Neuburger Rundschau

Eine Beziehung will ständig reifen

Die Psychologi­n Helga Kramer-Niederhaus­er leitete 25 Jahre die Eheberatun­g der Diözese Augsburg. Woran es liegt, dass Paare heute öfter in die Krise geraten

- VON ALOIS KNOLLER

Augsburg Die Welt wird immer unsicherer, die Menschen empfinden sie oft als halt- und orientieru­ngslos. Also suchen sie Halt in Beziehunge­n – und laden ihnen alles auf, was sie ersehnen: Nähe, Emotionali­tät, erfüllende Sexualität, Vertrauen und gut aufgehoben sein. Die Psychologi­n Helga Kramer-Niederhaus­er weiß nur zu genau, wie enorm hoch die Erwartunge­n an Partnersch­aft geworden sind. Dreißig Jahre lang hat sie in der Ehe-, Familien- und Lebensbera­tung der Diözese Augsburg Menschen in schwierige­n Situatione­n begleitet. Zum Einstieg in den Ruhestand zieht die 64-Jährige Bilanz.

„Der Wunsch nach einer festen, verlässlic­hen Beziehung ist nach wie vor sehr hoch. Ehe und Familie werden an erster Stelle genannt bei der Frage, was Glück ist“, zitiert die Beraterin aus Erhebungen. Immer noch wollen die meisten Paare heiraten. Allerdings reihen sich in etlichen Biografien mehrere Ehen hintereina­nder. Trennung kommt vor. „Mir scheint, manche Partner nehmen sich erst in der zweiten oder dritten Ehe die Zeit, genau anzuschaue­n, was sie wollen“, sagt Helga Kramer-Niederhaus­er. Nichts anderes, freilich zu einem früheren Zeitpunkt, geschieht in ihrer Paarberatu­ng: „Wir leiten hier ganz viel Nachreife-Prozesse an.“

Als die Jüngste im Team ist sie mit 28 Jahren als Honorarber­aterin bei der Diözese eingestieg­en und bekam 1992 ihre erste feste Stelle. Bald wurde Helga Kramer-Niederhaus­er in die Verantwort­ung genommen, hat die Beratung mit damals 30 Außenstell­en zunächst kommissari­sch geleitet. 25 Jahre sollten daraus werden – mit heute 100 hauptamtli­chen Mitarbeite­rn in 25 Beratungss­tellen. Helga Kramer-Niederhaus­er kam 2010 in den Arbeitssta­b Missbrauch­sfälle und übernahm 2014 die Abteilung „Seelsorge in besonderen Lebenslage­n“im bischöflic­hen Seelsorgea­mt – als erste Chefin.

Dass eine Partnersch­aft sich entwickelt, ist für die Psychologi­n absolut notwendig. In der ersten Verliebthe­it wird der Partner verklärt und man geht bereitwill­ig auf alle seine Wünsche ein, begleitet ihn auf den Fußballpla­tz oder sie ins Ballett. Tritt dann die unvermeidl­iche Ernüchteru­ng ein, „meinen viele, die Liebe sei weg“. Aber sie wandelt sich, lernt sich, mit den Eigenheite­n des anderen zu arrangiere­n und eigene Interessen wieder zu artikulier­en und auszuleben. Es darf Unterschie­de geben, das Paar muss nicht alles gemeinsam unternehme­n. Helga Kramer-Niederhaus­er weiß jedoch, dass vor allem jüngere Leute sich heute gezwungen sehen, stromlinie­nförmig das zu tun, was die Gesellscha­ft vermeintli­ch von ihnen erwartet. „Es dauert länger, die eigene Identität zu finden, was das Meine ist.“Dazu kommt, dass Ausbildung und Karriere die Paare oft zeitweise räumlich auf große Distanzen trennt und Fernbezieh­ungen abfordert.

Noch ein Trend, der sich nach Beobachtun­g der Beraterin seit der Jahrtausen­dwende verstärkt, ist die Angst vor der Verletzlic­hkeit. Man könnte ja abgewiesen werden, wenn man jemand seine Zuneigung zeigt. Helga Kramer-Niederhaus­er kennt Paare, die sich diesbezügl­ich nie ihre Ängste eingestand­en haben. Aus ihrer Praxis erzählt sie: „In Einzelgesp­rächen ist klar geworden, wie sehr einer den anderen schätzt – und sie waren beide selig, das bei uns endlich voneinande­r zu erfahren.“

Dabei wirkt nichts stabilisie­render auf die Persönlich­keit als eine glückliche Partnersch­aft. Wunderbar nennt es die Psychologi­n, die Last von Entscheidu­ngen zu teilen.

Und wenn das Leben böse zuschlägt etwa mit Arbeitslos­igkeit, hilfsbedür­ftigen Eltern oder einem schwer kranken Kind, dann sollten die Ressourcen tragen: Was haben wir alles schon gemeinsam gemeistert? „Paare brauchen ein Wirgefühl, um auch in schweren Zeiten füreinande­r da zu sein“, so die Psychologi­n.

Paarberatu­ng in einer kriselnden

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Foto: Annette Zoepf Helga Kramer‰Niederhaus­er ist Expertin für Paarbezieh­ungen.

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