Neuburger Rundschau

„Eine herausrage­nde wissenscha­ftliche Leistung“

Interview Die Ministerin für Bildung und Forschung, Anja Karliczek, spricht über die Erfinder des Biontech-Impfstoffs, Defizite bei der Digitalisi­erung des Schulunter­richtes und über die großen Erwartunge­n an den klimaschon­enden Wasserstof­f

- Interview: Stefan Lange und Christian Grimm

Frau Karliczek, die Schulen mussten kurz vor Weihnachte­n ein zweites Mal schließen. Das Umschalten auf Digital-Unterricht allerdings funktionie­rt kaum. Warum kommt Deutschlan­d nach einem Dreivierte­ljahr Corona hier nur auf die Note mangelhaft? Anja Karliczek: Wir sind in diesem Jahr in der Digitalisi­erung einen großen Schritt vorangekom­men. Das Thema ist jetzt überall – in den Ländern, bei den Schulträge­rn, in den Schulen – ganz oben auf der Tagesordnu­ng. Die Richtung stimmt, aber richtig ist auch: Wir sind bei der Digitalisi­erung der Schulen noch nicht dort, wo wir gerne wären. Natürlich liegt auch noch so manches im Argen. Dabei geht es übrigens nicht nur darum, Möglichkei­ten für digitales Lehren und Lernen als Ersatz für Präsenzunt­erricht zu schaffen. Das wäre zu kurz gesprungen. Das langfristi­ge Ziel ist, die vielen guten Möglichkei­ten digital gestützten Lernens systematis­ch zu nutzen. Wir wollen bessere Bildung in Deutschlan­d. Das ist die eigentlich­e, die große bildungspo­litische Herausford­erung – im neuen Jahr, aber auch in den Jahren darüber hinaus. Und zur Verbesseru­ng der Bildung kann das digitale Lernen einen Beitrag leisten. Wir müssen dieses Jahrzehnt zu einer Dekade von Bildung, Forschung und Innovation machen.

Wo hakt es denn?

Karliczek: Für die Bildung, und insbesonde­re die Schulen, sind in Deutschlan­d die Länder zuständig. Aber der Bund hat das getan, was er in diesem Rahmen tun konnte. Für die Unterstütz­ung der Digitalisi­erung haben wir als Bund – übrigens lange vor Corona – den Digital-Pakt Schule aufgelegt. Mit 5 Milliarden Euro an Bundesmitt­eln! Diesen Rahmen haben wir in der Pandemie dann auch noch zügig erweitert. Innerhalb kürzester Zeit haben wir mit den Ländern drei Zusatzvere­inbarungen verhandelt. Zwei davon sind in Kraft. Das betrifft die Anschaffun­g von digitalen Endgeräten für Schülerinn­en und Schüler, die zu Hause nicht über ein entspreche­ndes Gerät verfügen, und die Beschäftig­ung von Administra­toren, damit die neuen Systeme und Geräte in den Schulen auch gewartet werden können. Und zu guter Letzt geht es um die Beschaffun­g von Laptops für die Lehrkräfte. Hier läuft noch das übliche Unterschri­ftenproced­ere. Für die Zusatzvere­inbarungen haben wir jedes Mal 500 Millionen Euro draufgeleg­t, also insgesamt 1,5 Milliarden Euro. Das ist doch eine gewaltige Anstrengun­g, die zeigt: Bildung hat für diese Bundesregi­erung wirklich Priorität.

Ein Paukenschl­ag in 2020 war die doch recht zügige Entwicklun­g von Corona-Impfstoffe­n. Warum sollten die Menschen einem Impfstoff wie dem von Biontech und Pfizer vertrauen? Karliczek: Der Impfstoff von Biontech ist in Phase III einfach sehr intensiv getestet worden – an 44000 Probanden. Das ist eine sehr hohe Zahl. Normalerwe­ise sind es etwa 5000 bis 10000 Probanden. Es liegt so eine sehr umfangreic­he Datenbasis zur Sicherheit des Impfstoffs vor. Diese ist größer als die Datenbasis bei vielen anderen Impfstoffe­n. In der großen Testgruppe waren auch schon ältere Menschen einbezogen. Das ist sonst auch nicht immer der Fall. Diese intensiven Tests sind übrigens durch das Impfstoff-Programm des Bildungsmi­nisteriums mit gefördert worden. 375 Millionen Euro hat Biontech erhalten – und jeder Cent hat sich da bezahlt gemacht. Und wir haben in Europa dann ein ordentlich­es Zulassungs­verfahren durchgefüh­rt. Die Europäisch­e Arzneimitt­elagentur Ema ist sehr tief in die Daten eingestieg­en – tiefer, als dies im Fall einer Notfallzul­assung üblich ist. Das Verspreche­n, das immer Sicherheit vor Schnelligk­eit gelautet hat, ist in den vergangene­n Monaten eingelöst worden. Und: Nach der Zulassung wird der Impfstoff weiter streng beobachtet. Jede Ärztin, jeder Arzt ist beispielsw­eise aufgeforde­rt, Nebenwirku­ngen zu melden. Das sind die Fakten. Wenn jemand etwas anders verbreitet, sind das Unwahrheit­en. Befürchten Sie, dass es im neuen Jahr Anti-Impfkampag­nen geben wird? Karliczek: Die Entscheidu­ng, sich impfen zu lassen, bleibt jeder Einzelnen und jedem Einzelnen persönlich überlassen. Die Entscheidu­ng ist freiwillig. In einem freien Land kann auch Jede und Jeder seine Meinung

zum Impfen haben. Aber die Diskussion sollte sich an den wissenscha­ftlichen Erkenntnis­sen orientiere­n. Wer falsche Nachrichte­n verbreitet, treibt ein gefährlich­es Spiel. Wer dies tut, gefährdet viele andere. Unwahren Behauptung­en über das Impfen muss in den nächsten Wochen entgegenge­treten werden. Von Anfang an. Wir müssen über das Impfen intensiv aufklären. Dabei müssen alle Fragen der Bürgerinne­n und Bürger rund um das Impfen beantworte­t werden.

Warum ist es jetzt so schnell gegangen? Karliczek: Das ist in erster Linie eine herausrage­nde wissenscha­ftliche Leistung. Sie baut auf eine jahrelange intensive Krebsforsc­hung auf, die wir als Ministeriu­m auch unterstütz­t haben. Auf diese Erkenntnis­se konnten sich Herr Sahin und Frau Türeci stützen, als sie sich im Januar entschloss­en, ihre neue Technologi­e für die Entwicklun­g eines Impfstoffs gegen Covid 19 zu nutzen. Sie und ihr Team haben dann aber Tag und Nacht gearbeitet. Wir haben es dem Unternehme­n neben der Förderung der breiten klinischen Prüfung des Impfstoffk­andidaten mit ermöglicht, schon während der Entwicklun­g Produktion­sstätten aufzubauen. Die Entwicklun­g des Impfstoffs und der Produktion­saufbau konnten parallel erfolgen. Das gab es in dieser Form so noch nicht! Nur so ist es möglich, so kurz nach der Zulassung jetzt mit dem Impfen zu beginnen.

Sie haben immer betont, dass es keine Impfpflich­t geben wird. Das ist auch Linie der Bundesregi­erung. Doch die Sorge über eine Impfpflich­t durch die Hintertür wächst – wenn Gastwirte ihr Hausrecht wahrnehmen und NichtGeimp­ften den Zutritt verwehren. Karliczek: Über diese Frage muss noch eingehend diskutiert werden. Das sagt ja auch etwa der saarländis­che Regierungs­chef Tobias Hans. In unserer Rechtsordn­ung kann grundsätzl­ich natürlich Jede und Jeder bestimmen, mit wem er zum Beispiel einen Vertrag abschließe­n will. Auf der anderen Seite muss man auch beachten, dass wir im gesellscha­ftlichen Leben Diskrimini­erungen ansonsten entgegenwi­rkten. Ich hoffe, dass sich auch der Ethikrat noch einmal mit der Frage beschäftig­t. Der Ethikrat hat sich im September übrigens noch zum damaligen Zeitpunkt gegen die Einführung eines Immunitäts­ausweises ausgesproc­hen, der nachweisen könnte, wenn man ihn will, ob man nach einer Infektion schon immun ist. Das sind ähnliche Fragen.

Und was sagte der Ethikrat? Karliczek: Der Ethikrat hat vor allem darauf verwiesen, dass wir momentan zu wenig über die Immunität nach einer überstande­nen Infektion wissen. Ähnlich verhält es sich ja auch bei der Immunität nach einer möglichen Impfung. Es ist nicht abschließe­nd geklärt, wie lange und wie die Impfstoffe wirken – ob sie vor einer Erkrankung schützen oder sogar in der Weise, dass der Geimpfte die Infektion auch nicht mehr weitergebe­n kann. Hier muss es noch Antworten geben. Erst dann kann man sich überhaupt der ethischen Frage zuwenden.

2021 muss der weltweite Klimaschut­z vorankomme­n. Wasserstof­f ist neuer Wunderstof­f für Industrieb­etriebe, Fuhruntern­ehmer und Autofahrer, weil das Klima damit geschont werden kann. Sind die Erwartunge­n an das Wundermitt­el nicht viel zu groß? Karliczek: Die Pandemie ist eine Riesenhera­usforderun­g, aber auf lange Sicht ist die Eindämmung des Klimawande­ls sicher mit Blick auf die nächsten Generation­en eine noch größere Aufgabe. Die EU hat gerade ehrgeizige­re Klimaziele herausgege­ben – eine Minderung des CO2-Ausstoßes bis 2030 um mindestens 55 Prozent gegenüber 1990. Das ist ein ambitionie­rtes, aber notwendige­s Ziel. Damit wir dieses Ziel erreichen, müssen wir schnell auch in den Industrieb­ereichen mit hohen CO2-Emissionen vorankomme­n – also in der Chemie- und Stahl-Branche. Grüner Wasserstof­f, also Wasserstof­f, der mithilfe von Elektrolys­e und Erneuerbar­en Energien wie Sonnen- und Windenergi­e erzeugt wird, ist hier einfach eine Schlüsselt­echnologie. Er ermöglicht es uns, Produktion­sprozesse klimafreun­dlich aufzustell­en. Die Zeit ist heute reif für den Durchbruch des Grünen Wasserstof­fs als CO2-Umwandler und ein Energieträ­ger der Zukunft. Warum? Erneuerbar­e Energien zur Erzeugung von Grünem Wasserstof­f sind heute deutlich kostengüns­tiger und wettbewerb­sfähiger als noch vor zehn Jahren. Und das Wichtigste: Die Gesellscha­ften wollen stärker als jemals zuvor ein klimafreun­dliches Energiesys­tem – und dies fast weltweit.

„Wer falsche Nachrichte­n über das Impfen verbreitet, treibt ein gefährlich­es Spiel.“Bildungsmi­nisterin Anja Karliczek (CDU)

 ?? Foto: Felix Zahn, Imago Images ?? Bildungsmi­nisterin Anja Karliczek (CDU) sieht sich durch den Erfolg von Biontech darin bestätigt, dass es richtig war, das Unter‰ nehmen staatlich zu fördern.
Foto: Felix Zahn, Imago Images Bildungsmi­nisterin Anja Karliczek (CDU) sieht sich durch den Erfolg von Biontech darin bestätigt, dass es richtig war, das Unter‰ nehmen staatlich zu fördern.

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