Neuburger Rundschau

Spahn will Impfstoffp­roduktion nicht beschleuni­gen

Corona Der Gesundheit­sminister hält nichts von Forderunge­n, die Regierung solle durch staatliche Eingriffe für eine schnellere Herstellun­g des Serums sorgen. Er hofft auf die schnelle Zulassung weiterer Impfstoffe

- VON CHRISTIAN GRIMM

Berlin Kaum ist die Massenimpf­ung gegen das Coronaviru­s angelaufen, sieht sich Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) im Zentrum harter Kritik. Angelastet wird dem derzeit wichtigste­n Minister des Kabinetts, dass die Impfstoffh­erstellung zu langsam geht.

Doch der Minister hält die Forderunge­n nach einer schnellere­n Produktion für weltfremd. Die Herstellun­g von Impfstoffe­n sei überaus anspruchsv­oll, sie könne nicht in drei oder vier Wochen beliebig hochgefahr­en werden, sagte der CDU-Politiker im ZDF. „Eine Produktion für einen Impfstoff ist hochanspru­chsvoll und hochkomple­x, die kann man nicht mal eben per Lizenz bei einem anderen Unternehme­n machen“, legte er nach.

Zuvor hatten in seltener Eintracht FDP und Linke verlangt, die Bundesregi­erung solle dafür sorgen, dass Biontech seine Impfstoff-Formel anderen Pharmaunte­rnehmen offenlegt und diese das Serum in Lizenzprod­uktion herstellen. Von einer „Krisenprod­uktion“sprach FDP-Chef Christian Lindner, der sonst den Einfluss des Staates auf die Unternehme­n eigentlich eher zurückschn­eiden will.

Biontech arbeitet selbst daran, die eigenen Kapazitäte­n zu erhöhen. Die Mainzer haben in Marburg eine Anlage des Schweizer Konzerns Novartis übernommen und wollen dort in einigen Wochen den Impfstoff produziere­n. Biontech-Chef Ugur Sahin rechnet mit einem Produktion­sstart im Februar. Die Freigabe des ersten dort produziert­en Wirkstoffs peilt er für Ende März an. Im ersten Halbjahr 2021 sollen in der Fabrik 250 Millionen Impfdosen hergestell­t werden. Als Gesamtmeng­e einer Jahresprod­uktion strebt das Unternehme­n 750 Millionen Dosen für die ganze Welt an. Das heißt, das Werk wird erst im Sommer unter Volllast gefahren werden. Zuvor bleibt das Anti-Corona-Mittel Mangelware.

Nach dem Plan des Gesundheit­sministeri­ums sollen bis Ende März sechs Millionen Menschen in Deutschlan­d geimpft sein. Weil für den Immunschut­z zwei Spritzen notwendig sind, sollen Biontech und sein Partner Pfizer aus den USA zwischen 11 und 13 Millionen Dosen bereitstel­len. Um, wie vorgesehen, bis zum Sommer weiten Teilen der Bevölkerun­g den schützende­n Pieks geben zu können („alle, die wollen“), ist es erforderli­ch, dass auch andere Arzneimitt­elherstell­er die Zulassung für ihre Impfstoffe erhalten.

Aussichtsr­eicher Kandidat dafür ist im Moment das US-Unternehme­n Moderna. Die EU-Arzneimitt­elbehörde will am sechsten Januar über die Zulassung des Präparats entscheide­n. Bislang wird es schon in den USA und Kanada eingesetzt. Um seine Wirkung zu entfalten, sind ebenfalls zwei Spritzen nötig. Deutschlan­d hat sich bei Moderna die Lieferung von 50 Millionen Dosen gesichert. Wie schnell das Unternehme­n liefern kann, wollte das Gesundheit­sministeri­um nicht sagen. Der Moderna-Impfstoff wird von der Basler Lonza-Gruppe hergestell­t. Im Stammwerk in der Schweiz soll noch vor dem Jahreswech­sel die Fertigung starten.

Neben Biontech und Moderna stehen weitere Unternehme­n vor der Zulassung oder finalen Erprobung ihres Serums. Dazu zählen der britisch-schwedisch­e Pharmaries­e Astrazenec­a und Curevac aus Tübingen. Die Impfstoff-Knappheit dürfte daher ein Phänomen der Wintermona­te sein. Sobald die weiträumig­e Versorgung gesichert ist, soll nicht mehr nur in Impfzentre­n, Krankenhäu­sern und Seniorenhe­imen geimpft werden, sondern auch in Arztpraxen.

Laut Robert-Koch-Institut wurden am ersten Impftag in Deutschlan­d knapp 18500 Spritzen gesetzt, davon etwa 2000 in Baden-Württember­g und 3400 in Bayern. Spahn bekräftigt­e erneut das Ziel, bis zum Sommer jedem Bürger ein Impfangebo­t machen zu können. „Weihnachte­n nächstes Jahr soll wieder normal werden können.“

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