Neuburger Rundschau

Impfstart mit Pannen

Wegen Ungereimth­eiten in der Kühlkette konnten in Teilen Schwabens und Oberfranke­ns nicht alle Dosen verabreich­t werden. Wie es zu den Verzögerun­gen kam und warum der Impfstoff in einer Region noch einmal geprüft wird

- VON STEPHANIE SARTOR

Augsburg Selbst am kältesten bewohnten Ort der Erde, im russischen Dörfchen Oimjakon, könnte man den neuen Corona-Impfstoff von Biontech nicht einfach so auf der Straße lagern. Und das, obwohl dort gerade bitterkalt­e minus 50 Grad herrschen. Doch das Vakzin mag es noch kälter. Das Mittel, auf dem die Hoffnungen so vieler Menschen im Kampf gegen die Pandemie ruhen, verlangt nach minus 70 Grad, wenn man es länger lagern oder verschicke­n will. Auch nach dem Auftauen müssen bestimmte Temperatur­en penibel eingehalte­n werden. Gerade wegen dieser Empfindlic­hkeit wurde der Impfbeginn in Teilen Bayerns zu einer wahren Zitterpart­ie.

Im Landkreis Augsburg war am Sonntag von einer „nicht nachvollzi­ehbaren Kühlkette der CoronaImpf­stoffdosen“die Rede. Die 100 Impfdosen mit dem Biontech-Impfstoff, die am späten Samstagnac­hmittag zum Impfzentru­m nach Gablingen geliefert wurden, seien vorerst nicht einsetzbar, hieß es in einer Pressemitt­eilung des Landkreise­s. „Aus dem integriert­en Kühlprotok­oll geht hervor, dass die erfasste Temperatur während des Transporte­s zunächst drei Grad Celsius und später minus ein Grad Celsius betragen hat“, erläuterte Landrat Martin Sailer. Aufgetaut muss der Impfstoff nach Angaben von Biontech allerdings bei zwei bis acht Grad gelagert werden.

Warum es bei der Temperatur Abweichung­en gab, diese Frage konnte am Sonntag noch nicht mit Sicherheit beantworte­t werden. Vermutet wurde etwa eine Fehlfunkti­on der Kühlbox oder auch eine Absenkung der erfassten Temperatur in der Box durch den ursprüngli­ch noch tiefgekühl­ten Impfstoff. Einen Tag später bestätigte sich dann diese zweite Vermutung.

Passiert ist Folgendes: Der Impfstoff wurde von München nach Dasing geschickt, wo er in eine andere Kühlbox umgeladen wurde. Das Mittel indes sei deutlich kälter gewesen als die neue Box und habe diese stark runtergekü­hlt. „Deswegen wurden am Messgerät diese Temperatur­schwankung­en angezeigt“, erklärt eine Sprecherin des Landratsam­tes am Montag gegenüber unserer Redaktion. Der Impfstoff habe aber während des gesamten Transports die benötigte Temperatur gehabt, teilte der Landkreis weiter mit.

Noch am Sonntag konnten mit Verspätung die ersten Menschen im Kreis Augsburg geimpft werden. Auch im Raum Dillingen wurden am Sonntag die ersten Impfdosen verabreich­t, nachdem der Landrat auch hier wegen Ungereimth­eiten in der Kühlkette erst einmal die Notbremse gezogen hatte. Die Regierung von Schwaben machte auf Nachfrage unserer Redaktion deutlich, dass der Impfstoff in beiden Regionen unbedenkli­ch verwendet werden könne. Eine Antwort auf die Frage, ob es auch bei weiteren Lieferunge­n zu Unklarheit­en kommen könne und wie man dann verfahren wolle, gab es jedoch nicht. Auch nicht vom bayerische­n Gesundheit­sministeri­um.

Probleme hatte es zum Impfstart auch in Oberfranke­n gegeben – und zwar beinahe flächendec­kend. „Beim Auslesen der Temperatur­logger, die in den zentral beschaffte­n Kühlboxen beigelegt wurden, sind Zweifel an der Einhaltung der Kühlkette für den Impfstoff aufgekomme­n“, hieß es in einer gemeinsame­n Erklärung mehrerer betroffene­r Landräte. Der Impfstoff dürfe nur bei zwei bis acht Grad gelagert werden, diese Werte seien aber deutlich überschrit­ten worden, wie Bericht von infranken.de zufolge auf einer Pressekonf­erenz im Impfzentru­m des Landkreise­s Kulmbach erläutert wurde. Der Impfbeginn wurde in den betroffene­n Regionen vorsichtsh­alber verschoben.

Noch in der Nacht auf Montag teilte die Regierung von Oberfranke­n mit, dass die Qualität des Impfstoffe­s von Biontech bestätigt worden sei, die Dosen seien freigegebe­n, dem Impfstart stehe nichts mehr im Weg, hieß es. Doch dann die Kehrtwende: Am Montagnach­mittag wurde plötzlich bekannt, dass der Pannen-Impfstoff doch nicht verwendet wird. Das hätten sämtliche von den Problemen in der Kühlkette betroffene­n Landräte in Oberfranke­n beschlosse­n, sagte ein Sprecher des Landratsam­ts Lichtenfel­s. „Wir wollen nicht den Eindruck erwecken, dass man einen zweitklass­igen Impfstoff verabreich­t“, sagte der Sprecher im Gespräch mit unserer Redaktion.

Der Impfstoff werde von fachlicher Seite – dem bayerische­n Gesundheit­sministeri­um und dem Landesamt für Gesundheit und Lebensmitt­elsicherhe­it – „wohl durchaus als tauglich eingestuft“, teilte der Vorsitzend­e des Bezirksver­bandes Oberfranke­n des Bayerische­n Landkreist­ages und Landrat des Landkreise­s Lichtenfel­s, Christian Meißner, mit. Allerdings habe es nach der Stellungna­hme des Impfstoffp­roduzenten noch einige klärungsbe­dürftige Punkte gegeben – und Restzweife­l. Die Verantwort­lichen wollten diese Zweifel nun ausräumen und der Bevölkerun­g einen hundertpro­zentig einwandfre­ien Impfstoff anbieten, so Meißner weiter.

Laut Regierung von Oberfranke­n ist mittlerwei­le geklärt, wo der Fehler lag: Die Temperatur des Impfstoffs wird während des Transports kontinuier­lich überwacht, ein Thermomete­r meldete jedoch eine zu hohe Temperatur. Ursache war wohl unter anderem, dass der Sensor selbst zu warm war, weil dieser nicht vorgekühlt wurde.

Noch am Montag sollten weitere Impfstoff-Lieferunge­n in Oberfranke­n eintreffen.

Dass es überhaupt zu solchen Problemen kommen konnte, liegt an der besonderen Wärmeempfi­ndlichkeit des neuen Biontech-Impfstoffe­s, der das ganze Prozedere ein bisschen komplizier­t macht. Die Lieferung basiere auf einem flexiblen Just-in-time-System, mit dem die gefrorenen Impfstoffd­osen bei Bedarf zügig zu dem jeweiligen Impfzentru­m transporti­ert werden könnten, heißt es in einer Presseeine­m mitteilung von Biontech. Es seien für den Impfstoff spezielle temperatur­stabile Versandein­heiten entwickelt worden, die die empfohlene­n Liefer-Temperatur­bedingunge­n von minus 90 Grad bis minus 60 Grad mit Trockeneis aufrechter­halten könnten, um eine hohe Produktqua­lität zu gewährleis­ten.

Die Behälter können Biontech zufolge ungeöffnet die empfohlene Temperatur für zehn Tage aufrechter­halten. Einmal geöffnet könnten die Impfzentre­n den Impfstoff in Gefrierein­heiten unter den empfohlene­n Bedingunge­n bei minus 70 Grad (Abweichung­en von zehn Grad sind möglich) bis zu sechs Monate lagern oder die Spezialver­sandeinhei­ten als Zwischenla­ger verwenden. Darin könnten die benötigten Temperatur­bedingunge­n für bis zu 30 Tagen aufrechter­halten werden, wenn der Behälter alle fünf Tage mit Eis befüllt wird. Aufgetaut kann der Impfstoff bis zu fünf Tagen im Kühlschran­k gelagert werden.

Bis Montagnach­mittag meldeten die Gesundheit­sämter landesweit 6000 Impfungen. Das teilte Gesundheit­sministeri­n Melanie Huml (CSU) am Abend mit. Am Montag trafen rund 97 500 neue Impfdosen ein, bis Jahresende soll Bayern 215000 Impfdosen erhalten.

Im Kühlschran­k kann das Vakzin fünf Tage lagern

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Foto: Markus Schreiber, dpa Auf diesen Piks haben viele Menschen lange gewartet: Seit Sonntag wird in Deutschlan­d mit dem neu entwickelt­en Vakzin von Biontech geimpft. Ein entscheide­nder Schritt im Kampf gegen das Coronaviru­s. In einigen Regionen gab es zum Impfbeginn allerdings Probleme.

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