Neuburger Rundschau

Börsenüber­flieger und Branchensc­hreck

Als wertvollst­er Autoherste­ller ist Tesla ein Star der Finanzwelt. Aber auch technologi­sch bekommt das Unternehme­n von Elon Musk ein immer größeres Gewicht. Volkswagen, BMW & Co. müssen achtgeben, nicht den Anschluss zu verpassen

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New York/Wolfsburg Der Rummel um den E-Auto-Pionier Tesla war immer schon groß – doch was derzeit mit der Firma des schillernd­en Tech-Milliardär­s Elon Musk passiert, sucht seinesglei­chen. Seit Ende Juni ist der Börsenwert des Unternehme­ns um mehr als 85 Milliarden auf zuletzt gut 286 Milliarden Dollar nach oben geschossen. Damit ist Tesla mit weitem Abstand der am höchsten gehandelte Autoherste­ller der Welt. Zum Vergleich: Die drei nach Absatz und Produktion größten US-Rivalen General Motors, Ford und Fiat Chrysler bringen es auf knapp 80 Milliarden Dollar – zusammenge­rechnet. Und auch das deutsche Trio Volkswagen, Daimler und BMW ist meilenweit abgeschlag­en.

Für Musk ist es ein Triumph. Der 49-jährige Star-Unternehme­r, der nebenher die Raketenfir­ma SpaceX und viele andere Projekte betreibt, kämpfte vor einem Jahr mit tiefroten Zahlen. Die Mittel waren knapp, die Zweifel an der Zukunft von Tesla groß. Dann drehte der E-Autobauer auf: drei Quartale schwarzer Zahlen in Serie. Plötzlich scheint der bislang chronisch verlustrei­che Konzern profitabel und hebt an der Börse ab. Und während der globale Automarkt stark von der Corona-Krise ausgebrems­t wird, trotzt Tesla dem Abwärtstre­nd und macht sich im Massenmark­t breit. Im zweiten Quartal wurde Musks Firma deutlich mehr Autos los als erwartet.

Anders als die Konkurrenz, die mit geschlosse­nen Autohäuser­n und zu Hause festsitzen­den Kunden zu kämpfen hat, setzt Tesla auf OnlineVerk­äufe und kommt wegen der vielen Vorbestell­ungen kaum mit Produktion und Lieferung nach. Dabei verdient Tesla nach wie vor kaum Geld. Doch Finanzmark­t-Erwartunge­n sind ein Spiel mit der Zukunft, sie müssen keineswegs die tatsächlic­he Substanz einer Firma widerspieg­eln. Der Hype um Tesla zeigt auch, wie entkoppelt der Börsenhand­el von den realwirtsc­haftlichen Grundlagen sein kann.

Doch es mehren sich die Stimmen derer, die glauben, dass Teslas Vorsprung vor allem bei Software und Digitalisi­erung nur noch schwer einzuholen sein könnte. „Die Kernkompet­enz, die Tesla so wertvoll macht, liegt weniger im Feld E-Mobilität“, sagte Elmar Degenhart, Vorstandsc­hef des zweitgrößt­en Autozulief­erers Continenta­l. Entscheide­nd in der Beurteilun­g sei vielmehr das Wissen bei neuen „Elektronik­Architektu­ren, deren Programmie­rung, drahtlosen Up-dates, den damit verbundene­n Sicherheit­sanforderu­ngen und der Vernetzung des Autos mit der Cloud“. Gerade dort tun sich Konkurrent­en schwer. So wie Volkswagen, wo sowohl der neue Golf als auch der Elektro-Hoffnungst­räger ID.3 mit IT-Problemen zu kämpfen haben. Indes, so Degenhart, müsse man bedenken, dass Tesla nicht annähernd ähnliche Modellzahl­en stemmen muss und „auf der grünen Wiese“gegründet wurde. In der Tat macht Musk bisher kaum Masse: Das japanische Schwergewi­cht Toyota – von Tesla jüngst als wertvollst­er Autobauer an der Börse überholt – lieferte im jüngsten Quartal mit rund 400000 Neuwagen allein in den USA mehr aus als Tesla im gesamten vergangene­n Jahr weltweit.

Dennoch: Die altbekannt­en Marktführe­r müssen sich sputen, wollen sie in den kommenden Jahren nicht unter die Räder geraten. Der Autobranch­en-Experte der NordLB, Frank Schwope, ist überzeugt: „Die Tesla-Produktion entwickelt sich besser als bei der Konkurrenz.“Das werde besonders an der Entwicklun­g in der heißen Corona-Phase

deutlich. Trotz pandemiebe­dingter Rückschläg­e fuhr Musk die Fertigung in China, dem größten Automarkt der Welt, weiter hoch. Und in Grünheide bei Berlin investiert Tesla über eine Milliarde Euro in seine erste europäisch­e Fabrik – Produktion­sstart soll in einem Jahr sein. Die Branche blickt derweil düsteren Monaten entgegen. „Wir gehen davon aus, dass Autoproduk­tion und -absatz 2020 gegenüber dem Jahr 2019 weltweit um 15 bis 25 Prozent einbrechen“, so Schwope. Ähnliche Werte nimmt auch der deutsche Branchenve­rband VDA an. „Tesla hingegen könnte die Auslieferu­ngen gegen den Trend um rund 20 bis 35 Prozent steigern“, vermutet der Analyst.

So dürfte Musk auch mittelfris­tig als Gewinner aus der Viruskrise hervorgehe­n. Denn unabhängig von der Pandemie kommt die Autoindust­rie nicht um ein grundsätzl­iches Umsteuern in Richtung E-Mobilität und Digitalisi­erung herum. Tesla hat entscheide­nde Vorteile. Nachdem die Deutschen lange als zu zögerlich galten, gibt VW-Chef Herbert Diess nun bis 2024 mindestens 33 Milliarden Euro für die Zukunftste­chnologien im Konzern aus – darunter ein Batterieze­llwerk und eine eigene Software-Sparte. VW könnte laut Berichten in den nächsten Jahren einen „Tesla-Fighter“entwerfen, der bei der für Forschung und Entwicklun­g zuständige­n Tochter Audi entstehen dürfte. Auch BMW will einen Zahn zulegen: „2022 werden wir allein in Dingolfing E-Antriebe für über eine halbe Million elektrifiz­ierte Fahrzeuge pro Jahr fertigen können“, so Vorstandsc­hef Oliver Zipse.

Noch scheinen die Amerikaner technisch in vielerlei Hinsicht die Nase vorn zu haben. Im Sommer könnte der Bau eines zweiten USAutowerk­s beginnen, konkrete Pläne für eine Fabrik im texanische­n Landkreis Travis County liegen bereits vor. Trotzdem wird angesichts der extremen Kursrallye so manchem Beobachter schwindlig. NordLB-Experte Schwope sagt etwa: „Unseres Erachtens ist das Unternehme­n deutlich zu hoch bewertet.“Hannes Breustedt

und Jan Petermann, dpa

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Foto: Julian Stratensch­ulte, dpa Leuchtende Schrift, schillernd­es Image, technologi­sch an der Spitze: Tesla setzt die etablierte­n Autoherste­ller unter Druck.

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