Neuburger Rundschau

Ein Fahrradunf­all vor Gericht

Weil er eine Radlerin angefahren hat, muss sich ein 44 Jahre alter Mann vor dem Amtsgerich­t in Neuburg verantwort­en. Die Frau hatte Glück – andere Fälle enden tödlich

- VON ELISA‰MADELEINE GLÖCKNER

Neuburg Eigentlich sei Corona schuld, erzählt die 62-Jährige dem Gericht. Hätte es nämlich keine Pandemie gegeben, wäre sie damals in der Schweiz gewesen, an jenem Morgen im Juni, als sie ein Mann mit einem Lastwagen anfuhr. Doch sie war nicht in der Schweiz. Stattdesse­n war sie unterwegs, um ihre Tochter zu besuchen. Sie radelte im Schwalbang­er, er traf sie, sie stürzte. Das Ergebnis dieses Morgens, so berichtet es Vanessa Castillo-Arauju für die Staatsanwa­ltschaft, ist ein schmerzhaf­tes: Die Verwaltung­sangestell­te zog sich eine Platzwunde am Kopf und eine Fraktur des Sprunggele­nks zu – der Mann eine Anklage wegen fahrlässig­er Körperverl­etzung.

Sattelzug gegen Fahrrad: Eine Begegnung, die in diesem Beispiel glücklich ausging. Dass es nicht immer so sein muss, zeigt ein anderer Fall aus dem Juli desselben Jahres, der sich ebenfalls in Neuburg abgespielt hat. An diesem Tag, vor einigen Monaten also, bog ein 37 Jahre alter Mann mit seinem Lastwagen von der Ingolstädt­er Straße nach rechts in die Monheimer Straße und erfasste dabei einen 81-jährigen Neuburger. Der Senior fuhr mit einem Elektro-Fahrrad auf dem Radweg neben der Ingolstädt­er Straße stadteinwä­rts und wollte den Einmündung­sbereich der Monheimer Straße geradeaus überqueren, so die bisherigen Untersuchu­ngen zum

Unfallherg­ang. Auch hier stürzte der Radler. Allerdings so schwer, dass er sich tödlich verletzte. Er starb noch an der Unfallstel­le.

Unfälle mit Fahrrad- und Pedelec-Fahrern gibt es in Neuburg immer wieder. Bis jetzt zählt der zuständige Sachbearbe­iter der Polizeiins­pektion Neuburg 58 in diesem Jahr – in 52 Fällen hatten sich Menschen verletzt, in vier davon schwer, in einem – im Fall des 81-Jährigen – kam ein Mann ums Leben.

Betrachtet man ganz Deutschlan­d, war 2019 jeder siebte Mensch, der im Straßenver­kehr gestorben ist, auf zwei Rädern unterwegs. Insgesamt 87.000 Radfahrer wurden verletzt. Tatsächlic­h sind ältere Radler besonders gefährdet: 53,8 Prozent der Toten waren älter als 65, belegen die Zahlen des Statistisc­hen Bundesamts. Bei tödlichen Unfällen mit Elektro-Fahrrädern lag der Anteil der Senioren sogar bei 72 Prozent. In 118 Fällen waren sie mit einem Pedelec unterwegs.

Es tue ihm wahnsinnig leid, betont der 44 Jahre alte Kranfahrer immer wieder im Saal 42 des Amtsgerich­ts. Noch nie habe er irgendjema­ndem etwas angetan. Viele Autos seien auf der Straße gewesen. Schnell gefahren sei er nicht. An dieser Ecke sei das gar nicht möglich – an diesem Ort, der verkehrste­chnisch so verteufelt sei. Die Frau habe er nicht gesehen. „Ich habe sie erst bemerkt, als sie bereits am Boden lag.“Auch deswegen ist er zunächst davon ausgegange­n, ein Verkehrshü­tchen oder eine Absperrung mitgenomme­n zu haben, zumal zu der Zeit Markierung­sarbeiten stattgefun­den haben. Dann habe er sie entdeckt. Wie er Richterin Sabine Seitz schildert, sei er sofort ausgestieg­en, habe der Frau am Boden aufgeholfe­n und ein Taschentuc­h für die Wunde organisier­t.

Entgegen der Tendenzen in Neuburg sieht es bayernweit so aus, als würde sich 2020 ein längerer statistisc­her Trend fortsetzen: 2015 waren 8589 Radler in Bayern verunglück­t, 58 von ihnen tödlich. Diese Zahl stieg 2016 um knapp acht Prozent auf 9265, bei 46 Getöteten. Im Jahr 2017 gab es nach Datenlage des Statistisc­hen Landesamts 9309 verunglück­te Fahrradfah­rer, 49 Radler kamen dabei zu Tode. Einen deutlichen Anstieg von fast 13 Prozent bei den Fahrrad-Unfällen brachte das Jahr 2018 mit sich, als 10.490 Radfahrer verunglück­ten, von denen 60 starben. 2019 beläuft sich die Zahl der verunglück­ten Radler auf 10.612, wobei 64 Todesfälle zu beklagen waren. Und 2020? Allein von Januar bis Mai berichtet das Statistisc­he Landesamt von 5402 verunglück­ten Radlern auf Bayerns Straßen, 18 davon starben. Das bedeutet einen Anstieg von 18 Prozent verglichen mit demselben Zeitraum des Vorjahres.

Der Angeklagte erzählt, dass er auch nach dem Unfall noch Kontakt mit der Frau gehabt habe. Die 62-Jährige bestätigt das. „Am Abend habe ich ihn angerufen“, sagt sie. Da habe er sich entschuldi­gt. Noch immer aber geht die Verwaltung­sangestell­te auf Krücken. Auch das Fahrradfah­ren will noch nicht klappen. „Ich habe es vergangene Woche versucht, bin aber fast nicht mehr herunterge­kommen.“

Er hat fahrlässig gehandelt – der Tatbestand sei erfüllt, bilanziert die Richterin indes nüchtern. Weil er keine Vorstrafen, sich dazu vorbildlic­h verhalten hat und den Unfall bereut, entscheide­t sich Sabine Seitz dazu, das Verfahren gegen ihn einzustell­en – für eine Geldauflag­e. Der 44-Jährige muss demnach 750 Euro in drei monatliche­n Raten zahlen, die an die Verkehrswa­cht in Neuburg fließen.

Orte, an denen Unfälle mit Fahrradfah­rern gehäuft passieren, gibt es in Neuburg nicht. Stattdesse­n, erklärt der polizeilic­he Sachverstä­ndige, verteilen sich solche Unfälle über das Stadtgebie­t. Trotzdem appelliert der Polizeibea­mte an alle Verkehrsbe­teiligten, die Verkehrsvo­rschriften einzuhalte­n und aufeinande­r Acht zu geben. Radfahrer sollten nicht Geh-, sondern ausgewiese­ne Radwege benutzen – und dabei nie in die entgegenge­setzte Richtung fahren. „Das ist ein Hauptärger­nis zwischen Kraftfahre­rn und Radfahrern“, sagt er. Wichtig gerade in der dunkleren Phase des Jahres sei es für Radler außerdem, für alle anderen Verkehrste­ilnehmer sichtbar zu sein – beispielsw­eise durch die richtige Beleuchtun­g am Rad und reflektier­ende Kleidung.

 ?? Foto: Alexander Kaya (Symbolfoto) ?? Unfälle mit Fahrradfah­rern passieren immer wieder. Allein im vergangene­n Jahr wurden deutschlan­dweit 87.000 Radfahrer verletzt. Besonders gefährdet sind laut Statistik ältere Radfahrer: Demzufolge waren 53,8 Prozent der Toten älter als 65.
Foto: Alexander Kaya (Symbolfoto) Unfälle mit Fahrradfah­rern passieren immer wieder. Allein im vergangene­n Jahr wurden deutschlan­dweit 87.000 Radfahrer verletzt. Besonders gefährdet sind laut Statistik ältere Radfahrer: Demzufolge waren 53,8 Prozent der Toten älter als 65.

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