Bedrohtes Königreich
Das Revier der Jaguare geht immer häufiger in Flammen auf. Auch das Pantanal-Sumpfgebiet ist schon um fast die Hälfte reduziert worden. Wie der Tourismus das Überleben der majestätische Raubkatze sichern könnte
Über dem São Lourenço-Fluss wabern Dunstschwaden, als Ailton Alves de Lara zu seiner Audienz zum König des Sumpfs aufbricht. Der 38-jährige Naturführer ist am liebsten im Morgengrauen mit dem Motorboot unterwegs, um dem geheimnisvollsten Bewohner des Pantanals auf die Schliche zu kommen. „Ich kannte Jaguare als Kind nur als vorbeihuschende Schatten,“sagt der Brasilianer, „sie waren immer bereits verschwunden, noch bevor man sie richtig wahrgenommen hatte.“
Unzählige Inselchen aus Schwimmpflanzen treiben dem Boot entgegen. Noch ist die Sonne nicht aufgegangen, doch das Leben im Pantanal ist längst erwacht. Am Flussufer haben sich Scharen von weißen Reihern versammelt. Amazonasund Grünfischer, farbenprächtige Verwandte des europäischen Eisvogels, halten nach Fischen Ausschau. Nicht nur sie hoffen auf Beute. Entlang der Ufer lauert ein weit mächtiger Jäger. Noch verbirgt das dichte Blattwerk jedoch den Herrscher des Pantanals.
„Kaum irgendwo sonst gibt es mehr Jaguare pro Quadratkilometer“, sagt Rafael Hoogesteijn. Der Venezolaner verfolgt die Raubkatzen im Pantanal seit mehr als zehn Jahren. Er leitet die Forschungsstation von Panthera, einer Organisation, die sich weltweit für den Schutz von Großkatzen engagiert. Im Pantanal setzt sich Hoogesteijn vor allem für Jaguare ein, die mit Viehzüchtern in Konflikt geraten. Nun machen ihm die Waldbrände in Brasilien zu schaffen, die nun in Corona-Zeiten noch häufiger gelegt werden, um Anbauflächen zu schaffen.
„Der Verlust von Lebensraum durch die Feuer bedeutet natürlich einen Bestandseinbruch“, sagt der Artenschützer, „vor allem im Süden des Pantanals in der Gegend um Corumbá und an der Grenze zu Bolivien.“
Nirgendwo in Südamerika lässt sich die Tierwelt des Kontinents in solcher Vielfalt und Dichte beobachten wie im Pantanal. Mögen Amazonien und die Bergwälder der Anden noch artenreicher sein – die meisten ihrer Bewohner bleiben den Touristen unweigerlich verborgen. Wegen seiner offenen Landschaften, einem Mosaik aus Grasebenen, Feuchtgebieten und Wäldern, ermöglicht das Pantanal seinen Besuchern Tierbeobachtungen, wie man sie sonst nur auf einer Safari in Afrika erleben kann.
„Inzwischen nimmt der Jaguar hier die Rolle von Löwen und Leoparden in Afrika oder Tigern in Indien ein,“sagt Hoogesteijn, „alle Touristen wollen einen sehen. Der Schutz der Jaguare hat somit nicht nur einen enormen ökonomischen Wert, er erhält gleichzeitig die biologische Vielfalt. „Fehlt die Raubkatze als wichtiges Glied in der Nahrungskette, verändert sich das gesamte Ökosystem“, sagt der Artenschützer.
Eine Fahrt ins Pantanal ist eine Reise in ein Dorado des Lebens. Entlang der Transpantaneira, der einzigen Straße im Sumpfgebiet tragen Ameisenbären ihren Nachwuchs huckepack, Nasenbären recken ihre geringelten Schwänze in die Höhe und Krabbenfüchse halten Ausschau nach Beute. Aufgereiht wie übergewichtige kleine Sphinxe hocken hunderte Wasserschweine neben Heerscharen von Kaimanen entlang der Ufer von Wasserarmen, Tümpeln und Teichen. Die auch Capybaras genannten Sumpfbewohner sind in Wahrheit keine Schweine, sondern entfernte Verwandte der Meerschweinchen – die größten Nagetiere der Welt sind Hauptbeute der Jaguare.
Seit 1998 begleitet Naturführer de Lara Touristen ins Pantanal. Kaum jemand kennt die einzigartige
und Pflanzenwelt besser als er. „Ein Tapir!“ruft de Lara plötzlich. In einiger Entfernung schwimmt das größte Landtier Südamerikas durch den Fluss. Von seinem mächtigen Körper ist allerdings nur der Kopf zu sehen. Am anderen Ufer angekommen, ist er sogleich im Unterholz verschwunden.
Die ersten Sonnenstrahlen brechen durch das Blätterdach der Urwaldbäume. Unbekannte Vogelstimmen flüstern aus dem Ufergebüsch. Ein Schlangenhalsvogel trocknet seine Flügel in der Morgensonne.
„Im Pantanal wurden mehr als 650 Vogelarten gezählt“, erklärt de Lara. Der Naturführer kennt die al
lermeisten nicht nur mit Namen, sondern weiß auch über ihr Verhalten einiges zu erzählen. Der Riesentagschläfer etwa tarnt sich als Aststumpf. Der Scherenschnabel fischt seine Beute mit geöffnetem Schnabel von der Wasseroberfläche. „Wenn der Wehrvogel ruft, ist oft ein Jaguar nicht weit“, sagt de Lara. Der aber lässt noch auf seinen Auftritt warten.
In einem Altwasserarm treibt sich eine Gruppe Riesenotter spielerisch durchs Wasser. Mit einer Länge von mehr als eineinhalb Metern sind sie deutlich größer als die in Europa heimischen Fischotter. Neugierig beäugen sie das sich nähernde Boot, lassen sich aber von dem dümpelnTier
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den Menschenvolk nicht weiter ablenken. Inzwischen ist es Mittag geworden. De Lara zieht sich mit seinem Boot vor der unerbittlichen Hitze unter die tief hängenden Zweige eines alten Pfefferbaums zurück.
„Als wir vor zwanzig Jahren mit den Jaguar-Touren begonnen haben, bekamen wir nur mit viel Glück ein Tier zu Gesicht“, erzählt de Lara. „Damals wurden die Tiere noch regelmäßig von Viehzüchtern getötet.“Bei Porto Jofre, am Ende der Transpantaneira, wo es weniger Viehweiden gab, fingen Fischer an, die Tiere mit Fangabfällen zu füttern. Die Jaguare verloren allmählich ihr Misstrauen und lockten bald die ersten Naturfotografen. „Sie haben gelernt, dass ihnen hier vom Menschen keine Gefahr droht“, erzählt de Lara, „erst seit wenigen Jahren sehen wir in der Trockenzeit bei fast jeder Bootsfahrt welche.“
Noch ist das Pantanal über uralte Wildwege mit Amazonien und bis nach Argentinien verbunden. „Wir müssen verhindern, dass die Bestände wie bei Löwen und Tigern in isolierte Populationen verfallen“, sagt Artenschützer Hoogesteijn, „ohne den Jaguar geht es nicht.“
Doch durch die fortschreitende Zerstörung der Regenwälder verliert die drittgrößte Katze der Welt immer weitere Teile ihres einstigen Reviers. Laut des brasilianischen Instituts für Weltraumforschung (INPE) wurden in den ersten acht Monaten dieses Jahres bereits 6404 Quadratkilometer Wald zerstört – fast doppelt so viel wie im Vorjahr. Bis Jahresende könnten 10 000 Quadratkilometer vernichtet sein. Das entspricht der vierfachen Fläche des Saarlands und durchschnittlich berechnet 250 Jaguar-Revieren.
Unter dem rechtsextremen Präsidenten Jair Bolsonaro haben sich die schlimmsten Befürchtungen von Umwelt- und Klimaschützern bewahrheitet. Durch dessen Förderung von Rinderzucht, Landwirtschaft und Bergbau in Amazonien und die Ankündigung der Verkleinerung von Schutzgebieten stellt sich nicht nur für einige der letzten indigenen Völker der Erde die Überlebensfrage. Auch auf den Jaguar dürften harte Zeiten zukommen.
Verantwortlich für die dramatische Lage machen Naturschützer wie Hoogesteijn Bolsonaros Umweltpolitik. Er hat die Auflagen zum Waldschutz gelockert und unterstützt
Wie Ameisenbären ihre Babys huckepack tragen
Und dann lässt sich der König des Dschungels blicken
offen die Agrarlobby. Ein Großteil der verheerenden Feuer geht auf Brandrodungen durch Farmer zurück.
Für Hoogesteijn ist der Jaguar der Wächter der Wildnis und der Motor des Naturtourismus, mit dem man im Norden des Pantanal inzwischen Millionen macht. „Bisher konnten selbst die Nachrichten über die Brände den Erfolg des Jaguar-Tourismus nicht aufhalten“, sagt der Artenschützer. „Der Jaguar hat bereits fast die Hälfte seines historischen Verbreitungsgebiets verloren“, sagt de Lara, „und noch immer büßt er weiter an Lebensraum ein.“
Den Jaguar-Tourismus sieht de Lara als Garant für den nachhaltigen Schutz der Tiere. Die Pantaneiros haben begriffen, dass die Touren viel mehr Geld einbringen, als Fischerei und Viehzucht. „Zuerst waren die meisten Farmer sehr kritisch,“sagt de Lara, „heute unterstützen uns alle 15 der Fazendas um Porto Jofre“. Die meisten haben inzwischen eigene Gästezimmer. Als die Nachmittagssonne tiefer steht, drängt de Lara zum Aufbruch. Zunächst fährt sein Motorboot den wild mäandernden Três IrmãosFluss hinauf, vorbei an ockerfarbenen Sandbänken, auf denen kleine Grüppchen von Capybaras Ausschau nach dem Jaguar halten – genauso wie der Naturführer.
Am Ende gibt der gellende Ruf eines Wehrvogels den entscheidenden Hinweis für den Auftritt des Königs – oder besser: der Königin. Eine Flussbiegung weiter schleicht ein ausgewachsenes Weibchen an einem Schilfgürtel vorbei. Die edle Grazie der gefleckten Raubkatze zieht den unverhofften Betrachter augenblicklich in ihren Bann.
Die Audienz dauert nur wenige Minuten: Ein höfischer Blick aus ungezähmten Katzenaugen. Protokollgemäßer Schaulauf über den Ufersand zur Freude der Fotografen. Geschmeidig dreht Ihre Majestät ihnen bald wieder den Rücken zu. So schnell wie sie aufgetaucht ist, ist sie auch schon wieder im Schilf verschwunden.