicht zu den Internetgiganten Facebook, Google oder Youtube, die er als die schärfsten Konkurrenten für die beitragsfinanzierten Sender ARD, ZDF und Deutschlandradio betrachtet. Die Spekulation, dass er sein Herzensanliegen auf Ebene der EU weiterverfolgen könnte, in welcher Funktion auch immer, liegt da zumindest nahe. Mit den Mechanismen der Politik jedenfalls kennt er sich aus, war der Münchner doch einst Regierungssprecher von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und zuvor unter anderem Pressesprecher von Bayerns Ministerpräsidenten Edmund Stoiber (CSU).