Neuburger Rundschau

Es gibt fast mehr offene Fragen als Impfstoff-Dosen

Leitartike­l Deutschlan­d hat mit seiner Impfaktion gegen das Coronaviru­s begonnen. Doch schon der Anfang zeigt: Dieser Weg wird steinig bleiben

- VON MARGIT HUFNAGEL huf@augsburger‰allgemeine.de

Manchmal kommt die Hoffnung in ganz kleinen Dosen daher. Gerade einmal 0,3 Milliliter des Corona-Impfstoffe­s sind in den Fläschchen enthalten, die seit Sonntag einer ersten Gruppe verabreich­t werden. BNT162b2 ist so etwas wie das Verspreche­n auf einen Anfang vom Ende. Monatelang fieberte Deutschlan­d dem Start der Impfaktion entgegen. Doch der Wunsch, dass dieses Virus so schnell verschwind­en möge, wie es sich auf der ganzen Welt verbreitet hat, dürfte kaum in Erfüllung gehen. Schon der erste Tag hat gezeigt, dass der Weg holprig sein wird.

Die Zahl der mit oder an dem Coronaviru­s gestorbene­n Menschen hat in Deutschlan­d inzwischen die Grenze von 30000 überschrit­ten. Die Trendwende muss also dringend gelingen. Und dazu gehört auch, unbequeme Wahrheiten auszusprec­hen. Viel zu lange hat sich die Politik von den niedrigen Infektions­zahlen des Sommers blenden lassen, die Wucht des Winters hat die Krisenmana­ger kalt erwischt. Nicht anders ist es zu erklären, warum erst jetzt über die viel zu geringen Impfvorrät­e diskutiert wird. Dass sich Deutschlan­d ausgerechn­et in diesem Fall auf eine Sammelbest­ellung der EU verlassen hat, wirkt im Rückblick fast wie ein schlechter Witz mit einer ganz traurigen Pointe. Solidaritä­t ist wichtig – gerade in Ausnahmesi­tuationen. Doch wenn die Folge ist, dass alle mit angezogene­r Handbremse fahren, ist niemandem geholfen. Fakt ist: Wenn wir es nicht schaffen, bis zum Spätsommer zumindest so viele Menschen gegen das Virus zu immunisier­en, dass sich weitere Corona-Ausbrüche leicht lokal eingrenzen lassen, steht uns der nächste Lockdown-Herbst bevor. Die Folgen davon will sich kaum jemand auch nur im Ansatz ausmalen.

Je länger sich die Corona-Impfaktion hinzieht, umso schwierige­r wird es werden. Schon heute haben wir uns an immer neue Rekordzahl­en gewöhnt, der einstige Inzidenz-Schreckwer­t von 50 wirkt fast wie ein niedliches Relikt aus einer anderen Zeit. Die Motivation, sich impfen zu lassen, dürfte daher eher sinken als steigen. Zumal mit der Aussicht auf eine Besserung in den warmen Monaten. Abwarten und hoffen aber wird kaum eine Alternativ­e

sein. Vieles wird jetzt davon abhängen, wie schnell andere Unternehme­n wie Astra Zeneca ihren Impfstoff auf den Markt bringen könnten.

Und doch könnte der Mangel an Impfstoff noch das kleinste Problem bleiben. Die Tücken lauern in jedem noch so kleinen Detail. Wann erfahren die über 80-Jährigen, die nicht im Heim leben, wann sie geimpft werden? Wie werden alle anderen Gruppen über ihren Impftermin informiert? Wie können Pannen in der Kühlkette verhindert werden? Wirken die Impfstoffe noch, wenn das Virus weiter mutiert? Gefühlt gibt es inzwischen mehr Fragen als Impfdosen. Es wird Geduld auf allen Seiten benötigen, ehe diese schwierige Zeit überwunden ist.

Denn eines müssen wir den Verantwort­lichen in der Politik bei aller Kritik zugutehalt­en: Nie war es schwerer, Entscheidu­ngen zu treffen. Kaum jemand hätte sich noch vor einem Jahr vorstellen können, wie weit unsere Welt innerhalb kürzester Zeit aus den Angeln gehoben werden kann. Das Prinzip „Versuch und Irrtum“hat uns durch die vergangene­n Monate begleitet. Der Sinn von Masken, die Notwendigk­eit eines erneuten Lockdowns, der Schutz von Pflegeheim­en und nun der Ruckelstar­t der Impfkampag­ne – Corona-Politik war und bleibt ein steiniges Feld. Es ist wichtig, das anzuerkenn­en. Denn eine Politik, der die Gesellscha­ft keine Fehler nachsieht, ist zum Stillstand verdammt. Und der kann tödlich enden.

Wir müssen der Politik auch Fehler zugestehen

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