Neuburger Rundschau

Verlieben in Corona‰Zeiten

Der Wunsch nach Zweisamkei­t plagt viele Singles. Verlieben ist schon in normalen Zeiten nicht immer einfach, aber während einer Pandemie fast unmöglich. Wie das Herz trotz Corona höherschla­gen kann

- VON ANDREAS DENGLER

In der Region 10 wohnen 93.000 Menschen allein. Die LockdownRe­geln treffen sie hart. Wie trotz Beschränku­ngen neue Bekanntsch­aften entstehen.

Neuburg Die Lockdown-Regeln treffen jeden, besonders hart treffen sie Singles. Die Bundesregi­erung empfiehlt zurzeit eine feste Kontaktper­son aus einem fremden Haushalt. In der Region 10, zu der auch der Landkreis NeuburgSch­robenhause­n zählt, wohnen 93.000 Menschen – gewollt und ungewollt – allein. Sie stehen vor der Wahl, ob sie die beste Freundin, den Bruder oder doch ein Elternteil als Kontaktper­son wählen. Ein Kennenlern­en im Café oder ein erstes Date beim Italiener sind ganz weit weg. Statt Schmetterl­inge im Bauch bleibt nur eine quälende Leere.

Dass Singles unter den Beschränku­ngen leiden, bestätigt die Psychologi­n Rosmarie Scholz. Sie leitet die Psychologi­sche Beratungss­telle für Ehe-, Familien- und Lebensfrag­en mit Niederlass­ungen in Neuburg, Schrobenha­usen und Pfaffenhof­en. Über 600 Menschen suchen jährlich die kirchliche Einrichtun­g auf. Im Corona-Jahr seien die Anfragen deutlich gestiegen, sagt Rosmarie Scholz. Einsamkeit sei zwar meist nicht der Hauptgrund, aber oft auch ein Thema der Ratsuchend­en.

Dating-Apps bieten die Möglichkei­t, trotz Abstandsre­geln neue Bekanntsch­aften zu knüpfen – digitale Nähe bei analoger Distanz. Ein elektronis­cher Kontakt sei besser, als einsam daheim zu sitzen, sagt Pfarrer Steffen Schiller von der Neuburger Christuski­rche. Während der vergangene­n Monate habe er im Gespräch mit Gläubigen oft zwischen den Zeilen von deren Einsamkeit und Sehnsucht nach einer Partnersch­aft erfahren. DatingApps sind für ihn ein guter Helfer, um neue Leute kennenzule­rnen, vor allem in Zeiten von Kontaktbes­chränkunge­n.

Vor zehn Jahren traute der evangelisc­he Pfarrer sein erstes Ehepaar, das sich im Netz gefunden hatte. Inzwischen sei das Kennenlern­en per Dating-App nichts Außergewöh­nliches mehr. Vor allem bei Singles ab seien sie weit verbreitet, sagt der Pfarrer. Egal ob im realen Leben oder im Netz, es gehe immer um Ernsthafti­gkeit und Respekt, betont Steffen Schiller. Das einzige Problem an Dating-Apps sieht er darin, dass sich viele hinter schönen Bildern verstecken. „Aber die Ecken und Kanten kommen spätestens beim ersten Treffen heraus. Wahrhaftig­keit zahlt sich hier aus“, rät der Seelsorger den Nutzern.

Die Paartherap­eutin Iris Lang aus Neuburg sieht in Tinder, Lovoo und Co. ebenfalls eine gute Alternativ­e zum realen Kennenlern­en. Nicht der erste Kontakt sei entscheide­nd, sondern welche Geschichte das Paar gemeinsam schreibt, sagt Iris Lang. „Es gibt Paare, die haben eine gute Geschichte. Auf die kann es in schweren Zeiten zurückgrei­fen“, erklärt sie. Ohne diese positiven Erinnerung­en ist eine lange, gemeinsame Zukunft schwierig.

Die digitale Partnersuc­he wird immer beliebter. Knapp die Hälfte ihrer Paare hat sich im Netz gefunden, betont die Therapeuti­n.„Und ich kenne keinen Single, der es noch nie ausprobier­t hat“, ergänzt sie. Iris Lang ist nicht nur Ansprechpa­rtnerin für kriselnde Pärchen, sondern hilft auch Alleinsteh­enden. In der Single-Beratung begleitet sie durch Liebeskumm­er oder reflektier­t Be30 ziehungsmu­ster aus früheren Partnersch­aften.

Die Psychologi­n Rosmarie Scholz rät bei Dating-Apps zur Vorsicht. Zwar sei für sie ein elektronis­cher Kontakt besser als kein Kontakt, aber nicht hinter jedem Profil verstecke sich die große Liebe. „Man muss sich auf Enttäuschu­ngen einstellen“, sagt die Leiterin der Beratungss­telle. Das Chatten verleite dazu, viel mehr über sich zu erzählen als in einem ersten Gespräch.

Statt sich auf die Suche eines Partners zu versteifen, rät sie ihren Klienten, rauszugehe­n und alte Interessen wieder zu entdecken. Und das selbst in der Corona-Krise. Ein

Spaziergan­g an der frischen Luft, einem Passanten trotz Maske anlächeln oder ein netter Plausch mit der Bäckereive­rkäuferin – all das lasse das Gefühl der Einsamkeit schnell verschwind­en, erklärt die Psychologi­n.

Dass sich eine Partnersch­aft ohne Suche entwickelt, sondern einfach passiert, haben Michaela Kunz aus Neuburg und Willi Kovacs aus Rennertsho­fen am eigenen Leib erfahren. Das Pärchen hat sich im Tanzkurs kennengele­rnt. Seit 2014 sind die beiden Mittfünfzi­ger ein Paar, zunächst nur auf der Tanzfläche. Sie waren beide bereits verheirate­t und haben erwachsene Kinder. Nach der Scheidung wollte Michaela Kunz wieder ihrem alten Hobby, dem Paartanz, nachgehen. „Mir ist es damals nur ums Tanzen gegangen“, erinnert sie sich zurück.

Da sie zu dem Zeitpunkt keinen Partner hatte, bat sie Tanzlehrer Bernhard Gems um Hilfe. Gems spielte Vermittler und stellte sie bereits vor dem Kurs einander vor. „Ein Blind Date auf der Tanzfläche klappt nie“, sagt der Chef der Neuburger Tanzschule Taktgefühl. Seit Jahren vermittelt er alleinsteh­enden Tanzschüle­rn Partner. Und was auf dem Parkett gut klappt, funktionie­rt oft auch im Privaten.

Über 30 Paare hat Gems im Laufe der Jahre zusammenge­bracht. Die Hälfte davon hat sogar geheiratet und Kinder bekommen. „Wir machen uns die Kunden von morgen selbst“, sagt er schmunzeln­d. Als analoge Dating-App versteht sich Gems aber nicht, im Mittelpunk­t stehe das Tanzen und nicht das Verlieben. „Wir sind keine Partnerver­mittlung.“

Dating-Apps haben Michaela Kunz und Willi Kovacs nie probiert. „Das ist überhaupt nicht meine Welt“, sagt Michaela Kunz energisch. Viele ihrer jüngeren Kolleginne­n stöbern in Apps nach einem Partner. Statt verzweifel­t zu suchen, rät sie, einfach rauszugehe­n. „Sobald man zu suchen aufhört, passiert was.“Davon ist sie überzeugt.

 ?? Foto: DVAG, dpa (Symbol) ?? Verliebt, verlobt, verheirate­t – so leicht ist das im Corona‰Jahr nicht. Die notwendige­n Regeln treffen Singles schwer. Eine Mög‰ lichkeit, um trotz Kontaktbes­chränkunge­n neue Bekanntsch­aften zu knüpfen, sind Dating‰Apps.
Foto: DVAG, dpa (Symbol) Verliebt, verlobt, verheirate­t – so leicht ist das im Corona‰Jahr nicht. Die notwendige­n Regeln treffen Singles schwer. Eine Mög‰ lichkeit, um trotz Kontaktbes­chränkunge­n neue Bekanntsch­aften zu knüpfen, sind Dating‰Apps.

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