Das Kino muss bleiben – und das wird es auch
Lockdown und florierende Streaming-Dienste: Es war ein Horrorjahr für die Filmhäuser. Damit sie trotzdem eine Zukunft haben, sind Betreiber und Fans gefordert
Für Kinobesitzer muss es sich anfühlen wie für einen Filmfan, der sich in der Saaltür geirrt hat: wie im falschen Film. Der Kinobesucher hat immerhin zwei Möglichkeiten: Den Saal wieder verlassen oder abwarten, wie der Film weitergeht – mit der Gewissheit, dass selbst der scheußlichste Streifen nach 100 Minuten endet. Kinobetreiber haben diese Gewissheit nicht. Sie wissen nicht, wie es weitergeht, wann sie die Tore wieder öffnen dürfen. Und einige wissen nicht, ob sie das dann überhaupt noch können.
Klar ist nur: Die Kinos sind in der Filmbranche die großen CoronaVerlierer. Christine Berg, Sprecherin ihres deutschen Hauptverbands, rechnet für 2020 mit einem Milliardenverlust. Der monatelange Lockdown im Frühling, dann die zwischenzeitliche Wiedereröffnung
aber nur mit einem Viertel der Auslastung und seit dem 2. November nun die erneute Schließung. Das war ein besonders herber Schlag für die Branche, handelt es sich bei den Monaten November und Dezember doch um die traditionelle Hochzeit im Kinojahr. Zudem fehlten im ganzen Jahr die Kassenschlager, da die Starttermine der Blockbuster auf 2021 verschoben worden sind. Selbst die Aussichten, dass die ja bei Wiedereröffnung reichlich Geld in die Kinokassen spülen könnten, sind kein Grund für Enthusiasmus.
Denn gleichzeitig sorgt der Branchenriese Warner mit der Ankündigung, seine 17 Filme im Jahr 2021 in den USA gleichzeitig im Kino und per Streaming anzubieten, für ein alarmierendes Novum. Der Status des Kinos bröckelt. Haben Streaming-Dienste Kinobesitzern schon vor der Corona-Pandemie das Leben schwergemacht, geht es jetzt ums blanke Überleben.
Doch Totgesagte leben bekanntlich länger. Das Kino ist das beste Beispiel. Es überstand Fernsehen, Video, DVD, Blu-Ray. Trotzdem:
Alle werden die Corona-Krise nicht überleben. Bei manchen Lichtspielhäusern ist der Vorhang bereits für immer gefallen. Wer es aber schafft, sich an die neuen Zeiten anzupassen, wer jetzt schon gute Konzepte hat, wird auch Corona überstehen. Die Geschichte der Lichtspielhäuser selbst weist den Weg: Seine erste große Blüte erlebte das Kino, als vor rund hundert
Jahren veritable Filmpaläste die Massen anzulocken begannen. Gerade im Blockbuster-Bereich wird den Betreibern in der neuen Konkurrenzsituation wohl nur helfen, den Kinobesuch in der heutigen Event-Gesellschaft zu einem noch umfassenderen Erlebnis zu machen. Autokino und Popcorn-to-go zeigten bereits während der Krise, wie kreativ Kinobesitzer wurden, um ihren Betrieb am Laufen zu halten.
Denn Kino ist ja ohnehin so viel mehr als nur Filmschauen. Ist Gemeinschaft, ist Knutschen in der letzten Reihe, ein Absacker an der Kinobar. Etwas, was ein Abend zu Hause auf der Couch nur mit Netflix und Co. nie ersetzen kann. Kino ist ein Kulturwert, den am Leben zu erhalten darum aber auch ein Bekenntnis seiner Fans verlangen wird: eine schnelle und regelmäßige Rückkehr nach Ende des Lockdowns in die Säle, die den Kinos zeigt, dass sie auch in Zukunft auf ihr Publikum bauen können. Ein Publikum, das beweist, dass es den Kulturwert nicht leichtfertig aufgibt, nur weil es bequemer und billiger ist, zu Hause komazuglotzen. Kino lehrt Genügsamkeit und Konzentration auf den einen Film, Streaming bietet maximale Konsummasse. Hübsche Ironie: Weil das viele überfordert, versucht sich ausgerechnet Netflix in Frankreich als Pilotprojekt mit einem eigenen Kanal im linearen Fernsehen.
Wer nach dem Lockdown-Lagerkoller aber mal wieder im richtigen Film sitzen will: runter von der Couch, raus und unter Leute. Kino ist dafür genau das Richtige.
Denn es geht um mehr als nur ums Glotzen